Starke Schmerzmittel für den Notfall: Nur in jeder fünften Notdienst-Apotheke

Starke Schmerzmittel für den Notfall: Nur in jeder fünften Notdienst-Apotheke
Tumorschmerzpatienten müssen zu lange warten

Nicht einmal jede fünfte Apotheke in Nordrhein-Westfalen hält im Notdienst stark wirksame Schmerzmittel z.B. gegen Akutschmerzen bei Tumorpatienten bereit. Zu diesem Ergebnis führte eine telefonische Befragung bei 74 zufällig ausgewählten Notdienstapotheken in Nordrhein-Westfalen, die das Palliativnetz Bochum am 30. November 2005 durchführte. Die Befragung ergab auch ansonsten ein schwaches Bild: 33 der diensthabenden Apotheken wurden mit zwei Versuchen nicht erreicht, nur eine Apotheke war in der Lage, eine sinnvolle Alternative für das fehlende Schmerzmittel zu nennen. „Für einen Tumorpatienten ist die Tatsache, dass ein notwendiges Schmerzmittel erst in 24 Stunden besorgt wird, wirklich unerträglich“, kommentiert Prof. Dr. Michael Zenz, Präsident der Deutschen Gesellschaft zum Studium des Schmerzes e.V. (DGSS), und mit Blick auf vorgeschlagene Änderungen der Regeln zur Vorratshaltung der Apotheken: „Ich wünsche keinem Politiker, dass er eine solche Verordnung einmal selber kennen lernt.“

Tumorschmerzpatienten brauchen jederzeit Hilfe

Die Notwendigkeit der Versorgung von Tumorpatienten mit stark wirksamen Schmerzmitteln ist unumstritten, die mangelnde Versorgungssituation derzeit Gegenstand großer öffentlicher Aufmerksamkeit. Zur Versorgung der Patienten außerhalb der Geschäftszeiten (z. B. am Wochenende) sind in allen Gemeinden Notdienstapotheken ausgewiesen. Sie müssen laut Apothekenbetriebsordnung eine Reihe von Arzneimitteln stets vorrätig halten, darunter auch zwei stark wirksame Schmerzmittel, die in der Tumorschmerztherapie unverzichtbar sind: Morphin in Tropfenform bzw. als Injektionslösung.

Knapp die Hälfte der Notdienstapotheken nicht erreichbar

Erreicht wurden bei der telefonischen Befragung nur 41 von 74 Notdienst-Apotheken (55,41%). Nur acht von ihnen, weniger als 20%, hatten beide Medikamente vorrätig. „Insgesamt war die Vorhaltung von Morphintropfen noch am günstigsten, hier teilten dreizehn Apotheken (32%) mit, sie zu führen oder sehr kurzfristig besorgen zu können“, so Dr. Matthias Thöns vom Bochumer Palliativnetz. Nur ein einziger Apotheker war in der Lage, eine medizinisch sinnvolle Alternative für Morphin zu benennen, zwei weitere hatten zwar stark wirksame Schmerzmittel vorrätig, gaben aber fälschlicherweise an, die angegebenen Medikamente seien zur Akutschmerzbehandlung geeignet. Das Wissen um starkwirksame Schmerzmittel in den Apotheken ist oft erschreckend gering, wiederholt berichten meine Patienten auch über Vorurteile von Apothekern gegenüber diesen notwendigen Medikamenten, so Dr. Thöns.

„Wochenbedarf“ muss verfügbar oder schnell zu besorgen sein

Die Apotheker, die die beiden Mittel nicht in ihrem Bestand haben, verstoßen zwar nicht gegen die Apothekenbetriebsordnung, die die Vorratshaltung von Apotheken regelt. Hier heißt es: „Der Apothekenleiter hat die zur Sicherstellung einer ordnungsgemäßen Arzneimittelversorgung der Bevölkerung notwendigen Arzneimittel, insbesondere die in der Anlage 2 aufgeführten … in einer Menge vorrätig zu halten, die mindestens dem durchschnittlichen Bedarf für eine Woche entspricht.“ In Anlage 2 sind stark wirksame Schmerzmittel (z.B. Morphin) aufgeführt. Aus der Formulierung „Wochenbedarf“ wird von den Apothekerkammern gefolgert und empfohlen, es reiche, wenn diese Medikamente innerhalb von 24 Stunden besorgt werden könnten. Eine gleichartige Aussage ist von der Bundesopiumstelle bekannt.

Tumorschmerzpatienten sollten nicht 24 Stunden warten müssen

„Ein Tumorpatient mit stärksten Schmerzen sollte aber nicht 24 Stunden auf eine wirksame Therapie warten müssen“, unterstreicht Prof. Zenz. „Die Vorschrift ist völlig obsolet.“ Man gehe heute davon aus, dass von den 250.000 Tumorpatienten in Deutschland 50-80% unter stärksten Schmerzen leiden. Insofern müsse mit einem hohen Versorgungsbedarf auch zu Zeitpunkten außerhalb normaler Geschäftszeiten gerechnet werden. Über 90% dieser Patienten kann mit stark wirksamen Schmerzmitteln in Form von Tabletten, Tropfen oder Pflastern schnell geholfen werden. „Dazu müssen solche Substanzen aber kurzfristig flächendeckend zur Verfügung stehen“, so Prof. Zenz.

Verbesserungsvorschläge für Betäubungsmittelversorgung

Die DGSS unterstützt daher die Forderungen der Bundesarbeitsgemeinschaft Hospiz zur Verbesserung der Betäubungsmittelversorgung.

Darin heißt es unter anderem:

  • Jede Dienst habende Notfallapotheke muss jederzeit (ohne Latenzzeiten) einen ausreichenden Opiatvorrat zur ambulanten Versorgung Schwerstkranker und Sterbender vorhalten und zur Verfügung stellen können.
  • Stationäre Hospize dürfen einen Pool von Opioiden zur Versorgung der Gäste vorhalten, sodass Opioide nicht nur personengebunden und zweckgebunden vorhanden sind.
  • Altenheime sollten in diesem Sinne den Stationären Hospizen gleichgestellt werden.

Ansprechpartner

Prof. Dr. Michael Zenz, Präsident der DGSS, Klinik für Anästhesiologie, Intensivmedizin und Schmerztherapie, Knappschaftskrankenhaus Bochum-Langendreer, Klinikum der Ruhr-Universität Bochum, In der Schornau 23-25, 44892 Bochum, Tel. 0234/299-3000, Fax: 0234/299-3009, http://www.intensivtherapie.de, E-Mail: zenz@anaesthesia.de

Dr. Matthias Thöns, Palliativnetz Bochum, Facharzt für Anaesthesiologie, palliativmedizinische Grundversorgung, Wiesenstr. 14, 58452 Witten, Tel. 02302 57093, http://www.mobileanaesthesie.de, palliativnetz-bochum@email.de

Die Ergebnisse aus der Telefonbefragung vom 30.11.05 im Einzelnen

Angerufene Apotheken: 74
kein Notdienst wie im Plan/nicht erreicht: 33
Antworten gesamt: 41 (100,00%)
Morphintropfen und Morphinampullen vorrätig: 8 (19,51%)
Morphintropfen vorrätig: 13 (31,70%)
Morphinampullen vorrätig: 9 (21,95%)
Morphinampullen nein: 26 (63,41%)
Morphintropfen nein: 2 (53,66%)
keine Angabe trotz Anfrage am Telefon: 6 (14,63%)
gute Alternative (Sevredol): 1 (2,44%)
schlechte Alternative (Retardpräparat): 2 (4,88%)

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Meike Drießen idw

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