Pieks statt Pille: Akupunktur wirkt gegen Migräne

gerac-Studien zu Spannungskopfschmerz und Migräne abgeschlossen – Fast kein Unterschied zwischen chinesischer und Scheinakupunktur


Akupunktur wirkt gegen Spannungskopfschmerz und Migräne mindestens ebenso gut wie die schulmedizinische Standardtherapie. Das ist das zentrale Ergebnis der gerac-Kopfschmerz-Studien (German Acupuncture Trials), an denen 1369 Patienten mit chronischem Spannungskopfschmerz oder Migräne teilgenommen haben. Die Teilnehmer wurden per Zufall einer von drei Gruppen zugeordnet: Die einen wurden nach den Regeln der traditionellen chinesischen Medizin (TCM) akupunktiert (sog. Verum-Akupunktur), die zweite Gruppe erhielt eine Schein-Akupunktur an unwirksamen Punkten (sog. Sham-Akupunktur), die dritte Gruppe die übliche Standardtherapie mit Medikamenten. Akupunktur-Patienten waren durchweg zufriedener mit der Behandlung als medikamentös behandelte Patienten. Zwischen der Wirksamkeit der Verum-Akupunktur und der Sham-Akupunktur zeigte sich kein signifikanter Unterschied.

Kopfschmerz plagt viele – Arbeitsausfall ist die Folge

Kopfschmerzen sind verbreitet: 20 bis 30 Prozent der Gesamtbevölkerung entwickeln im Laufe ihres Lebens einen Spannungskopfschmerz, der mehrmals wöchentlich auftritt. Etwa sechs bis acht Prozent aller Männer und zwölf bis 14 Prozent aller Frauen leiden unter Migräne. Von den rund 3,7 Milliarden Schmerzmitteldosen, die jährlich in Deutschland konsumiert werden, werden bis zu 80 Prozent gegen Kopfschmerzen eingenommen. Angesichts dieses Problems setzen viele Patienten gern auf alternative Heilmethoden wie die Akupunktur. „Etwa ein Drittel aller Patienten, die eine Schmerzklinik aufsuchen, sind mit Akupunktur vorbehandelt. Keine andere Methode hat eine so universelle Verbreitung. Daher ist es besonders wichtig, den wirklichen Nutzen einer solchen Methode genau zu untersuchen“, so Prof. Dr. Michael Zenz, Klinik für Anästhesiologie, Intensiv- und Schmerztherapie der BG-Kliniken Bergmannsheil, Klinikum der Ruhr-Universität Bochum. Diesen Anspruch erfüllte gerac, die weltweit größte Studie zur Wirksamkeit der Akupunktur gegen chronische Schmerzen.

Patienten wollen nicht lange Medikamente nehmen

An der Studie zur Migräne beteiligten sich insgesamt 960 (Verum: 313, Sham: 339, Standard: 308), an der zum Spannungskopfschmerz 409 (Verum: 209, Sham: 200) Patientinnen und Patienten. Die Akupunkturbehandlung umfasste zehn bzw. 15 Sitzungen binnen sechs bzw. zwölf Wochen, die Standardtherapie dauerte sechs Monate. In dieser Zeit wurden fünf Telefoninterviews geführt. Erstes Ergebnis: Etwa 100 Migräne-Patienten der Standard-Therapie-Gruppe brachen die Studienteilnahme vorzeitig ab, weil sie nicht über sechs Monate hinweg Medikamente (Betablocker) zur Migräneprophylaxe einnehmen wollten. Der Standard-Arm der Spannungskopfschmerzstudie mit Antidepressiva musste aus demselben Grund sogar vorzeitig abgebrochen werden. „Hieran zeigt sich, dass Alternativen zur dauerhaften Medikamenteneinnahme wirklich notwendig sind“, so Prof. Dr. Hans-Joachim Trampisch, Abteilung für Medizinische Informatik und Biometrie der Ruhr-Universität Bochum.

Spannungskopfschmerz: Medikamente wirken nicht besser als Nadeln

Die Akupunktur erwies sich als wirkungsvolles Mittel gegen Kopfschmerzen: Die Anzahl der Tage mit Kopfschmerzen hatte sich bei Patienten mit Spannungskopfschmerz in der Verum-Akupunktur-Gruppe von 15,6 Tagen in den vier Wochen vor Behandlungsstart auf 6,21 Tage in den vier Wochen vor der letzten Akupunktursitzung reduziert. Im Interview sechs Monate nach dem Studienstart gaben die Patienten durchschnittlich an, an 6,03 Tagen in den zurückliegenden vier Wochen Kopfschmerzen gehabt zu haben. Die Häufigkeit reduzierte sich um 61,5 Prozent gegenüber dem Stand vor der Behandlung. In der Sham-Akupunkturgruppe klagten die Patienten vor Behandlungsstart an durchschnittlich 16,4 Tagen über Spannungskopfschmerz, direkt nach den zehn Akupunktursitzungen hatte sich die Anzahl der Kopfschmerztage in den zurückliegenden vier Wochen auf 8,54 Tage reduziert. Bis zum Sechs-Monats-Interview sank die Anzahl der Tage mit Kopfschmerzen weiter auf 8,44 Tage (Reduktion um 49,5 Prozent). In der Verum-Gruppe verringerte sich die Anzahl der Kopfschmerztage bei 33 Prozent um mehr als die Hälfte, in der Sham-Gruppe traf das auf 27 Prozent aller Teilnehmer zu. Zum Vergleich mit der schulmedizinischen Standardtherapie waren die Experten wegen des Abbruchs der Standardtherapie-Gruppe auf Vergleiche mit anderen Studien zur Medikamentenwirksamkeit angewiesen. Hier zeigte sich, dass die Akupunktur mindestens ebenso gut, eher besser wirkte.

Migräne: Akupunktur-Patienten sind zufriedener

Die Anzahl der Migräne-Tage reduzierte sich in der Verum-Gruppe um durchschnittlich 2,3 Tage, in der Sham-Gruppe um 1,5 Tage. In der medikamentös behandelten Standard-Therapie-Gruppe lag die mittlere Reduktion der Migräne-Tage bei 2,1. „Überraschenderweise zeigte sich bei Migräne keine Überlegenheit der kontinuierlichen, sechsmonatigen medikamentösen Prophylaxetherapie über die nur sechswöchige Akupunkturtherapie“, fasst Prof. Hans-Christoph Diener vom Universitätsklinikum Essen zusammen. Die Akupunktur wirkte offenbar noch ein halbes Jahr nach Ende der Behandlung mindestens ebenso gut wie die kontinuierliche Medikamenteneinahme. Beide Akupunktur-Gruppen waren mit der Behandlung zufriedener als die Standard-Therapie-Gruppe: 52 Prozent der Patienten in der Verum-Gruppe und 45 Prozent der Sham-Gruppe gaben der Behandlung abschließend die Schulnote 1 oder 2. In der Standard-Therapie-Gruppe bewerteten nur 34 Prozent der Patienten die Behandlung so gut.

Kaum Unterschiede zwischen Verum- und Sham-Akupunktur

Bei beiden Kopfschmerzformen war keine signifikante Überlegenheit der Verum-Akupunktur gegenüber der Sham-Akupunktur nachweisbar. „Die Akupunktur stellt beim chronischen Kopfschmerz eine effektive und risikoarme Ergänzung des therapeutischen Konzepts dar, was ihre Anwendung im Rahmen der schmerztherapeutischen Behandlung rechtfertigt. Allerdings ist eine Scheinakupunktur fast genau so wirksam wie eine klassische chinesische Akupunktur“, zog Prof. Diener Bilanz.

Noch offen: Ob die Kasse demnächst zahlt

Noch offen ist, wie der Gemeinsame Bundesausschuss über die Aufnahme der Akupunktur in den Leistungskatalog der Gesetzlichen Krankenversicherungen entscheidet. „Die Studien zeigen, dass die Wirksamkeit der Akupunktur nicht als Placebowirkung abgetan werden kann.“, so Dr. Bernhard Egger vom AOK-Bundesverband. Er betont, dass ein Lösung gefunden werden müsse, die die ärztlichen Leistungen angemessen vergütet, aber keine finanziellen Fehlanreize mit sich bringt: „Bei einer möglichen Aufnahme der Akupunktur in die Regelversorgung muss sichergestellt sein, dass Ärzte nicht aus finanziellen Gründen vorrangig Akupunktur anbieten statt der im Einzelfall vielleicht sinnvolleren Standardtherapien“, so Dr. Egger. „Es bleibt auf jeden Fall spannend, welchen Stellenwert der Gemeinsame Bundesausschuss der Akupunktur beimessen wird.“

Weitere Informationen

Prof. Dr. Hans-Joachim Trampisch, Abteilung für Medizinische Information und Biometrie, Ruhr-Universität Bochum, 44780 Bochum, Tel. 0234/32-27790, E-Mail: hans.j.trampisch@rub.de

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Dr. Josef König idw

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