Diagnose nach der Befruchtung statt Abtreibung

Ab wann ist der Mensch ein Mensch? Über Möglichkeiten und Grenzen der modernen Reproduktionsmedizin diskutierten Ärzte, Historiker und Theologen mit Bürgern auf einer Veranstaltung im Rahmen des Berliner Wissenschaftssommers.

Ab wann ist der Mensch ein Mensch? Für das deutsche Embryonenschutzgesetz beginnt der Schutz des Lebens mit der Verschmelzung des männlichen und weiblichen Zellkerns in einer befruchteten Eizelle – eine Definition, die nach Ansicht vieler deutscher Experten überholt ist. Im Ausland dürfen mit bis zu 14 Tage alten frühen Entwicklungsstadien des menschlichen Embryos Experimente und Tests durchgeführt werden. Im Mittelpunkt der Diskussion steht vor allem die Präimplantationsdiagnostik (PID). Bei dieser Untersuchung entnehmen Ärzte nach einer künstlichen Befruchtung dem frühen Embryo nach den ersten Zellteilungen eine Zelle und untersuchen diese auf genetische Schäden. Nur gesunde Embryonen werden dann danach der Frau eingepflanzt. Ein Vertreter der Kirche sprach sich auf einer Veranstaltung im Wissenschaftssommer in Berlin dagegen für eine engere Fassung des Embryonenschutzes aus – schon die unbefruchtete Eizelle solle geschützt werden.

Knapp 40.000 Mal pro Jahr versuchen Mediziner in Deutschland, Frauen mit unerfülltem Kinderwunsch in Deutschland in der Petrischale befruchtete Eizellen einzusetzen – die 1978 erstmals angewandte in-vitro-Fertilisation (IVF) ist Routine geworden. Diese Methode hilft etwa, wenn Ei- und Samenzelle nicht im Eileiter der Frau verschmelzen können. Seit 1992 können auch andere Ursachen der Unfruchtbarkeit, zum Beispiel schlechte Samenqualität des Mannes, behandelt werden: In diesem Fall werden Spermien mit einem feinen Glasröhrchen direkt in die Eizelle eingebracht. Diese als ICSI bezeichneten Methode ist etwa so erfolgreich wie die klassische IVF: In einem knappen Viertel der Fälle nistet sich die befruchtete Eizelle in der Gebärmutter ein, die Schwangerschaft beginnt berichtete Professor Eberhard Schwinger aus Lübeck. Und rund 60 Prozent dieser Schwangerschaften enden mit der Geburt eines Babys.

Fehlgeburten kommen auch bei natürlich entstandenen Schwangerschaften häufig vor: „Mehr als 50 Prozent der erkennbaren spontanen Fehlgeburten sind durch Chromosomenstörungen verursacht“, konstatiert Schwinger. Eine Untersuchung der befruchteten Eizellen nach einer IVF oder ICSI durch PID könnte daher helfen, solche Fehlgeburten zu vermeiden. „Es kann nicht angehen, dass eine Frau in Straßburg eine Chance von 40 Prozent hat, nach einer künstlichen Befruchtung mit einem gesunden Kind nach Hause zu gehen, und im sechs Kilometer entfernten Kehl diese Chance nur bei 20 Prozent liegt.“

In Deutschland dürften nur so viele Eizellen befruchtet werden, wie nachher übertragen werden können, ergänzte Prof. Klaus Diedrich aus Lübeck. Je nach Alter der Frau übertrage man zwei bis drei Zellen, mehr erlaubt auch das Embryonenschutzgesetz nicht. In Frankreich sei dies anderes: „Dort werden zehn Zellen befruchtet, und am 2. oder 3. Tag kann man sich die morphologisch am besten aussehenden frühen Embryonen für den Transfer aussuchen – man verbessert also die Einpflanzungsrate deutlich, indem man die zwei besten nimmt.“ Noch erfolgreicher könnten künstliche Befruchtungen werden, wenn man die den frühen Embryo nach einigen Tagen (im Acht- bis Zwölfzellstadium) auf Chromosomenschäden hin untersuchen würde. Bei bekannten Erbkrankheiten in einer Familie wäre auch die Untersuchung auf dieses spezifische genetische Merkmal hin möglich. Der wissenschaftliche Beirat der Bundesärztekammer hat dazu schon im vergangenen Jahr Richtlinien entworfen, erklärte der Aachener Reproduktionsmediziner Professor Henning Beier. Danach sei eine Präimplantationsdiagnostik dann sinnvoll, wenn ein hohes Risiko für eine bekannte und schwerwiegende, genetisch bedingte Erkrankung besteht.

Zur Zeit ist die PID allerdings noch umstritten – mancher Gelehrte sieht darin einen Verstoß gegen das geltende Embryonenschutzgesetz. Darin ist für Beier allerdings schon der Begriff Embryo falsch definiert. „Es ist ungeheuer wichtig, dass wir endlich auch in Deutschland die Embryologie zur Kenntnis nehmen.“ Frühe Entwicklungsstufen habe man früher als Furchungsstadium bezeichnet. Erst mit der in-vitro-Fertilisation habe sich die Bezeichnung Embryo auch dafür eingeschlichen, „ein lausiger Laborslang, eine Angewohnheit, die jetzt auch unsere Politiker für eine naturwissenschaftliche Gegebenheit halten“.

Der Berliner Bischof Wolfgang Huber hat mehr Probleme mit ungewollten Schwangerschaften als mit ungewollter Kinderlosigkeit. „Wir haben im Jahr 160.000 Abbrüche, davon 1.500 auf der Basis von Pränataldiagnosen“, erklärte Huber. Deshalb müsse man sich dieser Frage stellen und dürfe nicht ausweichen in Ersatzdebatten. Huber ist Mitglied des Anfang Mai von der Bundesregierung eingerichteten Nationalen Ethikrates. Der Rat soll über die ethischen Grenzen der Bio- und Gentechnik diskutieren und politische Empfehlungen abgeben. Kein neues Gesetz in diesem Bereich soll erlassen werden ohne vorher die Stimme des Ethikrates eingeholt zu haben. „Hilfen für Paare, die sich eigene Kinder wünschen, aber ungewollt kinderlos bleiben, sind zu begrüßen und zu unterstützen“ erkennt Huber die Bemühungen der Medizin an. Problematisch findet er jedoch die Tendenz, Kinderlosigkeit als Krankheit sehen. Sorgen bereitet ihm auch „das selektierende Element, das in der PID steckt“. Er befürchtet, dass aktive Selektion zu einem Grundelement der Pränataldiagnostik werde. Im Falle einer Neufassung des Embryonenschutzgesetzes will Huber schon die unbefruchtete Eizelle geschützt sehen.

Aus den Erfahrungen mit der Präimplantationsdiagnostik in England und Frankreich sieht Eberhard Schweiger nur Vorteile: „Mit der PID können wir einem Ehepaar sagen, wir machen mit dieser Eizelle keinen Transfer.“ Das sei für das Paar leicht verkraftbar, viel leichter als eine Abtreibung, wenn sich eine vererbte Erkrankung erst später herausstellt. „Im anderen Fall machen wir Hoffnungen, die nicht erfüllt werden.“ Auch wenn die Diskussion über die PID heute anders laufe, könne sie schon morgen zu einer Verbesserung der Schwangerschaftsrate beitragen.

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Barbara Ritzert idw

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