Eine Spritze gegen Sauerstoffmangel

Internationale Studie zum Einsatz von Gerinnungshemmern nach Herzstillstand / Federführung in der Klinik für Anaesthesiologie am Universitätsklinikum Heidelberg

Auch wenn der Notarzt meist rasch vor Ort ist: Einen plötzlichen Herzstillstand überlebt trotz Wiederbelebung nur jeder zehnte Patient – und die Folgen können gravierend sein. Durch den Sauerstoffmangel kann das Gehirn geschädigt werden. Rund 20 Prozent der Überlebenden tragen dauerhafte neurologische Schäden davon.

Eine internationale Studie, deren Federführung im Universitätsklinikum Heidelberg liegt, erprobt derzeit ein Medikament, das die Chancen der Patienten erhöhen könnte: Nach der Wiederbelebung wird ein Mittel gespritzt, das die Blutgerinnung hemmt. Die so genannte TROICA-Studie (Thrombolysis in Cardiac Arrest) gehört zu den weltweit größten Untersuchungen im Bereich der Notfallmedizin und schließt derzeit 830 Notfall-Patienten in zehn Ländern Europas ein. Bis zum Abschluss im Frühjahr 2006 soll die Zahl der Patienten auf 1.300 anwachsen. Geleitet wird diese Studie von Professor Dr. Bernd Böttiger, dem Stellvertretenden Direktor der Klinik für Anaesthesiologie am Universitätsklinikum Heidelberg.

In Deutschland sterben 100.000 Menschen pro Jahr an plötzlichem Herztod

Jeden Tag sterben in Europa etwa tausend Menschen am plötzlichen Herztod; allein in Deutschland sind es 100.000 pro Jahr. Warum die Chancen für eine Wiederbelebung (Reanimation) so schlecht stehen, erklärt Professor Böttiger so: „Einer der Gründe ist, dass es bei einem Herz-Kreislauf-Stillstand zu einer starken Aktivierung der Blutgerinnung kommt, so dass sich kleine Blutgerinnsel überall im Körper bilden.“ Trotz der Wiederbelebungsversuche werden die Organe nicht ausreichend mit Sauerstoff versorgt – das Gehirn nimmt wegen der kürzesten Toleranzzeit zuerst Schaden.

Dass eine medikamentöse Auflösung der tödlichen Hindernisse in den Adern (Lysetherapie) die Sauerstoffversorgung des Gehirns verbessern könnte, legen Einzelbeobachtungen und eine Pilot-Studie von Professor Böttiger nahe. Für die Idee von TROICA spricht zudem: Bei mindestens 70 Prozent, wahrscheinlich sogar über 90 Prozent der Kreislaufstillstände liegen ein Herzinfarkt oder – seltener – eine Lungenembolie zugrunde. Und bei beiden Krankheiten werden gerinnungshemmende Mittel bereits eingesetzt. „Demnach könnte man also schon während der Wiederbelebung die Ursache des Herz-Kreislauf-Stillstandes behandeln“, folgert Böttiger. Bisher gehört dies nicht zur üblichen Notfalltherapie; zu groß ist die Angst der Mediziner, eine innere Blutung auszulösen.

Bei den im Rahmen der Studie behandelten Fällen von Herzstillstand trifft der Notarzt zunächst alle Maßnahmen zur Wiederbelebung. Dann erhält die Hälfte der Patienten – doppeltblind verschlüsselt – den Wirkstoff Tenecteplase. Die von der Herstellerfirma mit ca. zehn Millionen Euro unterstützte Studie überprüft die Ergebnisse anhand verschiedener Kriterien: beispielsweise die Zahl der Patienten, die ins Krankenhaus aufgenommen werden, die 30-Tage-Überlebensrate, das neurologische Ergebnis nach 30 Tagen beziehungsweise bei der Entlassung aus der Klinik, mögliche Blutungen und Nebenwirkungen.

Im Laufe der Studie kontrollieren Experten, ob die Behandlung der Notfallpatienten zu Komplikationen führt. „Offensichtlich ist sie als relativ sicher anzusehen“, unterstreicht Professor Böttiger. Der Heidelberger Studienleiter ist sich der weltweiten Beachtung der Studienergebnisse sicher. Schon die Aktualisierung der „Internationalen Richtlinien zur Cardiopulmonalen Reanimation“ im Dezember 2005 könnte Hinweise auf eine Lysetherapie enthalten.

Ansprechpartner:
Prof. Dr. Bernd W. Böttiger
Stellv. Geschäftsführender Direktor der Klinik für Anaesthesiologie
Universitätsklinikum Heidelberg
Im Neuenheimer Feld 110, 69120 Heidelberg
Tel.: 06221 / 56-6351, Fax: 06221 / 56-5345
E-mail: bernd.boettiger@med.uni-heidelberg.de

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Dr. Annette Tuffs idw

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