Mit Silizium gegen den Krebs

An der Technischen Universität München konstituiert sich ein Projektverbund, der die Weiterentwicklung der Chiptechnologie zur Analyse von Tumoren zum Ziel hat


Wie verhält sich ein Krebsgewebe im Organismus? Warum entartet ein Tumor? Welche Medikamente sind für einen bestimmten Krebs die wirkungsvollsten? Dies alles sind Fragen, die in der Medizin noch immer große Rätsel aufgeben. Einig sind sich Wissenschaftler und Ärzte, dass Behandlungsstrategien in Zukunft individueller auf den Patienten abgestimmt werden müssen, um größere Heilungserfolge zu erzielen und nicht zuletzt um Kosten im Gesundheitswesen zu senken. Dazu benötigt man Systeme, die präzise Informationen über die Biologie von Tumorgeweben geben. Zudem sollten sie zuverlässige Aussagen liefern, wie die Gewebe auf medizinische Wirkstoffe ansprechen. Dazu entwickelt Professor Bernhard Wolf und sein Team vom Heinz Nixdorf Lehrstuhl für Medizinische Elektronik an der TUM eine Chiptechnologie, die die Analyse der erkrankten Gewebe ermöglicht. Um diese weiter zu entwickeln, hat sich nun unter seiner Führung ein neuer Projektverbund konstituiert. Im Vorfeld seiner Gründung trafen sich Experten im Bayerischen Wissenschaftsministerium bei einem Symposium zum Gedankenaustausch.

„Wenn wir die Tumorbiologie besser verstehen würden, dann würden Heilungschancen bei Krebserkrankungen steigen, zumindest aber werden wir Patienten ein längeres Leben ermöglichen können bei guter Lebensqualität“, ist sich der Onkologe Professor Michael Molls vom Klinikum rechts der Isar der TUM sicher. „Wichtig für uns ist vor allem zu wissen, wie die Medikamente im Tumor wirken. Denn unter Umständen können Wirkstoffe noch nicht einmal in die Krebszellen eindringen aufgrund des physiologischen Umfeldes“, erklärte der Mediziner. „Darum ist es für uns so wichtig dieses physiologische Milieu eines Tumors noch vor der Behandlung zu analysieren.“ Das physiologische Milieu eines Tumors besteht vor allem aus seiner Gefäß-, Blut- und Sauerstoffversorgung, sowie aus seinem Energiestoffwechsel. Dieses System ist sehr komplex und wird vor allem in der Molekularbiologie erforscht.

„Zu Beginn einer Chemotherapie wäre es für uns entscheidend, zu wissen, ob ein Tumor durch Hypoxie charakterisiert ist“, sagte Molls. Hypoxie bezeichnet nicht nur die Resistenz eines Tumors gegenüber Medikamenten, sondern auch, ob ein Krebs zur unkontrollierten Metastasenbildung neigt. „Wir wissen aus Studien an Kopf-Hals Karzinomen, dass Hypoxie auch in kleinsten Tumoren stattfindet“ erläuterte der Onkologe. „Wenn wir wissen, wo besonders hypoxische Bereiche im Tumor lokalisiert sind, dann könnten wir diese gezielt bekämpfen. Aber hier steht die Forschung noch sehr am Anfang“, gab Molls zu. „Zudem wüssten wir natürlich auch gerne, ob sich die Biologie des Tumors und damit eventuelle auch seine Hypoxie während einer Therapie ändert“, fügte er an.

Eine komplexe Tumorbiologie verlangt nach komplexen Testverfahren wie Chipsysteme zur Gewebeanalyse. Deshalb fordert Molls eine vermehrte Technologieentwicklung in der Medizin in den nächsten Jahren. „Gerade in der Verbesserung der Medizintechnik sind durchschlagende Erfolge in der Behandlung von Patienten am ehesten zu erwarten“, glaubt er. „In zehn Jahren werden Krebserkrankungen die Herz-Kreislauferkrankungen als häufigste Todesursache überholt haben“, ist sich Dr. Axel Stang von der Medizinischen Abteilung II des Allgemeinen Krankenhauses in Hamburg-Altona sicher. Heute zeigt die medikamentöse Behandlung solider Tumore, die noch nicht gestreut haben, einen Therapiererfolg von etwa 20 Prozent. „Aus diesen Gründen brauchen wir individuellere Behandlungen von Krebspatienten, um unsere Erfolgsraten zu steigern und um in Zukunft wirtschaftlich arbeiten zu können“, sagte der Mediziner. In Anbetracht der ständig steigenden Ausgaben für Medikamente, die im ersten Quartal 2005 auf 5,3 Milliarden Euro angewachsen sind – fast eine Milliarde mehr als im ersten Quartal 2004 – warnte Stang vor einer unbezahlbaren Therapiesituation in der Zukunft. „Wir müssen also etwa vor einer Chemotherapie die Patienten herausfischen, die noch therapierbar sind“, meinte der Experte. „Dafür brauchen wir aber schlagkräftige Argumente gegenüber dem Patienten, wie ein zuverlässiges Analysesystem des Stadiums der Erkrankung.“

Vor diesem Hintergrund stellte Professor Bernhard Wolf seine Konzepte zur Entwicklung eines Testsystems vor, das eine Vorhersage des Ansprechverhaltens, der so genannten Chemosensitivität, von individuellem Tumorgewebe bei der Behandlung mit Medikamenten erlaubt. Herzstück seines Systems ist ein, etwa briefmarkengroßer elektronischer Sensorchip, der vorwiegend aus dem Element „Silizium“ besteht und auf dem das erkrankte Gewebe wächst. Dieser Chip wurde am Wolfs Lehrstuhl entwickelt und bereits getestet.
Das Gewebe-Chip-System ist abgeschlossen von der Umgebung durch eine mikroskopierbare Kultur und Reaktionskammer. „Mit dem Chip können wir den Metabolismus, also den Stoffwechsel des Zellgewebes verfolgen und untersuchen, wie es etwa auf die Zugabe von Medikamenten reagiert“, erklärte Wolf. „Dabei messen wir die grundlegenden Prozesse, mit denen alle Zellen reagieren, zum Beispiel die Sauerstoffversorgung des Gewebes oder den pH-Wert des Milieus.“ Die TUM – Medizintechniker wollen sich in Zukunft vor allem auf die Analyse von ganzen Gewebekulturen konzentrieren. „Das spiegelt die Realität, im Gegensatz zu traditionellen Zellkulturen, am besten wider“, meinte Wolf.

Doch auf dem Weg zur klinischen Anwendung eines solchen Chips zur Chemosensitivitätsmessung oder zur Diagnose von Krebs sind noch einige Hürden zu überwinden. „Wichtig ist vor allem, dass der Siliziumchip nicht das Verhalten der Zellen verändert, denn wir wollen die Zellaktivitäten so beobachten, wie sie auch im lebenden Organismus, also „in vivo“, ablaufen würden“, sagte der Münchner Medizintechniker. „Auch spezifische biochemische Wirkungsmechanismen in den Zellen können wir noch nicht sichtbar machen, diese müssten mit ergänzenden Methoden abgeklärt werden“, meint er. „Zur Zeit aber eignet sich unsere Entwicklung aber schon zum Vergleich verschiedener Zell- und Gewebekulturen. Das Potenzial unseres Testverfahrens ist somit angesiedelt zwischen der traditionellen Zell- und Gewebekultur in einer Petrischale und dem Tierversuch.“ Nun wollen Wolf und sein Team weiter daran arbeiten, dass Tierversuche zur Abklärung allgemeiner toxischer Wirkungen durch ein Testverfahren mittels Chip ersetzt werden können und man dadurch den Metabolismus einer Zellkultur über einen noch längeren Zeitraum verfolgen kann. Um die Chiptechnologie weiter zu entwickeln hat Wolf nun mit Partnern aus der Wissenschaft und der Industrie im Anschluss an das Symposium einen Projektverbund ins Leben gerufen.

Auf dem Symposium wurde zudem deutlich, dass die Forscher mit weiteren Ansätzen aus der Medizintechnik den Kampf gegen den Krebs in den letzten Jahren verstärkt aufgenommen haben. Am Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ) in Heidelberg hat man Erfolge bei der Entwicklung von Siliziumchips zur DNA – Analyse erzielt, berichtete Dr. Jörg Hoheisel. „Wir können über DNA-Chips bereits Genmutationen im Erbgut nachweisen, die zur Entartung gesunder Zellen geführt haben“, erklärte er.

Im menschlichen Genom können die Heidelberger Wissenschaftler von den etwa 30.000 Genen, die wir besitzen, 15.000 mit der Entstehung von Tumoren in Verbindung bringen. Bei dem unheilbaren und schnell tödlichem Pankreas-Krebs haben die Forscher bereits Zielgene identifiziert, die sie für die verschiedenen Ausprägungen der Krankheit verantwortlich machen. „Damit kann man nun gezielter auf die Suche nach Wirkstoffen für die Medikamentenentwicklung gehen“, sagt Hoheisel.

Bei der Firma Roche Diagnostics im bayerischen Penzberg setzt man in der Krebsforschung auf die Proteomic. Dabei werden über die Massenspektroskopie die Proteine identifiziert, die sich in einer erkrankten Zelle von denen einer gesunden Zelle unterscheiden. „In aufwendigen Studien beobachten die Wissenschaftler nun die Auswirkungen der Proteinveränderungen auf das Blut des gesamten Organismus“, berichtete Dr. Michael Tacke von Roche. „Dort suchen wir nach spezifischen Biomarkern der Krebserkrankung, um den Tumor klassifizieren zu können. „Theoretisch müsste jeder Krebs spezifische Biomarker produzieren“ erläutert Tacke. „Doch ob die Zellen diese Indikatoren auch ins Blut übertragen, wissen wir noch nicht.“

Auch in der Mikroskopie werden die technischen Verfahren immer mehr verfeinert, um die Vorgänge in erkranktem Tumorgewebe detaillierter sichtbar zu machen. Bei der Firma „Evotec“ verwendet man die so genannte Hochdurchsatzmikroskopie. ?Damit sind wir in der Lage von einzelnen Tumorzellen im Gewebe mehr etwa 100.000 Bilder an einem Tag anzufertigen“, berichtete Dr. Rolf Günther. „Mit unterschiedlichen Spektren von Laserlicht, die sich im Mikroskop erzeugen lassen, können wir auch unterschiedliche Zellbereiche und ihre Reaktionen auf Fremdeinwirkungen wie Zytostatika studieren.“ Zytostatika sind Substanzen, die darauf abzielen, das Zellwachstum bzw. die Zellteilung zu hemmen.

In der anschließenden Podiumsdiskussion waren sich die Teilnehmer einig, dass zukünftige Behandlungsmethoden in der Krebstherapie individueller auf den Patienten abgestimmt werden müssen und chipbasierte Analysesysteme zur genauen Diagnostik einer Erkrankung möglichst schnell an die Kliniken gebracht werden. Mit den elektronischen Biochips aus den Labors ließe sich dann in Korrelation mit realen Krankheitsfällen diese Technologie schnell verbessern, so das Fazit.

Weitere Informationen erhalten sie von:

Prof. Bernhard Wolf
Heinz Nixdorf-Lehrstuhl für Medizinische Elektronik
Technische Universität München
Arcisstraße 21
80 333 München
Tel.: 089 289 22948
Fax: 089 289 22950
E-mail: wolf@tum.de

Dr. rer. nat. habil. Angela Otto
Heinz Nixdorf-Lehrstuhl für Medizinische Elektronik
Technische Universität München
Arcisstraße 21
80 333 München
Tel.: 089 289 22913
Fax: 089 289 22950
E-mail: 0tto@tum.de

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