Ernährungsmediziner warnen: Ernährungsstatus entscheidet über Leben und Tod

Die Dicken sieht man, die Mangelernährten nicht

Der schlechte Ernährungsstatus der Bevölkerung stellt Medizin und Gesellschaft vor zunehmende größere Herausforderungen. Darauf machte heute (18.) die Deutsche Gesellschaft für Ernährungsmedizin (DGEM) bei ihrem Jahreskongress „edi 2005“ in Berlin aufmerksam. „Fehlernährung ist in Deutschland ungeheuer häufig. Jeder Dritte ist übergewichtig, gleichzeitig sind aber auch 20 bis 30 Prozent der Krankenhauspatienten unterernährt. Dadurch wird nicht nur Lebensqualität und Wohlbefinden beeinträchtigt. Mangelernährte Patienten erholen sich langsamer, erleiden häufiger ernste Komplikationen, sind stärker pflege- und intensivpflegebedürftig und bleiben länger im Krankenhaus, mit deutlich höheren Krankheitskosten“, betonte der DGEM-Präsident Professor Berthold Koletzko vom Klinikum der Universität München. Eine effektive Vorbeugung und Behandlung der Mangelernährung helfe nicht nur den Patienten, sondern spare auch Kosten für die sozialen Sicherungssysteme.

Die Europäische Union fördert daher große Studien, wie die EPIC-Studie (European Prospective Investigation into Cancer and Nutrition), um den Einfluss der Ernährung auf Krankheiten wie Fettleibigkeit, Diabetes und Krebs an 519.000 Studienteilnehmern zu untersuchen. Erste Ergebnisse legte Professor Dr. Heiner Boeing, vom Deutschen Institut für Ernährungsforschung in Potsdam-Rehbrücke vor, das rund 27.500 Studienteilnehmer betreut. Boeing berichtete, dass im Fettgewebe vermehrt Hormone gebildet werden, die Diabetes begünstigen.

Während das wachsende Problem des Übergewichts schon im Straßenbild offensichtlich ist, das teuer zu behandelnde Krebs-, Diabetes- und Herzkreislauf-Erkrankungen begünstigt, bleibt ein anderes Ernährungsproblem, nämlich Unter- und Fehlernährung, insbesondere bei älteren Menschen, oft verborgen. Das angesichts der Bevölkerungsentwicklung dramatisch zunehmende Problem kommt erst durch umfangreiche Untersuchungen zu Tage. So gibt es immerhin bei 41 Prozent aller Menschen, die zu Hause oder in Heimen gepflegt werden, Mängel bei der Versorgung mit Nahrung und Flüssigkeit. Dies geht aus dem Pflegebericht hervor, den der Medizinische Dienst der Spitzenverbände der Krankenkassen im Herbst der Bundesregierung vorgelegt hat.

Müssen sich diese Menschen einer Operation unterziehen, ist die Komplikationsrate deutlich höher als bei normal ernährten Menschen, berichtete Professor Dr. Arved Weimann vom Städtischen Klinikum Leipzig. Daher sei es in vielen Fällen sinnvoll, Operationen zu verschieben und zunächst eine gezielte Ernährungstherapie zu beginnen. Die medizinischen Fachgesellschaften hätten dazu bereits entsprechende Empfehlungen und Leitlinien verabschiedet.

Die hohe Zahl von Menschen, die an Mangelernährung leiden, sei alarmierend, betonte auch der Vizepräsident der DGEM, Professor Dr. Herbert Lochs. Betroffen sind vor allem ältere und kranke Menschen. In einer deutschlandweiten Studie wurde gezeigt, dass etwa fünfzig Prozent der Patienten über 65 in Krankenhäusern bereits bei der Aufnahme mangelernährt sind. Bei älteren Menschen sind die Auswirkungen der Mangelernährung besonders kritisch, da sie dadurch in ihren Funktionen rasch eingeschränkt werden, häufiger stürzen, sich öfter verletzen und so auch häufiger ins Krankenhaus aufgenommen werden und dort länger behandelt werden müssen. Die gute Nachricht kommt aus einer ganz neuen Studie, in der solche Patienten mit einer Trinknahrung für zwei Monate nach der Krankenhausentlassung behandelt wurden. Im Gegensatz zu den „nor-mal“ behandelten Menschen verbesserten sich bei den Patienten mit Trinknahrung nicht nur der Ernährungszustand, sondern auch die Funktionsfähigkeit und die Lebensqualität.

Die Gesellschaft müsse auf die schlechte Ernährungssituation reagieren. Defizite sieht Lochs zum einem bei der Ausbildung der Ärzte. Viele seien nicht ausreichend geschult, um Mangelernährung zu erkennen. Glücklicherweise habe der Deutsche Ärztetag die Ernährungsmedizin inzwischen in der Musterweiterbildungsordnung fest verankert. Voraussetzung zur Weiterbildung „Ernährungsmedizin“ seien bestimmte Facharztabschlüsse.

Nachbesserungsbedarf sieht Lochs jedoch auch bei der finanziellen Ausstattung von Praxen und Kliniken. Es müsste auch genügend Geld verfügbar sein, um den Ernährungszustand eines Patienten überhaupt angemessen untersuchen zu können. „Diese Untersuchungen helfen jedoch nichts, wenn die Ärzte anschließend keine Möglichkeit haben, adäquat zu therapieren.“ Ernährungsberatung allein reiche oft nicht aus.

Diesen Hinweis richtete Lochs auch an die Adresse des Gemeinsamen Bundesausschusses, in dem Krankenkassen und Ärzte festlegen, was die gesetzlichen Krankenkassen noch bezahlen dürfen. Er hatte am Dienstag dieser Woche beschlossen, die Erstattung künstlicher Ernährung in der ambulanten Versorgung durch Änderung der entsprechenden Arzneimittelrichtlinien drastisch einzuschränken. Lochs befürchtet eine Zuspitzung der ohnedies angespannten Situation in der ambulanten Pflege. Die Bemühungen der Ärzteschaft, der Ernährungstherapie durch geänderte Weiterbildungsvorschriften einen höheren Stellenwert einzuräumen, würde dadurch entwertet.

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Brigitte Herbst presseportal

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