Johanniskraut: Wirkung vorhanden, aber geringer als angenommen

In einer soeben im British Journal of Psychiatry veröffentlichten Übersichtsarbeit untersuchten Klaus Linde vom Münchner Zentrum für naturheilkundliche Forschung und Kollegen den Einfluss von Johanniskraut (Hypericum perforatum) auf Depressionen. Dazu analysierten sie 37 Studien, in denen Patienten mit Depressionen über mindestens einen Monat lang entweder mit Johanniskraut, einem Standard-Antidepressivum oder mit einem Placebo behandelt wurden. Die Ergebnisse zeigen, dass Johanniskraut bei leichten und mittelschweren Depressionen hilft, der Effekt jedoch nicht so ausgeprägt ist wie bislang angenommen. Grund dafür ist unter anderem der Einschluss von neueren, methodisch anspruchsvollen Untersuchungen aus den USA, die keine oder nur eine geringe positive Wirkung des Pflanzenextraktes nachweisen konnten.


Neue Studienlage

Im Gegensatz zu früheren Übersichtsarbeiten, fanden in diese Metaanalyse nur solche Studien Eingang, die strengen wissenschaftlichen Anforderungen entsprachen. So durfte weder Arzt noch Patient wissen, ob ein Antidepressivum, Johanniskraut oder ein Placebo eingenommen wurde (doppelblinde Versuchsanordnung). Zusätzlich musste die Einteilung der Versuchsteilnehmer in die Wirkstoff- oder Placebo-Gruppe zufällig erfolgt sein (randomisiert). Die Autoren der Übersichtsarbeit machten sich auch auf die Suche nach Studien, die – häufig wegen negativer Ergebnisse – nicht veröffentlicht wurden und bezogen diese mit in die Analyse ein.

Johanniskraut wirkt etwas besser als Placebo

Insgesamt analysierte das Forscherteam, das sich aus deutschen, schweizerischen und US-amerikanischen Experten zusammensetzt, Ergebnisse von 5603 erwachsenen Versuchspersonen. In 26 Studien wurde Johanniskraut mit einem Placebo verglichen, in 14 Studien musste das pflanzliche Heilmittel gegen ein Standard-Antidepressivum antreten. Bis auf 11 stammten alle Untersuchungen aus deutschsprachigen Ländern. Insgesamt wirkte Johanniskraut statistisch signifikant besser als ein Scheinpräparat; abhängig vom Patientenkollektiv etwa 1,1- bis 2-mal so gut und sehr ähnlich wie Standard-Antidepressiva wie beispielsweise Imipramin oder Sertralin. Frühere Metaanalysen hatten dem Johanniskraut im Vergleich zum Placebo noch eine 2,5-mal bessere Wirkung bescheinigt.

Je neuer die Studie umso schwächer der Effekt

Im Vergleich zwischen Hypericumextrakt und Plazebo fiel der positive Effekt des Johanniskrauts umso schwächer aus je aktueller die Ergebnisse, je höher die Anzahl der Versuchsteilnehmer und je schwerer die Depressionen war. Sowohl für den Vergleich mit Placebo als auch mit Antidepressiva galt: In Studien aus deutschsprachigen Ländern schnitt Johanniskraut besser ab als in anderen Ländern. Patienten, die den Pflanzenextrakt einnahmen, litten unter geringeren Nebenwirkungen und unterbrachen die Studien seltener als Patienten, die ältere Standard-Antidepressiva erhielten. Im Vergleich mit modernen Medikamenten, den Serotonin Wiederaufnahme-Hemmern (SSRI), war dieser Trend allerdings nicht signifikant.

Nur in die Hand des Arztes

„Frühere Studien haben die positive Wirkung des Johanniskrauts vermutlich überschätzt“, interpretiert der Erstautor der Übersichtsarbeit, Klaus Linde, die Ergebnisse. Wie so häufig in der komplementären Medizin gibt es viele widersprüchliche Daten, die eine konkrete Einschätzung der Wirkung schwer machen. „Aber auch wenn die Evidenz für den Effekt des Pflanzenextrakts schwächer geworden sind, so ist sie immer noch positiv“, betont der Arzt und Epidemiologe Klaus Linde. Auch das Ausmaß der Nebenwirkungen, selbst wenn sie gering sind, sollte nicht unterschätzt werden. „Es besteht die Möglichkeit, dass Johanniskraut die Wirkung anderer Medikamente – wie beispielsweise der Pille – beeinflusst“, warnt der Mediziner. Daher gehört die Johanniskraut-Therapie in die Hände eines erfahrenen Arztes und sollte nicht selbstständig vom Patienten durchgeführt werden.

Die Übersichtsarbeit „St Johns wort for depression“ ist soeben im British Journal of Psychiatry erschienen (Br J Psychiatry 2005;186;99-107) und wird im Laufe des Jahres in der Cochrane Collaboration Library veröffentlicht. Falls Sie Interesse an weiteren Informationen haben oder ein Interview mit Klaus Linde führen möchten, wenden Sie sich bitte an die Pressestelle des Klinikum rechts der Isar der TU München.

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Dr. Fabienne Hübener idw

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