Rheumakranke schlecht versorgt

Rheumakranke in Deutschland sind medizinisch unterversorgt. Aktuelle Zahlen aus der bundesweiten Kerndokumentation, der Datenbasis der Arbeitsgemeinschaft der regionalen kooperativen Rheumazentren, zeigen erschreckende Defizite.

Darüber hinaus zeichnen sich bereits weitere Versorgungslücken ab: Weil die niedergelassenen internistischen Rheumatologen unter den derzeitigen Vergütungsbedingungen Probleme haben, mit ihren Praxen wirtschaftlich zu überleben, wandern viele in die hausärztliche Tätigkeit ab und stehen damit nicht mehr wie bisher für die Betreuung von Rheumapatienten zur Verfügung.

Von einer entzündlich-rheumatischen Erkrankung sind in Deutschland mindestens eine Million Menschen betroffen. Wegen der Komplexität der rheumatologischen Krankheitsbilder sollten diese Patienten möglichst von Anfang an von einem Spezialisten – dem internistischen Rheumatologen – (mit)betreut werden. Die frühzeitige und fachkompetente Versorgung kann in vielen Fällen Folgeschäden vermeiden und die Lebensqualität erhalten.

Die Realität sieht aber anders aus, wie die jüngsten Daten der Kerndokumentation aus den Jahren 1999 und 2000 belegen. Die bundesweite Erhebung, die zentral am Deutschen Rheuma-Forschungszentrum in Berlin geführt wird, erfasst seit 1993 jedes Jahr die Daten von ca. 30.000 Patienten mit entzündlich-rheumatischen Erkrankungen aus rund 100 rheumatologischen Praxen und Kliniken.

Die Realität: Therapiert wird nicht oder nur unzureichend

Tatsächlich erreicht höchstens ein Viertel der Rheumakranken die internistischen Rheumatologen in Klinik oder Praxis, drei von vier Betroffenen sehen den Spezialisten nicht. Noch immer dauert es Jahre, bis der Facharzt erstmals konsultiert wird; wertvolle Zeit, die für die Beeinflussung der Erkrankung verloren gegangen ist. So kommen z. B. Patienten mit rheumatoider Arthritis im Mittel erst 1,7 Jahre nach Krankheitsbeginn in die fachrheumatologische Behandlung, Patienten mit Spondylarthropathien (z. B. Morbus Bechterew) sogar erst nach 5 Jahren.

Die Unterschiede zwischen internistisch-rheumatologisch und rein hausärztlich betreuten Rheumapatienten sind evident:

– Während Rheumatologen z. B. Patienten mit früher (Krankheitsdauer < 2 Jahre) rheumatoider Arthritis in 70 % mit so genannten Basistherapeutika behandeln (z. B. Methotrexat, Sulfasalazin oder Antimalariamittel), die die Krankheit unterdrücken und die Gelenkzerstörung bremsen können, beginnen Hausärzte eine solche Therapie nur in 13 %. – Von allen Patienten, die 1999 bei internistischen Rheumatologen vorstellig wurden, hatten 70 % in den letzten 12 Monaten überhaupt keine Basistherapie erhalten. Selbst bei längerer Krankheitsdauer kam mehr als die Hälfte ohne jede Vortherapie in die rheumatologische Mitbetreuung. – Besonders deutlich wird die Unterversorgung, wenn man nur Patienten mit schweren Verlaufsformen berücksichtigt: Während beim Rheumatologen unabhängig von der Krankheitsdauer mehr als 90 % dieser Patienten basistherapeutisch versorgt waren, galt dies beim Hausarzt nur für 27 % der kurz (unter 2 Jahre) und 57 % der länger Kranken. – Im Vergleich mit schon länger rheumatologisch betreuten Patienten zeigen die wenigen durch Hausärzte basistherapeutisch vorbehandelten Patienten im Mittel noch eine deutlich höhere Entzündungsaktivität als Zeichen unzureichender Krankheitskontrolle. – Eine Osteoporoseprophylaxe oder Osteoporosetherapie erhielten beim Hausarzt nur 14%, beim Rheumatologen 53% der schwer Erkrankten. Aber auch innerhalb der Rheumatologie gibt es große Unterschiede im Therapieverhalten. Eine Kombination verschiedener Basistherapeutika wird derzeit nur bei 28 % der Patienten mit schweren Verläufen eingesetzt, obwohl gerade hier die Kombination bessere Behandlungserfolge verspricht als die Monotherapie. Im internationalen Vergleich ist das eine sehr niedrige Rate von Kombinationstherapien.

Ergänzende Maßnahmen vernachlässigt

Die Unterversorgung von Rheumapatienten betrifft auch ergänzende Maßnahmen, die von zentraler Bedeutung für den Funktionserhalt sind. Im Vergleich zu den Vorjahren erhielten Rheumakranke 1999 weniger Gruppengymnastik, Bewegungsbäder, Massagen, Ergotherapie und Patientenschulungen. Dieser Rückgang ist direkt verknüpft mit dem Rückgang bei den medizinischen Rehabilitationsmaßnahmen (von 14 % auf 11 % pro Jahr) und kann derzeit durch ambulante Institutionen nicht aufgefangen werden, da dort nicht genügend Fachkräfte für die kompetente Betreuung von Rheumakranken bereitstehen.

Rheumatologen wandern ab

Der Versorgung von Rheumakranken im ambulanten Bereich droht eine weitere Verschlechterung, weil die niedergelassenen internistischen Rheumatologen zunehmend in die Hausarzttätigkeit abwandern. Von den knapp 300 internistischen Rheumatologen, die 1999 in freier Praxis tätig waren, sind heute nicht einmal mehr 200 übrig. Die anderen haben ihren Schwerpunkt umgewidmet und stehen somit nicht mehr für die zeitintensive, aber zum Teil schlecht vergütete Betreuung der Rheumakranken zur Verfügung. Schuld daran ist die Aufteilung der Vergütung in einen hausärztlichen und fachärztlichen Teil, die regional sehr unterschiedlich gehandhabt wird. Vor allem in den neuen Bundesländern sah sich die Mehrzahl der Rheumatologen dazu gezwungen, die Rheumatologie zu Gunsten der Hausarzttätigkeit aufzugeben. In einzelnen Regionen ist kaum noch ein rheumatologisch tätiger Arzt in der ambulanten Versorgung zu finden.

Media Contact

Dr. Julia Rautenstrauch idw

Weitere Informationen:

http://www.rheumanet.org/

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