Das digitale Zeitalter der Chirurgie: Irrweg oder Quantensprung?

Die informationsgestützte Chirurgie wird zu einem Umbruch in der Medizin führen. Darauf wies ein führender Mediziner vor Experten des VDE jetzt hin.

“Die digitale Chirurgie kommt der Vision eines gläsernen Patienten näher”, darauf wies Dr. Med. Gero Strauß, Oberarzt an der Klinik und Poliklinik für HNO-Heilkunde der Universität Leipzig auf dem VDE Kongress 2004 in Berlin hin. So sollte idealerweise vor, während und nach einer Operation ein genaues individuelles Abbild der Anatomie, der Pathologie und der Funktion des Organsystems vorliegen. “Zahlreiche Verfahren liefern heute bereits detailgetreue Abbildungen mit einer Auflösung um 1 mm”, resümiert der Experte. Eine Auflösung im mikroskopischen Bereich, auch molecular imaging genannt, werde in den nächsten 10 Jahren erwartet. “In der Bildgebung liegt das Potenzial einer neuen Chirurgie”, versichert Strauß. Der Weg vom Potenzial zur Realität werde mit der Einführung der Navigationssysteme beschritten.

Bei dieser “Computer-Assistierten-Chirurgie” müsse der Chirurg die zusätzlich verfügbaren Informationen filtern, verarbeiten und umsetzen. Diese Leistungsanforderung übersteige jedoch zumindest teilweise das durchschnittliche menschliche Reaktionsvermögen, gibt der Arzt zu bedenken. Sämtliche Informationen der Navigation seien in den konventionellen Konzepten der Kognition des Chirurgen überlassen. Es liege daher nahe, die Navigationsformen direkt an das aktive chirurgische Instrument zu koppeln, möglicherweise sogar unter Umgehung des Chirurgen.

“Am Beispiel der Siebbeinchirurgie lässt sich die Inkonsequenz heutiger Navigationsverfahren darstellen”, erläutert der Experte. Das diagnostische CT der Nasennebenhöhlen verfüge heute bei einer Schichtdicke von 1 mm über etwa 100 Schichten. Diese Datendichte erlaube die Darstellung des Siebbeinsystems der vorderen Schädelbasis. Hierbei sei für den ungeübten HNO-Chirurgen eine Festlegung von Arbeitsräumen, Gefahrenstellen und zu schützenden Arealen heute bereits prinzipiell möglich.

“Seit Jahren sind diese Registrierverfahren weiterentwickelt worden, um diese Genauigkeit der CT auch auf die Instrumente zu übertragen”, sagt Strauß. Dadurch seien effektive chirurgische Genauigkeiten in Abhängigkeit von der Registriermethode zwischen 1 und 3 mm in der Region des Siebbeins möglich geworden. Im Gegensatz hierzu finde die eigentliche Operation jedoch unverändert frei Hand ohne jeden direkten Bezug zu den verfügbaren Navigationsdaten statt. “Es besteht also eine offensichtliche Lücke zwischen den aufwändig gewonnenen Koordiatendaten des Patienten und der intraoperativen rein manuellen Umsetzung”, beklagt der Arzt.

Ungeachtet dieser Umgereimtheiten möchte Strauß die informationsgestützte Chirurgie nicht als Irrweg bezeichnen. “Vielmehr möchte ich von einem Quantensprung sprechen”, sagt er. Voraussetzung hierfür sei der Einsatz der in der Zukunft noch steigerbaren Auflösungen digitaler Informationen des jeweiligen Patienten. “Alle diese technischen Möglichkeiten des Feingerätebaus, der Optik und der Mikroelektronik werden diese Entwicklung begleiten und zu sich gegenseitig beschleunigenden Prozessen führen”, hofft Strauß.

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Rolf Froböse Rolf Froböse

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