Seelische Erkrankungen: Therapiechancen zu wenig genutzt!

Die meisten Menschen mit einer psychischen Erkrankung können heute wirksam behandelt werden. Das Stigma der psychischen Krankheit und mangelnde Information verhindern oft, dass gezielte Hilfe in Anspruch genommen wird, die Betroffenen stellen beim Arzt oft die begleitenden körperlichen Symptome in den Vordergrund. Die Folge sind oft Fehldiagnosen und Fehlbehandlungen.

Die meisten Menschen mit einer psychischen Erkrankung können heute wirksam behandelt und ihr Leid – wenngleich nicht immer beseitigt – doch bei der Mehrzahl der Betroffenen erheblich gemindert werden.

Der diesjährige „Welttag für Seelische Gesundheit“ (10. Oktober 2004) steht unter dem Motto „Zusammenspiel von seelischer und körperlicher Gesundheit“. Die Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenheilkunde, (DGPPN) weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass weiterhin psychische Erkrankungen auch in hochzivilisierten Ländern einer Stigmatisierung unterliegen. Dabei ist ein besonders Problem, dass die Patienten ihre psychische Erkrankung selber als Stigma beurteilen und in der Folge oft die meist begleitend auftretenden körperlichen Symptome beim Arzt in den Vordergrund stellen. Daraus ergeben sich Fehldiagnosen und Fehlbehandlungen. Nur ein konsequenter Abbau des Stigma-Problems, d.h. eine „political correctness“ auch gegenüber psychisch Erkrankten wird dieses Problem lösen. Wenn psychisch Erkrankte sich nicht mehr wegen Ihrer Erkrankung schämen, können sie von den großen Behandlungsfortschritten in Psychiatrie und Psychotherapie profitieren.

Psychische Erkrankungen, allen voran Angsterkrankungen, Depressionen, Alkohol- und andere Suchterkrankungen, sowie in zunehmendem Masse auch Demenzen zählen zu den häufigsten Erkrankungen in unserer Gesellschaft. Sie sind nicht nur mit Leid und Behinderung für die Betroffenen und deren Angehörige verbunden, sondern auch von immer größerer volkswirtschaftlicher Bedeutung. Die Behandlungsmöglichkeiten haben sich in den letzten Jahrzehnten stetig verbessert.

Trotz der verbesserten Therapiechancen nimmt ein großer Teil der Menschen mit psychischen Erkrankungen keine Hilfe in Anspruch; das Stigma der psychischen Krankheit und ihrer Behandlungsinstitutionen sowie Unwissenheit infolge fehlender Aufklärung tragen zu dieser Situation bei.

Am Welttag der Seelischen Gesundheit (10.Oktober) soll auf das mit seelischen Erkrankungen verbundene Leid aufmerksam gemacht werden: Seelische Gesundheit ist nicht selbstverständlich. Ziel unserer Gesellschaft muss sein, die Prävention auf dem Gebiet psychischer Erkrankungen voranzutreiben und den Betroffenen Hoffnung auf Hilfe und Unterstützung durch wirksame Behandlung zu vermitteln.

Besondere Fortschritte konnten auch auf dem Gebiet der der Verhaltensmedizin erzielt werden. Die Verhaltensmedizin als interdisziplinäre Wissenschaft berücksichtigt in besonderer Weise die psychologischen, biologischen und sozialen Aspekte von Krankheit und nutzt empirisch geprüfte Erkenntnisse und Methoden, die in der Prävention, Diagnostik, Behandlung und Rehabilitation eingesetzt werden. Anwendungsbereiche sind nicht nur psychische Erkrankungen im engeren Sinne, sondern auch chronische Schmerzsyndrome sowie Erkrankungen von Herz und Kreislauf, Atemwegen, Magen-Darm-Trakt, sowie Krebs, Hauterkrankungen, Gynäkologische Erkrankungen, Immunerkrankungen, Adipositas, Diabetes Mellitus, Tinnitus und neurologische Erkrankungen.

Psychische Störungen bei körperlich kranken Patienten

Körperliche Erkrankungen werden häufig von psychischen Symptomen begleitet. Umgekehrt können körperliche Symptome auf eine psychische Erkrankung, z.B. eine Depression oder eine Angsterkrankung hinweisen, ohne dass eine körperliche Ursache vorhanden ist. Bei Menschen, die wegen körperlichen Erkrankungen in Behandlung sind, besteht ein erhöhtes Risiko, dass auch eine psychische Störung vorliegt. Nach Schätzungen von Experten müsste eigentlich bei ca. jedem siebten Krankenhauspatient ein Psychiater und Psychotherapeut hinzugezogen werden. Nach Untersuchungen von Prof. Volker Arolt aus Münster würden jedoch nur ein Viertel dieser Patienten überwiesen. Meistens liegen die Überweisungsraten an psychiatrisch-psychotherapeutische Konsiliardienste im Allgemeinkrankenhaus nur bei ca. einem Prozent.

Dabei sind psychische Erkrankungen nicht nur mit zusätzlichem Leid, sondern auch mit komplizierteren Krankheitsverläufen und längeren Verweildauern verbunden. Die Zahl der Wiederaufnahmen und ambulanter Arztbesuche ist erhöht, wenn zusätzlich zu einer körperlichen eine psychische Erkrankung besteht. Oft wird die Depression bei Patienten mit einer schweren körperlichen Grunderkrankung – z.B. nach Herzinfarkt oder Schlaganfall – übersehen, oder als normal und damit nicht behandlungsbedürftig angesehen. Zwar klingen depressive Syndrome bei akuten körperlichen Erkrankungen oft spontan wieder ab. Studien zeigten jedoch, dass 28 Prozent derjenigen, die bei Krankenhausaufnahme als depressiv eingestuft wurden, dies auch noch bei Entlassung waren und somit das Risiko von Komplikationen erhöht und die Chancen auf Heilung der körperlichen Krankheit vermindert ist. Ist ein Patient z.B. mehrere Tage nach begonnener Behandlung immer noch weinerlich, niedergeschlagen und hoffnungslos und zeigt wenig Teilnahme bei diagnostischen Untersuchungen und Therapiemaßnahmen, sollte eine Untersuchung durch einen Psychiater und Psychotherapeuten angefordert werden.

Auch alkoholabhängige Patienten, die sich wegen einer körperlichen Erkrankung auf einer internistischen oder chirurgischen Abteilung befinden, werden nur selten dem Konsiliarpsychiater oder einem Suchttherapeuten vorgestellt. Häufig wird ein Substanzmissbrauch immer noch als moralisches und nicht als medizinisches Problem angesehen und dementsprechend die Einschaltung des Psychiaters und Psychotherapeuten als nutzlos erachtet. Empirische Untersuchungen belegen, dass Früherkennung und Frühintervention von Alkoholmissbrauch und -abhängigkeit im Allgemeinkrankenhaus zum Erreichen einer Abstinenz und zur Verhinderung von Rückfällen hilfreich sein können.

Bei den sog. Somatisierungsstörungen klagen die Betroffenen über vielfältige körperliche Beschwerden, z.B. über Schmerzen in verschiedenen Bereichen, ohne dass körperliche Ursachen vorliegen, die das Ausmaß dieser Beschwerden erklären könnten. Betroffene gehen von Arzt zu Arzt, fühlen sich angesichts ihres Leids von den Ärzten und von Ihren Angehörigen nicht ernst genommen und werden oft erst zu spät auf Möglichkeiten einer Psychotherapie aufmerksam.

Zusammenarbeit von Psychiatern und Psychotherapeuten mit anderen Fachdisziplinen ist entscheidend

Durch die Einrichtung psychiatrisch-psychotherapeutischer Abteilungen an Allgemeinkrankenhäusern in den letzten Jahren sind die modernen psychiatrisch-psychotherapeutischen Methoden transparenter geworden. Umfragen weisen darauf hin, dass die Beratung durch einen Konsiliarpsychiater von der Mehrzahl der anfordernden Ärzte und von den gemeinsam betreuten Patienten als hilfreich angesehen wird.

In den letzten Jahren haben sich spezielle Ansätze in der Kooperation von Psychiatern und anderen Fachdisziplinen entwickelt. Hier wird häufig der Begriff Liaisonpsychiatrie verwendet. Im Vergleich zur klassischen Konsiliartätigkeit ist der Psychiater hier noch stärker in einen Bereich der somatischen Medizin eingebunden, z.B. durch gemeinsame Visiten und Fallbesprechungen. Dies kann die diagnostische Treffsicherheit der nicht-psychiatrischen Ärzte erhöhen und ihre Kompetenz im Umgang mit psychischen Problemen verbessern. Ebenso ist die psychotherapeutische Mitversorgung durch den Psychiater besser möglich. Sowohl bei gerontopsychiatrischen Patienten, in der Schmerzbehandlung, aber auch im Rahmen psychologischer Vorbereitung von Patienten auf Operationen, haben sich von Spezialisten durchgeführte psychologisch-psychotherapeutische Interventionen als effektiv erwiesen, nicht nur hinsichtlich einer emotionalen Unterstützung der Patienten, sondern auch unter Kosten-Nutzen-Aspekten (z.B. unabhängige Lebenssituation versus Heimunterbringung, Wiedererreichen von Arbeitsfähigkeit, geringerer Medikamentenverbrauch, kürzere postoperative Erholungszeit und kürzerer Krankenhausaufenthalt). Ein Modell, das vor allem in den USA propagiert wird, geht sogar darüber hinaus: Internisten und Psychiater betreiben über Abteilungsgrenzen hinweg gemeinsame Stationen, sog. medical-psychiatric units. Solche Modelle könnten insbesondere für Patienten mit suchtmedizinischen und geriatrisch-gerontopsychiatrischen Problemen nützlich sein.

Prof. Dr. Manfred Fichter
1. Vorsitzender
Prof. Dr. Albert Diefenbacher
2. Vorsitzender
Referat für Verhaltensmedizin und Konsiliarpsychiatrie der DGPPN

Media Contact

PD Dr. Ulrich Voderholzer idw

Weitere Informationen:

http://www.dgppn.de

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