Chlamydien: Die heimliche Epidemie

Zehn Prozent aller 17-jährigen Mädchen leiden an einer Chlamydieninfektion. Das ist das Ergebnis einer aktuellen Berliner Untersuchung. „Die Zahlen sind alarmierend“, mahnt Dr. Gisela Gille, Vorsitzende der Ärztlichen Gesellschaft zur Gesundheitsförderung der Frau e.V. (ÄGGF) auf dem 55. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe.

Nach den Sommerferien hat ein vermeintlich harmloses Bakterium wieder Hochkonjunktur: Chlamydia trachomatis ist nicht lebensbedrohlich, nicht spürbar und bleibt bei zwei von drei Frauen unentdeckt. Das in Europa und den USA häufigste sexuell übertragene Bakterium gilt indes als Hauptverursacher infektionsbedingter Sterilität. Schätzungsweise 100.000 Frauen können bereits jetzt aufgrund einer abgelaufenen Chlamydieninfektion keine Kinder bekommen. „Doch sexuell übertragbare Krankheiten sind in Deutschland ein Tabuthema“, kritisiert Gille. „Sie rangieren auf Platz eins der Peinlichkeitsskala“. Darum gibt es hierzulande keine aussagekräftigen Daten über die Verbreitung der Infektion. Seit 1991 sind nur noch HIV-Infektionen und Syphilis meldepflichtig. Das Berliner Robert-Koch-Institut hat die Ärzteschaft daher um Mithilfe gebeten, nicht meldepflichtige sexuell übertragbare Krankheiten dennoch zu melden. Bei der ersten Auswertung steht die Chlamydieninfektion an erster Stelle von insgesamt 1.400 gemeldeten Erkrankungsfällen.

Wissen nahe null

Die Jugendlichen wissen nahezu nichts über das gefährliche Bakterium. Das ist eines der Ergebnisse einer unter der Leitung von Dr. Gisela Gille und Dr. Christine Klapp in Berlin durchgeführten Untersuchung. Im Rahmen der Beobachtung informierten Ärztinnen der ÄGGF 14- bis 17-jährige Mädchen in 92 Berliner Schulklassen über die Chlamydieninfektion und verteilten Informationsblätter zum Thema Screeninguntersuchung. In der Praxis eines Frauenarztes aus dem „Arbeitskreis Infektion und Sexualität“ konnten junge Mädchen anonym und kostenlos am Chlamydientest teilnehmen.

Wer sich für den Test entschied, bekam einen anonymen sozioepidemiologischen Fragebogen zum Thema Chlamydieninfektion. Die Auswertung der 266 Fragebögen bestätigte Gilles Verdacht. Acht von zehn Teenagern haben vor der Lektüre der Informationsbroschüre noch nie etwas über Chlamydien gehört. Neun von zehn wissen nichts über die Möglichkeit einer symptomlosen, andauernden Infektion und über mögliche Folgen für ihre Fruchtbarkeit. Die hohe Verbreitung bei Jugendlichen ist 94 von 100 Mädchen nicht bekannt.

Das Wissen war bei den Hauptschülern und bei Schülern ohne Abschluss am schlechtesten. „Diese Ergebnisse sind umso katastrophaler, wenn man berücksichtigt, dass das Zeitfenster vom ersten Sexualverkehr bis zum konkreten Kinderwunsch stetig wächst. Im Schnitt sind das jetzt schon zehn Jahre“, gibt Gille zu bedenken.Fünf von hundert Teenagern in Berlin sind infiziert. Die Häufigkeit der Infektion steigt mit dem Alter und der Anzahl der Patner.

Fünf von hundert Teenagern sind infiziert. Die Häufigkeit der Infektion steigt mit dem Alter und der Anzahl der Partner. Die Mädchen, die an der Screeninguntersuchung teilnahmen, waren im Durchschnitt 16 Jahre alt und hatten mit vierzehneinhalb ihren ersten sexuellen Kontakt. Bei den unter 15-Jährigen waren nur 3,6 von hundert infiziert, bei den 17-Jährigen waren es bereits zehn. Die Wahrscheinlichkeit für eine Infektion mit Chlamydien steigt, wenn innerhalb des letzten Jahres Scheidenentzündungen auftraten, wenn Mädchen schon früh Geschlechtverkehr oder schon mehrere Partner hatten.

„Ohne“ toller als „mit“. Beim ersten Geschlechtsverkehr benutzen noch 65 von hundert jungen Mädchen Kondome zur Verhütung. Viele Teenager steigen rasch auf die Pille um: 72 von hundert verhüteten in den vorausgegangenen sechs Monaten mit der Pille, nur noch ein Drittel verwendete Kondome. Regelmmäßige Kondomverwendung gibt nicht einmal jedes fünfte Mädchen an. Nach dem „letzten Mal“ gefragt, verzichteten auf jegliche Kontrazeption acht von hundert Mädchen. „Der Gebrauch von Kondomen ist mehrheitlich sehr unregelmässig“, stellt Gille fest. „Es gibt zwar kein Imageproblem bei Kondomen, aber die Hälfte der Jugendlichen findet Sexualverkehr ’ohne’ einfach toller als’mit’ und ahnt nichts von der Notwendigkeit, sich zu schützen. Kondomgebrauch ist in Deutschland exklusiv mit AIDS assoziiert. Das zielt aber an der epidemiologischen Situation Jugendlicher vorbei.“

Frühzeitige Diagnose verhindert Chronifizierung. Um die Situation in den Griff zu bekommen, fordert die ÄGGF die Erhebung verlässlicher, bundesweiter Daten sowie mehr ärztliche Aufklärung in Schulen. „Es geht nicht an, dass die Jugendlichen den Preis für eine vermeintliche Liberalität bezahlen. Sie haben ein Recht auf die ganze Wahrheit“, empört sich Gille.

Darüber hinaus würde mehr frühzeitige Diagnostik die Gesundheitsschäden in Grenzen halten. „Wir empfehlen eine rechtzeitige Screeninguntersuchung mit sensitiven PCR-Tests, beispielsweise vor der Verschreibung der Pille und anschließend jährlich“, so die Lüneburger Ärztin. Denn so könne man durch eine frühzeitige Antibiotikatherapie eine Chronifizierung vermeiden.

Bei den meisten Mädchen beginnt die Infektion mit einer Entzündung in der Schleimhaut des Gebärmutterkanals, die lange unentdeckt bleibt. In mindestens der Hälfte der Fälle wandern die Keime weiter in Richtung Gebärmutter. Leichte Zwischenblutungen oder Unterbauchbeschwerden können auftreten. Schließlich können die Bakterien bis zu den Eileitern vordringen und dort im Gewebe irreversible Schäden anrichten. „Diese Schäden“, so Gille, „können wir verhindern, wenn wir Jugendliche aufklären und von der Kondomverwendung überzeugen, die Erkrankung rechtzeitig diagnostizieren und behandeln.“

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Barbara Ritzert idw

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