Chemische UV-Filter in der Kritik

Sonnenschutzmittel mit Nebenwirkungen?

Sommerzeit Sonnenzeit: Die wärmenden Strahlen locken Tausende in die Natur, in die Berge, an die Strände. Aber für ein Sonnenbad ohne Reue ist die Haut unbedingt vor übermässiger Strahlung zu schützen: Sonnenschutzmittel sind ein Muss.

Viele dieser Produkte enthalten chemische UV-Filter. Diese organischen Substanzen absorbieren Licht im Bereich der UVA- und UVB-Strahlung und schützen so die Haut. Doch einige dieser gängigen UV-Filter haben noch andere, weniger erwünschte Eigenschaften. Sie sind fettlöslich und biologisch schlecht abbaubar deshalb reichern sie sich in Organismen an. Und sie stehen im Verdacht, auf Grund ihrer chemischen Struktur natürliche Sexualhormone nachzuahmen und so die Fortpflanzung von Mensch und Tier negativ zu beeinflussen. Vorläufig fehlen jedoch anerkannte Testmethoden zur Identifizierung des hormonellen Effekts. Um das Risiko dieser Stoffe besser abschätzen zu können, unterstützt das Nationale Forschungsprogramm „Hormonaktive Stoffe“ entsprechende Untersuchungen zweier Forschungsgruppen.

Über die Hälfte der getesteten Substanzen hormonaktiv

Margret Schlumpf und Walter Lichtensteiger von der Universität Zürich haben mit ihrem Team bei acht von zehn UV-Filtern eine östrogene Wirkung in Zellkulturen nachgewiesen. Karl Fent vom Institut für Umwelttechnik der Fachhochschule beider Basel stützt diesen Befund: Wir haben 17 verschiedene Filtersubstanzen im Reagensglas mit gentechnisch veränderten Hefezellen untersucht, die menschliche Östrogenrezeptoren tragen. Dabei haben wir festgestellt, dass über die Hälfte der Substanzen wie das weibliche Sexualhormon Östradiol wirkt. In Mischungen addiert sich die Wirkung der Einzelstoffe, zum Teil zeigen sie aber auch antagonistische oder gar synergistische Interaktionen.

Schlumpf und Lichtensteiger haben diese Substanzen, darunter die häufig angewandten 4-Methylbenzylidencampher (4-MBC) und 3-Benzylidencampher (3-BC), auch am lebenden Organismus getestet. Die Forscher fanden heraus, dass bei vorpubertären Rattenweibchen die Gebärmutter nach der Aufnahme der UV-Filter vorzeitig reifte. Je mehr UV-Filter die Tiere erhielten, desto mehr legte ihre Gebärmutter an Gewicht zu. Unabhängige Experten in Grossbritannien bestätigten diese Untersuchungsergebnisse.

Auch Nachkommen der Versuchstiere betroffen

Um herauszufinden, ob die Substanzen auch einen Einfluss auf die Entwicklung haben, wurden sie Ratten ins Futter gemischt. Dies mag zwar etwas seltsam erscheinen, aber Säuglinge nehmen solche Stoffe ja auch mit der Muttermilch auf. Zudem handelt es sich um eine international anerkannte Methode, erklärt Walter Lichtensteiger. Die Rattenweibchen hatten weniger Nachkommen, die zudem eine reduzierte Überlebensrate aufwiesen. Bei Rattenmännchen beobachteten wir einen verschobenen Pubertätsbeginn sowie veränderte Hoden- und Prostatagewichte bereits bei geringen Dosen. Ebenso fanden wir bei beiden Geschlechtern Veränderungen in der Aktivität von Genen, ergänzt Margret Schlumpf.

Die Zürcher Forschungsgruppe hat auch untersucht, ob UV-Filter über die Haut in den Körper gelangen. Dabei leisteten die Wissenschafter Pionierarbeit und entwickelten ein neues Testverfahren. Margaret Schlumpf: Wir halten haarlose Rattenweibchen mehrmals kurz bis Schulterhöhe in mit UV-Filtersubstanzen versetztes Olivenöl. Bei so behandelten Tiere erhöhte sich das Gewicht der Gebärmutter ebenfalls. Soeben haben dänische Forscher gemeldet, dass auch der Mensch UV-Filter über die Haut in den Körper aufnimmt.

Haben UV-Filter in einer Konzentration, wie sie in natürlichen Gewässern vorkommt, einen Einfluss auf die Fortpflanzung von Wasserlebewesen? Dieser Frage gehen Karl Fent und seine Mitarbeiterin Petra Kunz von der Fachhochschule beider Basel nach. Sie untersuchten die Wirkung von 4-MBC und 3-BC auf die Entwicklung bei Fröschen. Wir haben herausgefunden, dass der Übergang von der Kaulquappe zum erwachsenen Frosch durch die UV-Filter in diesen tiefen Konzentrationen nicht gestört wird. Ebenso haben wir keinen Effekt auf das Schilddrüsensystem und die Geschlechterverteilung der Frösche festgestellt, erläutert Karl Fent. Gegenwärtig untersuchen die Forscher, ob die Substanzen hormonelle Wirkung auf Fische haben. „Bisher haben wir bei einem UV-Filter in hohen Konzentrationen östrogene Wirkungen festgestellt“, so Fent.

Hochkomplexer Problembereich

Kann auf Grund dieser Studienergebnisse bereits Entwarnung gegeben werden? Nein, sagen die Forscher. Denn bei schleichenden Langzeitwirkungen von Chemikalien in der Umwelt handelt es sich im Gegensatz zur akuten Toxizität um einen hochkomplexen Problembereich. Ursache und Wirkung lassen sich oft nur schwer in Beziehung setzen. Vielfach sind es verschiedene Faktoren, welche erst durch ihr Zusammenwirken in der Umwelt oder in spezifischen Organismen zu Veränderungen führen.

Die gleiche Meinung vertritt auch die Weltgesundheitsorganisation WHO. 2002 veröffentlichte sie im Rahmen des International Programme on Chemical Safety eine Studie, in der sie davon ausgeht, dass zwar mit keiner besonders starken Gefährdung des Menschen durch hormonaktive Substanzen zu rechnen ist. Allerdings könnten die Substanzen Auswirkungen auf Kinder haben, die womöglich empfindlicher reagieren als Erwachsene. Deshalb erachten sowohl die WHO als auch die OECD und die EU weiterführende wissenschaftliche Arbeiten als absolut notwendig.

Mineralische Filter für Kinder

Und was machen die Menschen, die den Sommer im Freien verbringen wollen? Hier gilt weiterhin: Geniessen Sie die schönen Stunden. Vermeiden Sie jedoch übermässige Sonnenbestrahlung, tragen Sie der Situation angepasste Kleidung, schützen Sie Ihre Augen und wenden Sie gängige Sonnenschutzmittel an. Besonders für Kinder empfiehlt sich der Gebrauch von Sonnencrèmes mit mineralischen Filtern (Mikropartikeln). Diese hinterlassen auf der Haut zwar einen feinen weisslichen Film, sind aber sehr wirkungsvoll und kommen ohne organische UV-Filter aus.

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