Zerstörerische Erregungswellen im Gehirn

Klinische Studie der Neurochirurgischen Klinik Heidelberg untersucht, warum Hirnschäden nach einem Trauma auch auf gesundes Gewebe übergreifen

In Deutschland erleiden jährlich rund 13.000 Patienten eine massive Kopfverletzung, die zu andauernder Bewusstlosigkeit führt. Die Hälfte der Patienten stirbt an den Folgen des schweren „Schädel-Hirn-Traumas“; von den Überlebenden tragen fast 30 Prozent schwere Behinderungen davon.

Eine klinische Studie an der Neurochirurgische Universitätsklinik Heidelberg (Ärztlicher Direktor: Professor Dr. Andreas Unterberg) soll nun klären, ob der drohende Untergang von Hirngewebe mit spezifischen Erregungswellen der Nervenzellen einhergeht und Hirnstrommessungen diese Entwicklung vorhersagen können. Die Studie unter Federführung von Dr. Oliver Sakowitz, Arzt und wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Neurochirurgischen Klinik, wird vom „Kuratorium ZNS“ (assoziiert mit der Hannelore-Kohl-Stiftung) mit 48.000 Euro sowie der Medizinischen Fakultät Heidelberg finanziert.

„Unser Ziel ist es, den Zustand des Hirngewebes nach einem Trauma oder einer Blutung möglichst exakt zu untersuchen, um fein abgestimmte therapeutische Maßnahmen ergreifen zu können“, sagt Professor Unterberg. Bislang geben vor allem Messungen des Hirndrucks Hinweise auf bedrohliche Entwicklungen – oft zu spät, wie die Neurochirurgen wissen. An einigen neurochirurgischen Zentren wie der Heidelberger Klinik werden neue Messmethoden erforscht und klinisch eingesetzt, die im „intrazerebralen Monitoring“ ein genaueres Bild vom aktuellen Zustand des zerstörten und umgebenden Hirnbereichs wiedergeben.

Zustand der Patienten verschlechtert sich mit Verzögerung

„Bei Patienten, die ein schweres Schädel-Hirn-Trauma erlitten haben, beobachten wir immer wieder einen typischen Verlauf“, erklärt Dr. Sakowitz. Nach einigen Stunden bis Tagen verschlechtert sich ihr Zustand. Gesundes Hirngewebe, das an das geschädigte grenzt, wird in Mitleidenschaft gezogen, der Hirndruck steigt, es drohen bleibende Funktionsausfälle und Behinderungen. Warum dies passiert, ist bislang ungeklärt. Da bereits geschädigtes Gewebe einer Therapie nicht mehr zugänglich ist, konzentrieren sich die Heidelberger Wissenschaftler, neue Strategien zur Schadensbegrenzung zu entwickeln.

„Bei der Schädigung des gesunden Gewebes spielen elektrische Erregungswellen im Gehirn eine große Rolle“, sagt Dr. Sakowitz. Dieses „Cortical Spreading Depression“ (CSD) genannte Phänomen, bei der die Nervenzellen ihre Aktivität für maximal drei Minuten auf bis zu 300 Prozent steigern, wird vom gesunden Gehirn ohne weiteres verkraftet. Geschädigte Hirnzellen sind nach diesem Kraftakt jedoch nicht mehr in der Lage, die elektrische Balance wiederzuerlangen und die nötigen Ionenströme dafür in Gang zu setzen, wie Tierversuche gezeigt haben. Ihre Energieversorgung durch Sauerstoffzufuhr und Zuckerstoffwechsel ist zu stark beeinträchtigt. Die Schäden drohen, falls keine Behandlungsmaßnahme ergriffen wird, auf benachbarte Zellen überzugreifen.

Elektrode wird auf der der Hirnoberfläche angebracht

„In der klinischen Studie werden wir bei Patienten mit Schädel-Hirn-Trauma die elektrischen Erregungsmuster direkt an der Oberfläche des Gehirns messen“, erklärt Dr. Sakowitz. Voraussetzung ist, dass der Schädel wegen einer massiven Steigerung des Hirndrucks aufgrund von Schädelverletzung, Blutung oder einer Durchblutungsstörung (Schlaganfall) eröffnet werden muss. Die etwa sieben Zentimeter lange und einen halben Millimeter dicke Elektrode wird im Rahmen des Eingriffs an der Oberfläche des geschädigten Hirnareals angebracht. Derartige Elektroden sind in der Diagnostik von Epilepsie-Patienten vor neurochirurgischen Eingriffen routinemäßig im Einsatz.

Bislang wurden Mess-Sonden für den Hirndruck und wichtige Stoffwechselwerte zur Beurteilung des Gewebezustandes, etwa für Sauerstoff sowie Nerven-Transmitterstoffe (z.B. Glutamat), die aus geschädigten Zellen austreten, gelegt. Die Wissenschaftler möchten u.a. feststellen, ob die Erregungswellen mit Stoffwechselveränderungen einhergehen, und welche Auswirkungen die therapeutische Beeinflussung dieser Werte haben.

„An der Studie sollen in den nächsten 18 Monaten 30 Patienten teilnehmen,“ sagt Dr. Sakowitz. Wichtiger Partner im Heidelberger Klinikum ist die Neurologische Universitätsklinik, die mit einer der größten „Stroke Units“ in Deutschland jährlich mehrere hundert Patienten mit akutem Schlaganfall betreut. Die Zusammenarbeit mit weiteren Kliniken in Deutschland und im Ausland, die sich mit dem „intrazerebralen Monitoring“ befassen, ist geplant.

Kontakt:
Dr. Oliver Sakowitz, Email: Oliver_Sakowitz@med.uni-heidelberg.de
Telefon: 06221 / 56 6301 (Frau Renate Major, Sekretariat Prof. Andreas Unterberg)

Media Contact

Dr. Annette Tuffs idw

Weitere Informationen:

http://www.med.uni-heidelberg.de

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