Zappelphilipp-Syndrom bei Erwachsenen – Jahrelang falsche Diagnosen

Hyperaktivität wurde lange Zeit als rein kinder- und jugendpsychiatrische Störung betrachtet. Doch auch im Erwachsenenalter können Unruhe, Aufmerksamkeitsdefizite, und starke Impulsivität eine ernstzunehmende Krankheit darstellen. Eine Erkenntnis, die sich hierzulande erst langsam durchsetzt. Viele Betroffene wurden aufgrund von falschen Diagnosen jahrelang unangemessen behandelt. Denn die bestehenden Kriterien zum Erfassen der Symptome der Störung beziehen sich auf Kinder und reichen im Erwachsenenbereich nicht aus. Das ist das Ergebnis einer Untersuchung, die Dr. Benedikt Wann an der Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie des Kindes- und Jugendalters der Universität zu Köln durchgeführt hat.

Der Suppenkaspar, Hans GuckindieLuft, der Zappelphilipp… – vor mehr als 150 Jahren beschrieb der Neurologe Heinrich Hoffmann in seinem Buch „Der Struwwelpeter“ Verhaltensstörungen von Kindern. Damals galten überaktive Jugendliche in der Regel schlicht als ungezogen. Eltern und Erzieher glaubten, ihre Zöglinge mit einer strengen Hand bekehren zu können. Sie gingen davon aus, dass die Kinder ihr auffälliges Verhalten spätestens im Laufe der Pubertät ablegen würden. Erst allmählich wurde die Hyperaktivität als Krankheit begriffen und akzeptiert.

Wissenschaftler in den USA waren die ersten, die aufgrund von Langzeitstudien zu der Erkenntnis kamen, dass Aufmerksamkeitsstörungen auch im Erwachsenenalter ein Problem darstellen können. Deutschland und Europa hinken bei der Erforschung des „Zappelphilipp-Syndroms“ bei Erwachsenen noch hinterher. Als eigenständige Diagnose taucht es auf der Liste der psychischen Störungen bei Erwachsenen nicht auf. Die Folge: Wirksame Therapien, die genau auf die Bedürfnisse des Patienten abgestimmt werden, bleiben meist Kindern vorbehalten.

Die Symptome der Krankheit wurden in Deutschland bislang nur für Betroffene im Kindes- und Jugendalter festgelegt und beschrieben. Angepasste Kriterien für Auffälligkeiten bei Erwachsenen existieren nicht. Eine Diagnose der Störung im Erwachsenenalter wird dadurch erheblich erschwert. Denn die verschiedenen Merkmale der Krankheit sind bei jugendlichen und erwachsenen Patienten ganz unterschiedlich ausgeprägt. So fällt beispielsweise bei betroffenen Kindern in erster Linie deren Überaktivität auf. Wildes Umherlaufen und übertriebenes Getobe können bei ihnen als Anzeichen des Störungsbildes gedeutet werden. Im Erwachsenenalter zeugen dagegen innere Unruhe und Ratlosigkeit von möglicher Hyperaktivität. Die Betroffenen empfinden ihren Mangel an Entspannungsfähigkeit als belastend und meiden bewusst Situationen, die Ruhe und Zurückhaltung erfordern.

Außerdem sehen erwachsene Patienten – anders als Kinder und Jugendliche – vielmehr ihre Unaufmerksamkeit als zentrales Problem der Krankheit an. Typische Beschwerden bei Erwachsenen sind daher unter anderem Vergesslichkeit, Unordnung und mangelnde Organisationsfähigkeit. Dies deutet daraufhin, dass Aufmerksamkeitsstörungen sich bei Erwachsenen auch in solchen Symptomen ausdrücken können, die überhaupt erst im Zusammenhang des Älterwerdens entstehen. Erwachsen zu werden bedeutet nicht zuletzt, zukunftsorientierter zu denken, Verantwortung zu übernehmen und Selbstdisziplin zu üben. Eigenschaften, die hyperaktiven Erwachsenen oft schwer fallen. Verglichen mit Nicht-Betroffenen sind sie häufiger in Verkehrsunfälle verwickelt, haben instabile Ehen und leiden unter sozialen Anpassungsstörungen.

Für Rückfragen steht Ihnen Professor Dr. Gerd Lehmkuhl unter der Telefonnummer 0221/478-4370, der Fax-Nummer 0221/478-6104 und unter der Email-Adresse: gerd.lehmkuhl@medizin.uni-koeln.de zur Verfügung.

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Antje Stobbe idw

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