Spiralen im Kopf: wie Neuroradiologen Hirnblutungen verhindern

Ein neues minimal-invasives Verfahren erspart Patienten mit einer Gefäßaussackung (Aneurysma) im Gehirn die Operation. Winzige Spiralen dichten die lebensbedrohliche Blutblase ab. Das Verfahren ist der herkömmlichen Operation ebenbürtig, berichten Experten auf dem 85. Deutschen Röntgenkongress in Wiesbaden.

Unmittelbar einsetzende Kopfschmerzen, ein kurzer Ohnmachtsanfall und ständig zunehmende neurologische Ausfälle wie Lähmungen, Sprach- oder Sehstörungen – so können sich plötzlich auftretende Blutungen ins Schädelinnere – so genannte Subarachnoidalblutungen – bemerkbar machen. In neun von zehn Fällen liegt diesen Blutungen die Aussackung an einer Schwachstelle einer Hirnarterie zugrunde, ein so genanntes Aneurysma. „Die Behandlung dieser äußerst lebensbedrohlichen Blutblasen im Gehirn kann heute viel schonender erfolgen, als noch vor wenigen Jahren“, sagt Professor Michael Forsting vom Institut für Diagnostische und Interventionelle Radiologie und Leiter der Abteilung Neuroradiologie der Universitätsklinik Essen. Um die mitunter auch zufällig entdeckten Aneurysmen zu entschärfen, müssen die Ärzte nur noch in Ausnahmefällen den Schädel in einer Operation öffnen, sich einen Weg durch das empfindliche Hirngewebe bahnen und das Aneurysma mit einer Metallklammer „abklippen“.

Statt dessen setzen Forsting und seine Oberärztin Dr. Isabel Wanke auf die endovaskuläre Therapie, einen minimalinvasiven Eingriff, bei dem das Aneuryma zunächst von innen mit einem Mikrokatheter sondiert wird. Durch einen kleinen Schnitt in die Leistenarterie führen die Ärzte den Mikrokatheter ein und schieben ihn mit einem Führungskatheter über die Bauchschlagader bis ins Gehirn vor.

„Coiling statt Clipping“ heißt dann die Devise, wenn das Aneurysma während des einstündigen Eingriffs mit winzigen Platinspiralen („Coils“) ausgestopft und abgedichtet wird.

Vorzeitiger Studienabbruch aus ethischen Gründen. Erst vor sieben Jahren wurde die Methode in Deutschland eingeführt. „Bei einer großangelegten internationalen Untersuchung mit 2100 Patienten erwies sich das Coiling gegenüber dem Clipping als wesentlich risikoärmer“, berichtet Forsting. „Studienleiter Andrew Molyneux von der Universität Oxford beendete die Studie im Herbst 2003 vorzeitig, weil er es für unethisch hielt, Patienten, die dafür in Frage kommen, nicht mit der sanfteren Methode zu behandeln – und so etwas geschieht in der Medizin äußerst selten.“

Versorgungsdefizite. Inzwischen wird in Essen pro Tag im Durchschnitt ein Patient behandelt – mehr als irgendwo sonst in Deutschland. Auch an den Universitätskliniken Hamburg und München wird das „Coiling“ zunehmend häufiger eingesetzt. Bei jährlich schätzungsweise 5500 bis 8000, durch Aneurysmen ausgelösten Subarachnoidalblutungen alleine in Deutschland, kann indes längst nicht jeder Patient mit dem neuen Verfahren behandelt werden. „Die Technik muss ausgeweitet werden, es müssen sich neben den ganz großen Zentren auch solche bilden, die 40 bis 50 Aneurysmen pro Jahr versorgen. „Man sollte einen kreativen Blick auf die Landkarte werfen und Kliniken mit großen Neurologischen und Neurochirurgischen Abteilungen identifizieren und dort dann neuroradiologische Experten einstellen“ fordert Forsting.

Dem standen bislang noch die Bedenken einiger Kritiker entgegen, die darauf hingewiesen hatten, dass die minimal invasiven Eingriffe mit den Platinspiralen zwar risikoärmer sind als Operationen am offenen Gehirn, dafür aber eine etwas höhere Quote von Nachblutungen haben.

Gewaltiger Sprung nach vorn. Ergebnisse aus einer klinischen Studie mit annähernd 100 Patienten, die die Universitätsklinik Essen in Kooperation mit einem französischen Zentrum durchgeführt hat, zeigen nun, dass auch die Gefahr neuer Blutungen beim Coiling nicht höher sein muss, als nach einer Operation am offenen Schädel. Zu verdanken ist dies laut Forsting einer neuen Art von spezialbeschichteten Platinspiralen, den so genannten Hydrocoils. Sie tragen auf dem Platin ein neues, extrem saugfähiges Material, mit dem das Aneurysma offensichtlich ebenso gut abgedichtet werden kann, wie bei einer offenen Operation. Dies sei nochmals ein gewaltiger Sprung nach vorne, sagt Forsting. Die Kosten der neuen Spiralen seien zwar höher, dem stünden jedoch Einsparungen durch die verringerten Liegezeiten für die Patienten gegenüber, die vor allem weniger lang auf der Intensivstation bleiben müssen. Einer amerikanischen Untersuchung zufolge kostet das „Coiling“ etwa 20000 Dollar (16500 Euro) pro Patient, während eine Operation am offenen Gehirn mit Gesamtkosten von annähernd 35000 Dollar (29200 Euro) zu Buche schlägt.

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