Herzinfarkt und Vererbung

Nichtraucher in mittlerem Lebensalter mit normalen Cholesterin- und Blutdruckwerten sowie gesunder Ernährung und ausreichender Bewegung haben bekanntlich gute Chancen, von einem Herzinfarkt verschont zu bleiben. Dennoch kommt es immer wieder vor, dass Menschen bereits im Alter um die 40 und jünger von heute auf morgen einen Herzinfarkt erleiden, ohne dass bei ihnen auch nur ein einziger der so genannten klassischen Risikofaktoren nachzuweisen ist. Die einzige plausible Erklärung, die Mediziner für solche Fälle haben, ist eine erbliche Veranlagung. Entsprechenden Veränderungen im Erbgut auf die Spur zu kommen, um Risikogruppen rechtzeitig zu identifizieren und vorbeugend zu beraten sowie gegebenenfalls bereits in jungem Lebensalter vorab zu intervenieren, ist Ziel der Forschungsarbeiten von Prof. Dr. Stefan-Martin Brand-Herrmann. Als klinischer Pharmakologe ist der gebürtige Marburger Inhaber des neu eingerichteten und in Deutschland wohl einzigartigen Lehrstuhls für „Molekulare Genetik kardiovaskulärer Erkrankungen“ am Institut für Arterioskleroseforschung an der Universität Münster.

Vor dem Hintergrund der Tatsache, dass in Deutschland Jahr für Jahr mehr als 90.000 Menschen einem Herzinfarkt erliegen und davon mehr als jeder Dritte vor Erreichen eines Krankenhauses, kommt der Aufklärung der genetischen Ursachen koronarer Herzerkrankungen auch gesundheitsökonomisch höchste Bedeutung zu.

Dass die Genetik gegenüber den klassischen Risikofaktoren, welche sie ja selbst auch beeinflusst, durchaus keine untergeordnete, sondern sogar eine besonders große Rolle spielt, untermauert der vor seinem Wechsel nach Münster in Ulm und zuvor in Berlin und Paris tätige Wissenschaftler mit Untersuchungen an über 20.000 Zwillingen: Schwedische Forscher hätten nachgewiesen, dass die Wahrscheinlichkeit, an einer koronaren Herzerkrankung zu versterben, bei zwei- und eineiigen Zwillingen, bei denen bereits ein Geschwister daran verstorben ist, vier- beziehungsweise achtmal so hoch ist wie bei anderen Zwillingen. Bei Frauen stieg der Faktor sogar auf 15.

Im Mittelpunkt des Forschungsinteresses von Prof. Brand-Herrmann stehen Genvarianten, die Auftreten und Verlauf einer koronaren Herzerkrankung beeinflussen – sei es, dass sie einem Infarkt Vorschub leisten, sei es, dass sie auf der anderen Seite auch davor schützen. Dass es auch solche protektiv wirkenden Varianten gibt, konnte er bereits nachweisen. Insgesamt hat er gemeinsam mit der eng kooperierenden Arbeitsgruppe um Dr. François Cambien vom Nationalen Gesundheitsforschungs-Institut in Paris mittels moderner molekulargenetischer Techniken inzwischen bereits über 750 genetische Veränderungen, so genannte genetische Polymorphismen, identifiziert. Innerhalb der nächsten drei bis vier Jahre, so schätzt Brand-Herrmann, werden weit über 1000 weitere Genvarianten hinzukommen. Für entsprechende zum Teil prospektive Studien über die Relevanz der Erbgut-Veränderungen stehen dem münsterschen Wissenschaftler mehr als 15.000 DNA-Proben zur Verfügung, die er von seinem viereinhalbjährigen Forschungsaufenthalt in Paris nach Münster mitgebracht hat.

Dabei hat der Mediziner allerdings nicht so sehr einzelne Veränderungen eines Gens im Blick, denn diese sind für sich allein zu wenig aussagekräftig. Vielmehr interessiert ihn das Zusammenspiel verschiedener Genvarianten eines und mehrerer Gene. Denn nur durch das Verständnis solcher Kombinationen genetischer Veränderungen sei beispielsweise die Entwicklung einer Gefäßverkalkung, eines Bluthochdrucks oder einer Fettstoffwechselstörung überhaupt zu erklären. Für wichtig hält es Brand-Herrmann aber insbesondere, solche Genveränderungen zu identifizieren, die sich ohne „Umweg“ über die klassischen Risikofaktoren unmittelbar auf das Herz und seine Gefäße auswirken, denn gerade das ist ja in der Routine nicht messbar.

Bis sich die Erkenntnisse der Forschung in die Praxis umsetzen lassen, werden seiner Einschätzung nach noch etwa fünf bis zehn Jahre intensiver wissenschaftlicher Arbeit ins Land gehen. Eine frühzeitige Untersuchung auf entsprechende Genvarianten hin wird es dann erlauben, das individuelle Risiko von Personen zu ermitteln, in deren Familie bereits ein naher Angehöriger einen Herzinfarkt erlitten hat. Auf diese Weise können rechtzeitig entsprechende Hinweise für eine Änderung der Lebensweise gegeben beziehungsweise bereits zu diesem frühen Zeitpunkt eine medikamentöse Behandlung eingeleitet werden. Eine solche individuelle Risiko-Ermittlung würde dann zum Beispiel auch dazu führen, dass bei Personen mit ansonsten nicht behandlungsbedürftigen grenzwertig erhöhten Blutdruck- oder Cholesterin-Werten eine medikamentöse Behandlung angezeigt wäre.

Indem sie durch die frühzeitige Eingrenzung von Risikogruppen die Prävention vorantreibt, wird die Genetik künftig sicher einen wichtigen Beitrag zur Eindämmung der Todesursache Nummer eins – Herz-Kreislauferkrankungen – in Deutschland leisten. Das Institut für Arterioskleroseforschung hat dieser Entwicklung durch die Einrichtung eines eigenen Lehrstuhls für „Molekulare Genetik kardiovaskulärer Erkrankungen“ und die Berufung eines der international führenden Wissenschaftler auf diesem Gebiet Rechnung getragen. Und so wird die Forschungseinrichtung in Münster, die ab 2005 als „Leibniz-Institut“ firmiert, auch künftig im wissenschaftlichen Wettbewerb bestens aufgestellt sein.

Media Contact

Jutta Reising idw

Weitere Informationen:

http://www.uni-muenster.de/

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