Mini-U-Boot im Magen-Darm-Trakt

Kaum größer als ein 1-Cent-Stück ist die Mini-Kapsel zur Dünndarm-Diagnostik.

Bei der Fahndung nach möglichen krankhaften Veränderungen im Verdauungstrakt gab es bislang einen Bereich, der sich dem Blick des untersuchenden Arztes weitgehend entzog, und zwar den Dünndarm. Wegen seiner Länge und seiner schweren Zugänglichkeit stoßen herkömmliche Untersuchungsverfahren wie Magen- und Darmspiegelung hier an ihre Grenzen. Diese diagnostische Lücke schließt neuerdings elegant und schmerzlos eine winzige High-Tech-Kapsel, die seit kurzem auch am Universitätsklinikum Münster (UKM) eingesetzt wird: Mittels einer in ihr verborgenen elektronischen Mini-Kamera sendet das vom Patienten wie eine Tablette geschluckte „Mini-U-Boot“ während seiner Reise durch den Magen-Darm-Trakt über sechs bis acht Stunden kontinuierlich gestochen scharfe Bilder aus dem Körperinnern. Auf diese Weise kann erstmals der gesamte etwa vier bis sieben Meter lange Dünndarm endoskopisch betrachtet werden.

Im Hinblick auf die große Verbreitung von Erkrankungen des Dünndarms stellt dieses mit keinerlei Strahlenbelastung verbundene innovative Verfahren einen echten Durchbruch dar. Allein in Deutschland leiden mehrere hunderttausend Menschen an organischen Krankheiten des Dünndarms. Dazu zählen unter anderem chronisch-entzündliche Darmerkrankungen wie Morbus Crohn, Zöliakie (Überempfindlichkeit gegenüber dem in Getreide vorhandenen Klebereiweiß Gluten), durch Schmerzmittel bedingte Schleimhautschäden, Polypen, Tumore oder Blutarmut aufgrund einer nicht erkannten Blutungsquelle im Dünndarm. Die recht uncharakteristischen Symptome von Dünndarmerkrankungen reichen von wiederholten Durchfällen und Bauchschmerzen bis hin zu Gewichtsverlust und Blutarmut.

Mit Hilfe der Mini-Kamera in Tablettenform können die Ursachen solcher Probleme jetzt genau aufgespürt werden. Weniger als vier Gramm wiegt die gerade einmal 26 mal elf Millimeter kleine Kapsel, in der sich neben der Videokamera ein Radiosender mit Antenne und vier LED-Leuchtdioden befinden. Damit werden pro Sekunde zwei Bilder aus dem Magen-Darm-Trakt gesendet, bei denen jeweils ein Lichtblitz abgegeben wird. Während der sechs bis acht Stunden dauernden Untersuchung, bei der sich der Patient frei bewegen kann, werden so insgesamt rund 50.000 Einzelbilder geschossen. Die aus dem Körperinneren gesendeten Informationen werden von acht auf die Bauchdecke des Patienten platzierten Elektroden empfangen und zur Aufzeichnung an ein Aufnahmegerät
weitergegeben. Dieses trägt der Patient zusammen mit einem Akkupaket an einem Gürtel mit sich.

Nach der Übertragung der Daten erfolgt die Auswertung an einem PC-Arbeitsplatz mit einem speziellen Software-Programm. Mithilfe einer Zeitrafferfunktion kann der untersuchende Arzt die gesamte Dünndarm-Schleimhaut genau betrachten. Durch ein Ortungssystem kann neuerdings auch eine dynamische Lokalisierung der Kapsel und der krankhaft veränderten Dünndarmbereiche erfolgen und die Position des diagnostischen Mini-U-Bootes im Körper als zweidimensionales Bild dargestellt werden.

Für die Patienten bringt dieses als Kapsel-Endoskopie bezeichnete Verfahren neben der Aussicht auf eine erstmalige Diagnose ihrer Beschwerden vielerlei weitere Vorteile. So ist die Untersuchung völlig schmerzfrei, erfordert keine Beruhigungsmittel, bringt keinerlei Strahlenbelastung mit sich und erlaubt zudem völlige Bewegungsfreiheit. Bevor die kleine Videokapsel mit etwas Wasser geschluckt wird, muss der Patient lediglich zwölf Stunden nüchtern sein. Eine komplette Darmvorbereitung wie zu einer Dickdarmspiegelung ist in der Regel nicht notwendig. Die Fortbewegung der Videokapsel erfolgt durch die natürliche Bewegung des Dünndarms. Nach Abschluss ihrer Reise durch den Körper wird sie auf normalem Wege ausgeschieden und entsorgt.

Als Haupteinsatzgebiet der Kapsel-Endoskopie verweist Prof. Dr. Dr. h.c. Wolfram Domschke, Direktor der Medizinischen Klinik B des UKM, auf chronische und wiederholte Blutungen aus dem Darmbereich, bei der man die Quelle im Bereich des Dünndarm vermutet. Darüber hinaus wird dieses junge Verfahren unter anderem bei chronischem Durchfall, Bauchschmerzen mit Verdacht auf eine Ursache im Dünndarm, Vermutung eines Morbus Crohn, zum Nachweis schmerzmittelbedingter Dünndarmschäden, der Verdachtsdiagnose einer Zöliakie oder zum Nachweis von Dünndarm-Polypen eingesetzt. Wie Domschke nachdrücklich betont, eignet sich die Kapsel-Endoskopie jedoch ausschließlich zur Dünndarmdiagnostik. Die herkömmliche Magen- und Dickdarmspiegelung zur Untersuchung anderer Bereiche des Verdauungstraktes kann daher nicht ersetzt werden.

Für weitere Informationen steht der Leiter der Endoskopie-Abteilung der Medizinischen Klinik B, Privatdozent Dr. Torsten Kucharzik, Tel. 0251/83 47574, gern zur Verfügung.

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Jutta Reising idw

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