Legasthenie-Prävention – ein Kinderspiel

Im Jenaer Kindergarten "Knirpsenland" testen Erzieherin Annegret Vanheiden (M.) und Dipl.-Psych. Evelyn Rothe von der Uni Jena spielerisch ein Präventionsprogramm gegen Lese-Rechtschreibstörungen mit den "Knirpsen". (Foto: Scheere/FSU-Fotozentrum)

Psychologin der Universität Jena testet Vorbeuge-Programm zur Lese-Rechtschreibstörung

Mühsam reiht der Erstklässler die Buchstaben aneinander. Was er schreiben will, ist das Wort „Leiter“ – doch am Ende steht „disic“ auf dem Papier: Häufen sich ähnliche Fehler, sprechen Experten von einer Lese-Rechtschreibstörung (Legasthenie). „Legasthenie wird diagnostiziert, wenn normal intelligente Kinder ungewöhnlich große Schwierigkeiten damit haben, das Alphabet zu lernen, sie außerdem auffällig langsamer und stockender lesen als Gleichaltrige und überdurchschnittlich viele Rechtschreibfehler machen“, erklärt Evelyn Rothe den Fachausdruck. Die Diplom-Psychologin von der Friedrich-Schiller-Universität Jena hat seit zwei Jahren ein Präventionsprogramm für Kinder im Vorschulalter getestet, das der Lese-Rechtschreibstörung mit kindgerechten Sprachübungen begegnen will – mit Erfolg, wie die ersten Ergebnisse von Rothes Studie zeigen.

Entwickelt wurde das Programm „Hören, lauschen, lernen. Sprachspiele für Kinder im Vorschulalter“ von einer Forschergruppe der Uni Würzburg. Auf Rothes Anregung wird es in den Kindergärten „Knirpsenland“ und „Regenbogen“ in Jena-Lobeda umgesetzt. Das Programm basiert auf der Grundidee, die „phonologische Bewusstheit“ der Kinder zu fördern – gemeint ist das Verständnis dafür, dass Sprache nach dem Baukastenprinzip funktioniert: Eine begrenzte Anzahl von Lauten – die Bausteine – lässt sich immer wieder neu zu beliebig vielen Gebilden zusammenfügen: von der Silbe über das Wort bis zum Satz. Dieses Baukastenspiel, das beim Sprechen und Zuhören im Kopf stattfindet, wird durch die Schrift als Kombination von Buchstaben wiedergegeben. „Kindern mit ausgeprägter phonologischer Bewusstheit fällt es leichter, diesen Zusammenhang zu begreifen. Umgekehrt kann mangelndes phonologisches Bewusstsein die Ursache sein, wenn sie besonders schwer lesen und schreiben lernen“, macht Rothe den Punkt deutlich, an dem das Präventionsprogramm ansetzt.

Bei den Sprachspielen, die die „Regenbogen“- und „Knirpsenland“-Kinder jeweils ein halbes Jahr lang jeden Vormittag mit ihren Erzieherinnen spielen, werden Wörter und Namen in Silben und Laute zerlegt. „Dabei lernen die Kinder vor allem, einzelne Laute zu benennen und wieder zu erkennen, wenn sie ihnen in anderen Wörtern begegnen – etwa das ’P’ aus ’Paul’ in ’Peter’ oder ’Papa’“, nennt Rothe als Beispiel. Ziel der zusammen mit dem Thüringer Kultusministerium, Jenaer Schulamt und Jugendamt durchgeführten Studie ist die wissenschaftliche Bewertung des Präventionserfolgs: „Letztes Jahr sind die ersten Kinder aus der Untersuchungsgruppe eingeschult worden. Am Ende der ersten und zweiten Klasse soll mit Arbeitsaufgaben überprüft werden, ob sie durch das Sprachtraining besser auf den Erwerb der Schriftsprache vorbereitet worden sind als Kinder, die nicht am Präventionsprogramm teilgenommen haben“, stellt die 26-jährige Psychologin in Aussicht. Zweierlei steht allerdings jetzt schon fest: Die Spiele machen den Kindern großen Spaß und das tägliche Training hat ihr Bewusstsein für die Lautstruktur der Sprache deutlich gesteigert – das Sprachspiel-Programm wird deshalb vom nächsten Jahr an in allen kommunalen Jenaer Kindergärten angeboten.

Angesiedelt ist Rothes Projekt an der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie der Universität Jena, wo Untersuchungen zur Legasthenie seit langem einen Forschungsschwerpunkt bilden. „Mit drei bis fünf Prozent der Bevölkerung betrifft die Lese-Rechtschreibstörung zwar nur einen relativ kleinen Patientenkreis, doch wenn sie einmal aufgetreten ist, lässt sie sich nur noch sehr schwer behandeln“, sagt Klinikchef Prof. Dr. Bernhard Blanz. Die Folge: Erwachsene Legastheniker arbeiten überdurchschnittlich häufig in Berufen, in denen ihre Intelligenz dauernd unterfordert wird und die keine Chancen zum sozialen Aufstieg bieten. „Früherkennung und Prävention, wie sie das von Frau Rothe untersuchte Programm aufweisen“, betont Blanz, „sind bei Lese-Rechtschreibstörungen deshalb das A und O.“

Kontakt:

Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie
der Universität Jena
Philosophenweg 3-5, 07743 Jena

Prof. Dr. Bernhard Blanz
Tel.: 03641 – 936581, Fax: – 936583
E-Mail: Bernhard.Blanz@med.uni-jena.de

Dipl.-Psych. Evelyn Rothe
Tel.: 03641 -935936, Fax: 03641
E-Mail: Evelyn.Rothe@med.uni-jena.de

Media Contact

Axel Burchardt idw

Weitere Informationen:

http://www.uni-jena.de

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