Operation am ungeborenen Kind

Der „offene Rücken“ bei Feten lässt sich bereits im Mutterleib operieren; irreparable Spätfolgen lassen sich damit möglicherweise vermindern. Derartige Eingriffe bedeuteten bislang eine große Belastung für Mutter und Ungeborenes. Mediziner der Universität Bonn haben eine endoskopische Methode entwickelt, mit der sich diese Erkrankung schonender operieren lässt. Sie haben bereits drei Feten mit dem neuen Verfahren behandelt.

Die Kamera schiebt sich zwischen Gebärmutterwand und den narkotisierten Fetus. Behutsam gleitet sie am Rücken des Ungeborenen entlang, bis auf dem Bildschirm eine hellere Stelle sichtbar wird. Die bogenförmigen Seiten der Wirbel haben sich hier nicht zu einem Ring geschlossen. Durch den entstandenen Spalt wölben sich Rückenmark und die empfindlichen Nerven nach außen, so dass sie ungeschützt im Fruchtwasser liegen. Mit zwei endoskopischen Mini-Greifern legt Dr. Thomas Kohl einen Flicken aus GoreTex über die Fehlbildung und befestigt ihn mit Nickel-Titan-Clips. Der offene Bereich ist nun bis zur Geburt abgedeckt und geschützt.

„Spina bifida“ heißt wörtlich übersetzt „gespaltenes Rückgrat“. In den meisten Fällen entschließt sich die Mutter bei diese Diagnose zum Abbruch der Schwangerschaft. Trägt sie ihr Kind aus, leidet es meist sein Leben lang unter mehr oder weniger schweren Lähmungen und Störungen der Blasen- und Enddarm-Funktion. Grund: Der ständige Kontakt zum Fruchtwasser schädigt die sich entwickelnden Fasern – „so wie man in der Badewanne nach einiger Zeit runzlige Hände bekommt“, erklärt Dr. Kohl. Später in der Schwangerschaft gelangen mit dem Stuhl des Ungeborenen auch noch Verdauungs-Enzyme ins Fruchtwasser. Sie greifen die offen liegenden Nerven zusätzlich an. Stöße können das freiliegende Rückenmark noch weiter zerstören. Daneben beobachten Mediziner bei fast allen Ungeborenen mit Spina bifida Fehlbildungen des Gehirns, da ständig Hirnwasser über das unverschlossene Rückenmark in die Gebärmutter abfließt. Durch den frühen Verschluss des „offenen Rückens“ bereits im Mutterleib ließen sich derartige Folgeschäden möglicherweise vermindern.

In den USA gehören Operationen am Fetus mit Spina bifida bereits zur Tagesordnung. Allerdings öffnen die Chirurgen dabei Bauch und Gebärmutter der Schwangeren wie bei einem Kaiserschnitt, ziehen das Ungeborene hervor und verschließen die Fehlbildung. Für Mutter und Fetus ist dieser Eingriff jedoch enorm belastend. In der Abteilung für Geburtshilfe und Pränatale Medizin der Universitäts-Frauenklinik greifen die Mediziner daher zu einer schonenderen Methode. Bei ihrem Verfahren schieben sie drei dünne Operationsröhrchen – der Durchmesser dieser „Trokare“ beträgt nur drei bis vier Millimeter – durch kleine Schnitte in die Gebärmutter. Im Sichttrokar ist eine kleine Videokamera samt Lampe untergebracht, so dass der Arzt am Bildschirm verfolgen kann, wo er sich jeweils befindet. Durch die beiden Arbeitstrokare kann er dann die offene Stelle am Rückgrat mit einem Flicken abdecken.

Doch der Eingriff ist schwierig: Bestenfalls sollte die Operation zwischen der 18. und 25. Schwangerschaftswoche erfolgen – der Fetus wiegt zu dieser Zeit gerade mal 200 bis 600 Gramm und misst von Kopf bis Steiß 10 bis 15 Zentimeter. Das Operationsfeld ist nur ein bis zwei Zentimeter groß; zwischen ihm und dem Arzt liegen Bauch- und Gebärmutterwand. Das Team um Dr. Kohl hat das Verfahren daher bereits jahrelang tierexperimentell erprobt und verfeinert. Trotzdem bleiben Operationen des Feten riskant: „Immer kommt es nach einem derartigen Eingriff zur Frühgeburt; der Zeitpunkt entscheidet dann maßgeblich über die Überlebenschancen des Kindes“, erklärt der Pränatalmediziner. „Und selbst wenn die Operation erfolgreich ist, können wir den Eltern nicht versprechen, dass ihr Kind nachher ein Leben ohne Einschränkungen führen kann.“ Daher operieren die Bonner auch nur solche Kinder, deren Eltern sich unabhängig von der neuen Methode und der darin gesetzten Hoffnung zur Fortsetzung der Schwangerschaft entschlossen haben.

Bislang haben die Pränatalmediziner der Bonner Uniklinik als weltweit einzige drei dieser so genannten „minimalinvasiven“ Eingriffe am Menschen durchgeführt, stets mit Zustimmung der Ethikkommission. „Alle behandelten Kinder zeigten nach der Geburt nur geringe Lähmungserscheinungen der Beine; Blase und Darm funktionierten fast normal.“ Leider verstarb eines der Kinder an den Folgen der Frühgeburt; die zweite Mutter lebt inzwischen mit ihrem Mädchen in Leipzig. Das dritte Kind wird noch in der Bonner Klinik behandelt. „Den endgültigen Erfolg der Eingriffe werden wir erst nach mindestens zwei Lebensjahren beurteilen können.“

In Zukunft hoffen die Mediziner, auch Feten mit schweren Zwerchfellbrüchen oder lebensbedrohlichen Herzschäden vorgeburtlich operieren zu können, um ihre Überlebenschancen zu verbessern.

Ansprechpartner:

Zentrum für Geburtshilfe und
Frauenheilkunde der Universität Bonn
Professor Dr. Ulrich Gembruch
Privatdozent Dr. Thomas Kohl
Telefon: 0228 – 287-5942

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Frank Luerweg idw

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