Schulkantine contra Schnellimbiss

Die Deutschen und ihr Essverhalten: Leibniz-Wissenschaftler zu Ernährungstrends und Diäten – Kinder übernehmen schlechte Gewohnheiten der Eltern

Potsdam. Die richtige Ernährung nimmt eine Schlüsselfunktion bei der langfristigen Kostensenkung im Gesundheitswesen ein. Das wissen auch Politiker und Ernährungsfachleute. Doch der positive Effekt von Aufklärungskampagnen ist umstritten. Untersuchungen zeigen, dass Geschlecht und Lebensstil in Ernährungsfragen eine entscheidende Rolle spielen. Dabei geben die Eltern beim Essen allzu häufig ein schlechtes Vorbild ab. Experten hoffen deshalb auf Verbesserung, wenn – wie jetzt in der Diskussion – Ganztagsschulen mit Mittagsverpflegung eingeführt werden . Allerdings muss das dortige Angebot in Qualität und Preis mit dem schnellen Imbiss von der Straße konkurrieren können.

Wissenschaftler monieren unverändert: „Zu viel Fett, zu wenig Obst und Gemüse!“

„Noch immer verzehren die Deutschen zu viel Fett“, bilanziert Gottfried Ulbricht vom Deutschen Institut für Ernährungsforschung in Potsdam-Rehbrücke (DIfE). „In den letzten Jahren ist der Fettverzehr trotz intensiver Ernährungsaufklärung insgesamt annähernd gleich geblieben. Zwar werden tierische Fette inzwischen teilweise durch Pflanzenöle ersetzt. Die Fettsäurezufuhr hat sich dadurch allerdings nur geringfügig verändert – ein Grund, die Ernährungsaufklärung besonders in diesem Punkt fortzusetzen und zu intensivieren mit dem Ziel, die Aufnahme gesättigter Fettsäuren, wie sie zum Beispiel sehr reichlich in tierischen Fetten vorliegen, zu reduzieren.“ Der Durchschnittsdeutsche isst jeden Tag etwa 120 Gramm Fett, so viel wie ein halbes Päckchen Butter. Nach Ansicht der Wissenschaftler am DIfE sind das 50 Prozent zu viel. Ulbricht beobachtet und analysiert auch, wie sich Kampagnen zur Ernährungsaufklärung auswirken und welchen Erfolg sie erzielen. Ein Beispiel: die Kampagne „Fünf am Tag“, vor drei Jahren initiiert unter anderem von der Deutschen Gesellschaft für Ernährung, der Deutschen Krebsgesellschaft und den Landesärztekammern. „Der Verzehr von fünf Portionen Obst beziehungsweise Gemüse pro Tag wurde damals lediglich von 15 Prozent der Verbraucher in Berlin erreicht“, berichtet Ulbricht. Dennoch – das zeigen Untersuchungen des DIfE – hat diese Kampagne im wahrsten Sinne des Wortes „Früchte“ getragen. Zwischen 2000 und 2001 ist der Verzehr von Obst und Gemüse deutlich gestiegen. 80 Prozent der Bevölkerung wissen inzwischen, wie wichtig Obst und Gemüse für eine gesunde Ernährung sind.

Lebensstil und Ernährung – Langfristige Umstellung bringt Nutzen

Dass in Ernährungsfragen durchaus das Geschlecht, aber auch der Lebensstil eine Rolle spielen, weiß Eva Barlösius vom Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB). „Wir beobachten beispielsweise, dass insbesondere Frauen aus der Mittelschicht auf eine gesunde Ernährung achten.“ Bei Diäten und Ernährungstrends unterscheidet Barlösius drei Ansätze. „Zum einen gibt es Diäten, bei denen es um die Gewichtabnahme geht. Dann gibt es übergreifende Ernährungskonzepte, die dauerhaft in einen bestimmten Lebensstil integriert werden und die zu einer allgemeinen Steigerung der Lebensqualität beitragen sollen. Hier ist nicht allein das Körpergewicht entscheidend, vielmehr soll das gesamte persönliche Wohlbefinden gefördert werden. Schließlich gibt es solche Diäten, die der Arzt bei bestimmten Krankheiten oder zu deren Prävention anordnet.“ Die klassischen Frühjahrsdiäten gehören zur ersten Kategorie. „Hier steht eindeutig das Abnehmen im Vordergrund“, erklärt Barlösius. Gottfried Ulbricht vom DIfE betont allerdings, dass eine Diät nur dann erfolgreich sein kann, wenn sie auf eine Langzeitwirkung ausgerichtet ist: „Immer nur kurzfristige Ziele anzupeilen und sich jeden Frühling in eine neue Diät zu stürzen, ist nicht vernünftig. Vielmehr sollte die Diät eine komplett neue Ernährungsweise einleiten. Diesbezüglich haben sich die in den Medien diskutierten Diäten wie die ’Pfundskur’ in den letzten Jahren deutlich verbessert – die Verbraucher werden langfristig an neue Verzehrmuster gewöhnt“. Und das ist durchaus notwendig – neben der allgemein zu hohen Fettzufuhr und dem geringen Obst- und Gemüseverzehr verzeichnet Ulbricht weitere Ernährungsdefizite: Der Flüssigkeitsbedarf werde nicht immer gedeckt, und auch die Ballaststoffzufuhr sei nicht ausreichend. „Der Tagesbedarf von 25 Gramm (g) Ballaststoffen könnte beispielsweise in Form von 100 g Haferkleie, 140 g weißen Bohnen oder 600 g Roggenbrot gedeckt werden“, empfiehlt Ulbricht. „Idealerweise sollte auf eine abwechslungsreiche und vielseitige Kost geachtet werden, die Ballaststoffe aus verschiedenen Lebensmitteln enthält.“

Chance für gesündere Ernährung: Schulen mit Gemeinschaftsverpflegung

Wenn Erwachsene sich nicht vernünftig ernähren, ist es wahrscheinlich, dass diese ungünstigen Verzehrmuster auf die Kinder übertragen werden. Denn oft übernimmt der Nachwuchs die schlechten Essgewohnheiten, die ihm in der Familie vorgelebt werden. Daher sprechen sich Ernährungsexperten immer wieder für die Gemeinschaftsverpflegung an Schulen aus. In der derzeit diskutierten Einführung von Ganztagsschulen sieht Eva Barlösius vom WZB eine Einstiegschance für Schulkantinen. „In Ländern wie Schweden und Frankreich – Länder übrigens, die eine hohe Zahl erwerbstätiger Frauen aufweisen – ist diese Form der Versorgung an Schulen besonders verbreitet“, erklärt sie. Wie qualitativ hochwertige Gemeinschaftsverpflegung angelegt sein kann, demonstrieren die öffentlichen Kantinen in Österreich: Dort sollen 20 Prozent aller Lebensmittel aus dem ökologischen Anbau stammen. Doch mit der Einführung von Kantinen an sich ist der Weg zur vernünftigeren Ernährung noch nicht beschritten. Gottfried Ulbricht sieht mögliche Schwachstellen: „In den neuen Bundesländern gab es früher mehr Kantinen. Heute versorgen sich die Schüler dort lieber anderweitig. Dafür gibt es zwei Ursachen – zu hohe Preise einerseits und Qualitätsprobleme andererseits.“ Den Grund für diesen Negativtrend kennt der Ernährungsexperte: „Früher handelte es sich bei den Kantinen um soziale Einrichtungen mit meist eigenen Zubereitungsküchen, heute wird die Versorgung größtenteils über Zentralküchen und mit weiten Speisentransportwegen privatwirtschaftlich organisiert. Das führt häufig zu Qualitätseinbußen.“ Kommt es also tatsächlich zur flächendeckenden Einführung von Ganztagsschulen und Schulverpflegung, dann ist zuallererst auf die Lebensmittelqualität und geschmackvolles Essen zu achten. Eva Barlösius weiter: „Dies wäre ein wichtiger Schritt für eine verbesserte Gesundheitsvorsorge und eine lohnende Aufgabe für das junge Verbraucherministerium“.

Kontakt Leibniz-Gemeinschaft:
Dr. Frank Stäudner
Tel.: 0 30/ 20 60 49 42
Fax: 0 30/ 20 60 49 55
staudner@wgl.de

DIfE
Dr. Gottfried Ulbricht
Tel.: 03 32 00/ 8 83 38
Fax: 03 32 00/ 8 87 77
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