TA-Akademie präsentiert der EU ihr Konzept zur Anwendung des Vorsorgeprinzips – Risiken vermindern

Ein neues Konzept zur frühzeitigen Erkennung und Vermeidung von Risiken im Umwelt- und Gesundheitsbereich präsentiert die TA-Akademie am Donnerstag, 27. Februar 2003 bei der Europäischen Kommission in Brüssel.* „Unser Konzept kann der EU-Kommission helfen, das europaweit geltende Vorsorgeprinzip bei der Regulierung von Risiken mit Leben zu füllen. Es verspricht effektiveren Schutz für die Bevölkerung, weniger Bürokratie, mehr Planungssicherheit für die Industrie und bessere Anschlussfähigkeit mit internationalen Regelungen“, so Ortwin Renn, Leitender Direktor der TA-Akademie.

Gefahrenraster soll Risiken für EU-Bürger vermindern

Das Vorsorgeprinzip sieht vor, ungewisse Bedrohungen durch neue Chemikalien oder andere Risikoträger auch dann schon vorbeugend zu regulieren, wenn die Schädlichkeit noch nicht mit Sicherheit nachgewiesen ist. Dieses Prinzip ist in der europäischen Politik zwar theoretisch vorgeschrieben, wie dieses aber in der Praxis auszufüllen ist, darüber streiten sich die Mitgliedsländer bis heute. Das von der TA-Akademie entwickelte Konzept verspricht, diese Lücke zwischen Theorie und Praxis mit einem neuen Verfahrensvorschlag zu schließen.

Gemeinsam mit Wissenschaftlern der ETH Zürich und der englischen Universität Sussex hat die TA-Akademie in den vergangenen zwei Jahren im Rahmen des von der EU finanzierten Projekts „The Application of the Precautionary Principle in the European Union“ (PRECAUPRI) ein tragfähiges Modell zur Anwendung des Vorsorgeprinzips in der europäischen Risikoregulierung erarbeitet. Ortwin Renn hofft jetzt auf eine baldige Umsetzung in allen EU-Mitgliedsländern.

Das entwickelte Modell wurde speziell auf neue organische Schadstoffe zugeschnitten und soll die Verbreitung „irreversibler und weitverbreiteter Stoffe“ künftig bereits vorsorglich einschränken. „Sollte sich ein Stoff im Nachhinein als giftig für Mensch und Tier erweisen, so übersteigen die Kosten seiner Entfernung aus der Umwelt die einer vorsorglichen Entwicklung eines alternativen Stoffes um ein Vielfaches“, so Marion Dreyer, wissenschaftliche Mitarbeiterin der TA-Akademie. Das Modell weise aber nicht nur den Weg für den Umgang mit Chemikalien unter Bedingungen wissenschaftlicher Ungewissheit. Vielmehr könnten künftig auch unterschiedliche Risiken wie etwa elektromagnetische Strahlung oder genetisch veränderte Lebensmittel, je nachdem ob ihr Bedrohungspotential ernsthaft, wissenschaftlich unsicher, komplex oder gesellschaftlich umstritten ist, in fünf verschiedene Problemklassen eingestuft und dann verschiedenen rationalen Verfahren der Risikobearbeitung zugewiesen werden. „Der besondere Vorzug des Verfahrens“, betont Marion Dreyer, „liegt in der klaren und eindeutigen Vorgehensweise bei der Bewertung von neuen Risikoträgern, wobei für alle Beteiligte mehr Transparenz und Nachvollziehbarkeit erreicht werden kann“. „Die immer wieder beklagte Willkür, die oft mit dem Vorsorgeprinzip verbunden wird, ist bei unserem Konzept ausgeschlossen“, ergänzt Projektleiter Ortwin Renn.

Am Beispiel gentechnisch modifizierter Organismen (GMOs) in der Lebensmittelherstellung verdeutlicht Dreyer, wie verschiedene Anwendungen einer Technologie verschiedene Verfahren der Risikobearbeitung erforderlich machen können: „Für den Einsatz von GMOs zur Käseherstellung in einem geschlossenen Kreislauf reichen nach unserem Modell die üblichen Sicherheitsmaßnahmen in der Produktion auf der Basis einer wahrscheinlichkeitsgestützten Risikoabschätzung aus,“ so die Risikosoziologin. Dagegen müsse der Einsatz von GMOs in der freien Umwelt, etwa beim Anbau transgener Nutzpflanzen, einem vorsorgeorientierten Ansatz der Risikobearbeitung unterworfen werden. „Hier können die ökologischen Effekte durch eine probabilistische Risikoabschätzung nicht angemessen erfasst werden“, so Dreyer. Es bedürfe daher besonderer Instrumente des Risikomanagements, etwa einem Sicherheitsmonitoring nach der Marktzulassung. Da dieser Anwendungsbereich zudem eine besondere gesellschaftspolitische Sprengkraft besitze, empfehlen die Wissenschaftler begleitende diskursive Verfahren zur Sichtbarmachung der Konfliktlinien und Entschärfung der Auseinandersetzungen. „Bestimmte technische Anwendungen von GMOs, etwa als Antibiotika-Resistenzmarker können sogar ein präventives Verbot oder eine vorbeugende Empfehlung zur stark eingeschränkten Verwendung erfordern“, so Dreyer.

In den vergangenen zwei Jahren hat die TA-Akademie ihr allgemeines Modell der Risikoregulierung im intensiven Dialog mit den unterschiedlichen Interessensgruppen aus Industrie, Umwelt und Verbraucherschutz, Politik und Recht in einer Reihe internationaler Workshops zur Diskussion gestellt und auf der Basis der Rückkopplungen durch die Workshop-Teilnehmer ein tragfähiges und belastbares Verfahren entwickelt. Dabei war der Einsatz der in der TA-Akademie eingesetzten Diskursmethoden besonders fruchtbar: „Die Interessensvertreter waren sehr engagiert und ihre zentralen Empfehlungen haben wir ins Modell integriert“, so Dreyer. Vertreter aus den verschiedenen Workshops werden bei der Vorstellung des Modells in Brüssel im Rahmen einer Podiumsdiskussion ihre Mitwirkung an dem Enddokument kommentieren und mit den Autoren diskutieren.

Ansprechpartner:
Dr. Marion Dreyer, Tel: 0711/9063-278
E-Mail: v
Markus Geckeler, Tel: 0711/9063-222
E-Mail: markus.geckeler@ta-akademie.de

*Umfangreiche Hintergrundinformationen zum Projekt, sowie den kompletten Text des
Modells finden Sie auf Englisch (Executive Summary) auf unserer Homepage unter
http://www.ta-akademie.de oder direkt unter der Internetseite des Projektes http://precautionary:principle@193.174.157.9/login unter Precaution / „about the Project“.

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Dr. Birgit Spaeth idw

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