Die Zukunft der Gesundheit in Europa

5. EUROPEAN HEALTH FORUM GASTEIN – Ein Rückblick

Was tun, wenn Bioterror ausbricht? Wie dem Kostendruck begegnen, der die öffentlichen Krankenkassen an die Wand drückt? Warum Euthanasie akzeptieren? – Die „europäische Denkmaschine für Gesundheitsfragen“, das European Health Forum Gastein (EHFG), war vergangene Woche wieder mit den brennenden Gesundheitsthemen beschäftigt. Mehr als 450 Teilnehmer aus 35 europäischen Staaten hatten sich im Thermenort Bad Hofgastein eingefunden, um verschiedene Probleme zu erörtern, zu diskutieren und gesamteuropäische Lösungsstrategien zu erarbeiten.

Da gute Antworten für den Gesundheitsbereich nur dann zu finden sind, wenn alle Beteiligten eingebunden sind, befanden sich unter den Referenten der EU-Kommissar für Gesundheit und Konsumentenschutz, David Byrne, genauso wie Konsumentenschützer, hochrangige Gesundheitspolitiker wie Heidi Hautala und Herbert Haupt, führende Wissenschaftler genauso wie Vertreter von Ärzte- oder Apothekerkammern.

Am Samstag, 28. September 2002, ging nach vier spannenden Kongresstagen das 5. EHFG zu Ende.

Mit dem Gipsbein auf Reisen…
Das diesjährige EHFG-Schwerpunktthema lautete „Gemeinsame Herausforderung an Gesundheit und Pflege“. Die Referenten beleuchteten aus verschiedenen Blickwinkeln die aktuellen Umbrüche in den europäischen Gesundheitssystemen wie z.B. „Patiententourismus“ in Theorie und Praxis. Ende Juni des Jahres hatte der Rat der EU-Gesundheitsminister in Luxemburg beschlossen, die Mobilität der Patienten zukünftig stärker im europäischen Recht zu verankern. Damit soll der Zugang zu hochwertigen Gesundheitsdiensten im Ausland erleichtert werden. In Perspektive sollten spezialisierten Zentren für besondere Eingriffe geschaffen werden. Wartezeiten auf eine Behandlung könnten durch die Nutzung freier Kapazitäten im Ausland verkürzt werden.

Es besteht weiters die Chance auf grenzüberschreitende Gesundheitsbetreuung in Grenzgebieten und eine verbesserte Gesundheitsbetreuung für Menschen, die für längere Zeit in anderen EU-Mitgliedsstaaten leben. Dr. Franz Terwey, Direktor der European Social Insurance Partners, einer Dachorganisation von 31 europäischen Krankenkassen, begrüßt diese Entwicklung: Sie würde nicht nur die Professionalisierung von Krankenhäusern vorantreiben, sondern auch Kosten sparen. Heidi Hautala, finnische Abgeordnete des Europäischen Parlaments und Präsidentin der Untergruppe Gesundheit, bezeichnete in ihre Schlusswort eine europaweite Harmonisierung des gesetzlichen Rahmens für Gesundheit als die Herausforderung

Salzburg Gesundheitsreferentin, Landeshauptmannstellvertreterin Gabi Burgstaller wies am Ende des diesjährigen European Health Forum Gastein vor allem auf zwei Punkte hin: Zum Einen bestehe in Österreich ein steigender Bedarf an diplomiertem Pflegepersonal in Krankenhäusern und Altersheimen. Immer weniger Menschen wollen den langwierigen Ausbildungsweg auf sich nehmen, um jene, früher im Familienverband bewältigten Pflegeleistungen zu übernehmen, um die sich jetzt der Staat kümmern muss. Innerhalb der nächsten 10 Jahre würden 35.000 neue Ausbildungsplätze benötigt.

Andererseits ist im inländischen Kurbereich ein Patientenmangel zu verzeichnen, der zum Teil auf den Rückgang ausländischer Kurgäste zurückzuführen sei. Burgstaller endete mit dem Apell, auf EU-Ebene international zusammenzuarbeiten, damit die nationale Stärken weiter forciert anstatt geschwächt würden.

Phantombild „Qualität“
Intensiv berieten die EHFG-Experten auch das Thema „Verbesserungen der Rahmenbedingungen für die Qualität in der Gesundheitsversorgung“. Für eine Qualitätssteigerung der europäischen Gesundheitssysteme bedürfe es neuer Managementkonzepten und eines neuen „Mix“ zwischen öffentlichen und staatlichen Anteilen im Gesundheitswesen. Es ginge auch darum, neue Informationssysteme einzuführen, die den Patienten mit einbeziehen. Dr. Ladislav Mravec vom General Health Insurance Fund, Tschechien, stellte in dem Zusammenhang das iZIP-Projekt (Internet Access to Patient’s Medical Information) vor.

Das iZIP ist eine medizinische Datenbank für Versicherte, in der die Krankheitsgeschichte des Patienten dokumentiert wird. Damit wird transparent, welche Behandlungen der Patient schon hinter sich hat. Erfolglose Therapien werden nicht wiederholt. Kein Doppelgemoppel also, das den Organismus wie die Finanzen des Gesundheitssystems unnötig belastet. Eingetragen werden die Befunde vom jeweiligen Arzt. Doch nur der Patient kann auf die Daten zugreifen und entscheiden, welcher Arzt oder welche Institution sich weiter einloggen darf.

Lieber reich und gesund als arm und krank…
Eines der Diskussionsforen nahm sich eines gesundheitspolitischen Dauerbrenners an: Reiche leben länger und gesünder als Menschen mit geringerem Einkommen. In sozialstaatlichen Entwicklungsländern wie Mexiko zeichne sich das krasser ab, sagte Professor Robert Beaglehole, zuständig für Gesundheitsvorsorge bei der WHO. Eine Person aus der Unterschicht lebt statistisch gesehen 13 Jahre weniger als eine aus der Oberschicht. In Europa geht die Schere zwischen Reich und Arm zwar nicht gar so weit auseinander, doch sterben auch in England Arbeiter durchschnittlich um sechs Jahre früher als Akademiker. Eine gute Volksgesundheit basiere auf politischen Entscheidungen, unterstrich Professor Richard Wilkinson von der Universität Nottingham. Dr. Hans Stein, Mitglied des Gesundheitsausschusses der EU-Kommission, forderte in diesem Zusammenhang: „Gesundheit muss politisches Gewicht erlangen. Die EU darf nicht bloß für Wirtschaftsinteressen gut sein, sondern für Bürgerinnen und Bürger.“

Vom Falschen zu viel – Ernährungsprobleme in Europa
Rinderwahnsinn und die Creutzfeld-Jacob-Krankheit, die Maul- und Klauenseuche und Nitrofen im Putenfleisch und im Getreide. Die Lebensmittelskandale der letzten Jahre haben die Europäer für die Qualität ihrer Nahrungsmittel sensibilisiert. Über ihr alltägliches Essverhalten scheinen sich viele allerdings kaum Gedanken zu machen. Tatsächlich gebe es aber hundert Mal mehr Tote durch unausgewogene Ernährung als durch vergiftete Nahrung, bestätigte Camilla Sandvik von der Universität Oslo, die sich bis vor kurzem bei der Europäischen Kommission mit dem Thema befasst hat. Karen Lock von der London School of Hygiene and Tropical Medicine – sie arbeitet derzeit für die WHO an einer Studie über die globale Belastung von ernährungsbedingten Krankheiten – stellte fest: „Der mangelnde Verzehr von Obst und Gemüse hat einen viel größeren Einfluss auf die Gesundheit als jeder von uns gedacht hätte.“

Cholesterin- und informationsfrei
Auf dem Ernährungssektor ist auch ein regelrechter Informationskrieg ausgebrochen zwischen Lebensmittelkonzernen und Gesundheitsorganisationen, zwischen Werbefirmen und Konsumentenschützern. Trendige Mogelbegriffe wie „cholesterinfreies Rapsöl“ oder „fettfreier Honig“ tragen dabei nicht gerade zur Transparenz bei. Für Anna Jung vom European Food Information Council müsse ein offener und ausgewogener Dialog zwischen den Interessensgruppen aufgebaut werden. Als Beispiel dafür nannte Ernährungsforscherin Gill Fine die Supermarktkette Sainsbury, die Konsumentenvertreter in den Entwicklungsprozess von Produkten mit einbezieht.

Wie man Wissen schafft
Anlässlich des Starts des 6. EU-Forschungsrahmenprogrammes, mit dem ein europäisches Forschungsgebiet geschaffen werden soll, nahmen EHFG-Experten auch die „Public Health Research for European Community Policies“ unter die Lupe. Forschung sei eine der entscheidendsten Säulen eines funktionierenden Gesundheitssystems, betonte Mia Defever von der Katholischen Universität Leuven, Belgien. Die gesundheitspolitische Diskussion sollte von empirische Ergebnissen gesteuert sein, und nicht von ideologisch gefärbten Annahmen. Wichtig, wenn auch schwierig, sei es, den aktuellen Wissensstand an die politischen Entscheidungsträger zu vermitteln.

Anthrax ante portas
Auf außergewöhnlich großes Interesse stießen die Ausführungen von George Gouvras, der das Anti-Bioterror-Programm der EU, BICHAT (Langfassung: „programme on preparedness and response to biological and chemical agent attacks“) präsentierte. Im Kampf gegen Bioterror erfolgreich sein, hieße, sich die Apokalypse vorzustellen. Und dagegen anzudenken. Der erste Schritt der Terrorbekämpfung ist, sich pessimistische Bedrohungsszenarien auszudenken und dafür Lösungsstrategien zu entwerfen. Neben der Rückverfolgbarkeit von Epidemien besteht eine Hauptaufgabe von BICHAT darin, einzelne nationale Katastrophenpläne EU-weit optimal aufeinander abzustimmen und für die nötige Koordination und schnellen, sicheren Informationsaustausch zu sorgen. „Wir haben ein Alarmsystem entwickelt, das sieben Tage pro Woche und 24 Stunden pro Tag sofort aktivierbar ist“, erklärte Gouvras. Es soll ein flächendeckendes Netz aus Experten aufgebaut werden: Ärzte, zum Beispiel, die sich auf die Behandlung von seltenen Krankheiten spezialisiert haben, oder Laboranten, die in der Lage sind, zwischen Hunderten von verschiedenen Anthrax-Sporen zu unterscheiden. Zudem sollen Medikamentendepots errichtet werden, auf die international zugegriffen werden kann. Diese Depots sollen zusätzlich auch für Tierepidemien wie Maul-und-Klauen-Seuche oder Schweinepest gerüstet sein. Bis Ende 2003 muss das BICHAT-Programm erfolgreich umgesetzt sein.

Osterweiterung – Chancen und Probleme
Staatssekretät Reinhard Waneck mahnte zu zeitgerechten, vorausschauenden Planungen im Gesundheitsbereich. „Zukunft passiert nicht, sondern wird in der Gegenwart gemacht.“ Innovationen seien auf zukünftige gesamtpolitische Entscheidungen abzustimmen. Im EU-Kontext betreffe dies jene neuen Bewerberstaaten, deren Gesundheitssysteme nicht auf dem europäischen Standard seien. Sich im osteuropäischen Raum epidemisch ausbreitende Infektionskrankheiten wie Tuberkulose, AIDS und Malaria könnten auch zu Gefährdungen für mitteleuropäischen Patienten und Gesundheitssysteme werden. Deshalb müsse schon jetzt in die Angleichung an das internationale Niveau investiert werden, um viel höhere Reparaturkosten in Zukunft zu vermeiden.

Dr. Günther Leiner, Mediziner und Präsident des Internationalen Forums Gastein, zeigte sich in seiner Abschlussrede höchst erfreut über das Bekenntnis der österreichischen Regierung zur EU-Erweiterung, das der Gesundheitsstaatssekretär beim Health Forum ausgesprochen hatte. Dr. Leiner bezeichnete das European Health Forum Gastein als „freundschaftliche Begegnung“, bei der in einem fachlichen, aber zutiefst menschlichen Ambiente maßgebliche Weichen für die Zukunft des europäischen Gesundheitswesens gestellt werden. Sein Aufforderung an die Teilnehmenden lautete: „Setzen Sie es um! Wir dürfen nicht bei der Absichtserklärung bleiben!“


Rückfragehinweis:
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Tauernplatz 1
A-5630 Bad Hofgastein
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