Sternkarten für trockene Nächte


Geht bei Kindern das „kleine Geschäft“ ausschließlich nachts daneben, besteht meistens kein Grund zur Sorge. Nur in Ausnahmefällen stecken ernsthafte Störungen dahinter. Bei Bedarf stehen wirksame Behandlungsstrategien zur Verfügung. Das Augenmerk sollte eher bei Kindern liegen, die auch tagsüber ihre Höschen nass machen, raten Experten auf der 32. Jahrestagung der International Continence Society in Heidelberg.

Wenn Kinder nachts ins Bett nässen, sind die Eltern schnell gestresst. Das Kind ist nass, das Bettzeug ebenso – und das mitten in der Nacht. Im Alter von fünf Jahren passiert das nächtliche Malheur noch etwa jedem fünften Kind regelmäßig. Experten sprechen von „Enuresis“, wenn Kinder mindestens zwei Mal pro Monat im Schlaf ihre Blase entleeren, tagsüber aber trocken bleiben.

In den meisten Fällen besteht kein Anlass zur Sorge. Zwar haben die Ärzte die Ursachen der nächtlichen Blasenentleerung noch nicht eindeutig identifiziert. Doch die meisten gehen davon aus, dass sich bei den Kleinen einfach die Entwicklung des zentralen Nervensystems verzögert hat. Psychische Faktoren spielen zumeist keine Rolle: Bei diesen unterscheiden sich Kinder, die einnässen, nicht von anderen. „Mit fünf Jahren gibt es einfach noch viel zu lernen“, sagt schmunzelnd Professor Jan D. van Gool, ein niederländischer Kinder-Nephrologe der am Universitätskrankenhaus Antwerpen in Belgien arbeitet, „und manche Kinder sind einfach etwas langsamer.“ Allerdings sind auch noch im Alter von sieben Jahren zwischen zwölf und 14 Prozent der Jungen und sieben bis 14 Prozent der Mädchen Bettnässer. Von diesem Alter an empfehlen Experten dann auch eine Behandlung.

Heute stehen verschiedene denkbare Ursachen auf dem Prüfstand der Forschung: So vermuten Wissenschaftler, dass eine zu kleine Blasenkapazität die nächtliche Blasenentleerung verursacht. Auch die nächtlich produzierte Urinmenge scheint eine Rolle zu spielen. Möglicherweise, so lautet eine weitere Hypothese, wird dieses Problem durch eine überaktive Blase verstärkt. Wie Wissenschaftler von den Universitätskliniken in den belgischen Städten Antwerpen und Gent auf der Tagung berichten, hat mehr als die Hälfte der einnässenden Kinder mit einer geringen Blasenkapazität auch noch eine überaktive Blase.

High-Tech macht Angst

Um eine solche überaktive Blase zu diagnostizieren, ist jedoch High-Tech-Medizin mit Apparaten und Geräten erforderlich. „Man braucht sich eigentlich nicht zu wundern, wenn Kinder“, gibt van Gool zu bedenken, „angesichts medizinischer Apparaturen einen plötzlichen Harndrang verspüren. Diese Reaktion ist natürlich bei Stress und Angst.“ Im Klartext: Möglicherweise wird mit den High-Tech-Verfahren eine Störung diagnostiziert, die sie selbst verursacht haben.

„Zunächst gehören darum zur Diagnosestellung einer Enuresis nur der Patient, die Eltern und der Arzt“, sagt van Gool. Der Arzt muss Eltern und Kind befragen, untersucht das Kind inklusive seiner äußeren Geschlechtsteile und erkundet das Trinkverhalten sowie die psychomotorische Entwicklung des Kindes. Er begutachtet das Wasserlassen und schickt eine Urinprobe ins Labor. Oft kann ein „Pippi-Tagebuch“ Hinweise geben. „Eine aufwendige apparative Diagnostik wie die Urodynamik ist bei den Kindern nur nötig, wenn ein begründeter Verdacht besteht“, betont van Gool.

„Eltern sollten nicht gleich überreagieren, wenn ihr Kind nachts ins Bett nässt“, rät der Spezialist. Niederländische Studien aus den neunziger Jahren zeigen, dass bis zu 19 Prozent der nächtlichen Bettnässer ohne Behandlung binnen acht Wochen trocken wurden. In anderen Studien verschwand das Symptom bei bis zu 30 Prozent der Kinder spontan. Besonders wichtig ist die positive Einstellung des Kindes. Druckmachen ist nicht die richtige Methode, zumal Experten vermuten, dass elterliche Erwartungshaltungen gegenüber dem Kind die Situation eher verschlimmern. Van Gool empfiehlt, dem Kind die Verantwortung zu übergeben, nach dem Motto „das Bettnässen wird vermutlich verschwinden. Nur weiß keiner genau, wann.“

Sternkarten und klingelnde Hosen

Verschwindet das nächtliche Malheur nicht, so sind Verhaltenstherapien Methode der Wahl. Dazu gehören etwa kleine Belohnungen wie Sternkarten für trockene Nächte. Die so genannte „Klingelhose“ ist ein über 60 Jahre altes Verfahren. Eine Alarmglocke klingelt und weckt die Kinder auf, wenn die Hose feucht wird. „Die Alarmglocke ist immer noch die effektivste Methode bei nächtlichem Bettnässen“, resümiert van Gool. Nach einer Behandlung von acht bis neun Wochen sind bis zu 43 Prozent der Kinder dauerhaft trocken. Die Rückfallquote ist im Vergleich zu anderen Behandlungsstrategien niedrig.

Eine kleine Blasenkapazität können die Kinder durch ein Blasentraining verbessern. Dies belegen die Untersuchung der Ärzte aus Antwerpen und Gent. Jedes fünfte Kind in der Studie wurde mit dieser Methode allein trocken. Die anderen Kinder, bei denen ein vierwöchiges Blasentraining keine Besserung gebracht hatte, erhielten zusätzlich zum Training Medikamente, so genannte Anticholinergika. Doch auch diese Kombinationstherapie wirkte nicht bei allen Kindern: 20 Prozent nässten weiterhin ein. Ältere Kinder sprachen darüber hinaus weniger gut auf die Therapie an.

Die medikamentöse Behandlungen der kleinen Patienten beurteilen Experten wie van Gool insgesamt eher kritisch. Zwar wird beispielsweise ein Viertel der behandelten Kinder durch eine Therapie mit einem synthetischen Verwandten des Hormons Vasopressin – dem Desmopressin – innerhalb von zwei Wochen trocken (das Medikament führt dazu, dass der Körper das Wasser zurückhält). „Doch sobald das Medikament abgesetzt wird, nässen die Kinder nachts wieder ein“ berichtet der Kinder-Nephrologe.

„Die Behandlung mit dem Wirkstoff Desmopressin reduziert sehr schnell die Anzahl der nassen Nächte. Eine Wirkung über die Therapiedauer hinaus konnte jedoch nicht nachgewiesen werden“, erklären auf dem Kongress auch die Vertreter der Cochrane-Organisation, einem internationalen Forscher-Netzwerk, das die Wirksamkeit medizinischer Therapien auf der Grundlage klinischer Studien überprüft und bewertet.

Die Behandlung mit so genannten trizyklischen Antidepressiva lehnt van Gool ab, weil sie zu gefährlich sind und zu wenig Erfolg bringen. „Insgesamt“, kritisiert er, „haben wir ein großes Defizit bei vorausschauenden (prospektiven) Therapie-Studien.“ Dies sei ein wesentlicher Grund, warum man die Bedeutung der medikamentösen Therapie im Kindesalter nicht sicher beurteilen könne.

Inkontinenz: Pingpong zwischen Funktionsstörung und Entzündung

Während sich beim nächtlichen Einnässen die Blase völlig entleert, verlieren die Kinder bei Harninkontinenz tagsüber meist nur kleinere Urinmengen. Sie wird deshalb nicht als so störend empfunden wie die nächtliche Enuresis. „Doch Eltern sollten gerade hier nicht zögern, einen Arzt aufzusuchen“, rät van Gool. Denn dieser Harnverlust, ein Zeichen für eine Störung von Schließmuskel und Blasenmuskel, tritt sehr häufig zusammen mit Blaseninfektionen auf: In einer schwedischen Studie mit Siebenjährigen waren 8,4 Prozent der Mädchen und 1,4 Prozent der Jungen betroffen.

Auch in Antwerpen fanden Wissenschaftler bei einer Studie mit Zehn- bis Elf-Jährigen ähnliche Häufigkeiten. Als die Forscher bei dieser Studie die Eltern befragten, erkannten sie, dass diese dem zumeist harmlosen nächtlichen Einnässen sehr viel mehr Bedeutung beimessen als der Harninkontinenz am Tag, hinter der eine Infektion stecken kann. Eine so genannte Dranginkontinenz ist dann eine der Folgen. Die Muskulatur, die für die Entleerung der Harnblase sorgt, ist überaktiv und zieht sich zusammen, noch bevor die Blase voll ist. Bei manchen Kindern fließt der Urin zum Teil wieder in die Blase zurück. Dieser Restharn ist ein idealer Nährboden für Bakterien. So kommt es immer wieder zu Entzündungen der Blase. „Es ist daher wichtig“, betont van Gool, „die Blasenentzündung gleichzeitig mit der Inkontinenz zu behandeln und die Ursache wiederkehrender Infektionen aufzuspüren.“

Wichtig bei der medikamentösen Behandlung kindlicher Inkontinenz ist die Gabe von Antibiotika, falls eine Blasenenzündung vorliegt. Bei Dranginkontinenz können, zusätzlich zum Blasentraining, so genannte Anticholinergika eingesetzt werden. Deren Wirksamkeit kann jedoch noch nicht eindeutig beurteilt werden. „Bisherige Studien“, resümiert van Gool, „zeigen keinen deutlichen Unterschied in der Wirkung von Anticholinergika, Placebo und Blasentraining.“

Tipps für Eltern

  1. Wenn Ihr Kind unter sieben Jahren ist und nur nachts gelegentlich einnässt, müssen Sie sich keine Sorgen machen. Es ist vor allem sinnlos, das Kind unter Druck zu setzen. Es kann nichts dafür. Deshalb ist belohnen und strafen zwecklos.
  2. Wenn Siebenjährige nachts noch einnässen, sollten Sie Ihren Kinderarzt konsultieren. Hilfreich ist dann zunächst ein Verhaltenstraining. Dazu gehört z.B. das Führen eines „Pippi-Tagebuches“. In diesem hält das Kind fest, welche Nächte nass und welche trocken sind. Alleine dieses bewirkt schon viel: Das Kind lernt so Verantwortung und Kontrolle. Voraussetzung: Das Kind führt dieses Tagebuch selbst – und nicht die Eltern.
  3. Medikamente wirken zwar schnell – doch oft nur so lange sie eingenommen werden. Ein Verhaltenstraining wirkt demgegenüber auch noch nachdem es abgesetzt wurde.
  4. Wenn Kinder tagsüber Urin verlieren, kann dies ein Warnzeichen sein. Sie sollten dann den Kinderarzt konsultieren, da dahinter eine Blaseninfektionen stecken kann.

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Dipl. Biol. Barbara Ritzert idw

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