Auf neuem Weg zum Herzen

Helmut Breuer hat vor wenigen Tagen seinen 80. Geburtstag gefeiert. Er ist rüstig und fühlt sich gut. Seine Lebensqualität hat er vor drei Jahren wieder erlangt, als er im Universitätsklinikum Essen eine Herzklappe – eine Bioprothese – erhielt.

Erstmals wurde diese in Deutschland per Herzkatheter, ohne Eröffnung des Brustkorbs und ohne Herz-Lungen-Maschine implantiert. „Mir geht es seit dem Eingriff so gut“, sagt Helmut Breuer, „ich habe 20 Jahre gewonnen.“

Wie ihm geht es vielen älteren Menschen: Die am meisten strapazierte Klappe im Herzen, die so genannte Aortenlappe, ist das Ventil zwischen der großen linken Herzkammer und der Körperschlagader. Bei jedem Herzschlag geht die Klappe auf und zu. Im Lauf eines 80-jährigen Lebens also mehr als 3 Milliarden Mal.

Durch die mechanische Belastung und zusätzliche Faktoren (genetische Faktoren, Risikofaktoren, etc.) kann eine zunehmende Unbeweglichkeit und Enge der Aortenklappe auftreten, die mit einer starken Verkalkung einhergeht: eine Aortenklappenstenose; das Klappenventil ist dicht! Die Leistungsfähigkeit nimmt rapide ab, Luftnot und Herzschmerzen treten auf, bis hin zum Bewusstseinsverlust. Einzige Möglichkeit: die Herzklappe muss ersetzt werden.

Chance für ältere Menschen und Risikopatienten

Bisher wird der Herzklappenersatz fast immer standardmäßig mit einem chirurgischen Eingriff am still gestellten Herzen unter Vollnarkose, Durchtrennung des Brustbeines, Anschluss der Herz-Lungen-Maschine und Eröffnung des Herzens durchgeführt. Aber: Viele der älteren Menschen haben zusätzliche Krankheitsfaktoren, die das operative Risiko erhöhen. Helmut Breuer: „Ich hatte schon zwei Bypassoperationen hinter mir und ich war in vier herzchirurgischen Zentren. Aber keiner wollte noch mal ran.“ Auch die Nierenfunktion war bei ihm eingeschränkt.

„Untersuchungen in Europa haben gezeigt, dass bis zu 30 Prozent der Patienten, die eine neue Herzklappe benötigen, diese nicht erhalten, weil sie zu alt sind und ungünstige Bedingungen haben – wie vorausgegangene Herzoperation oder eingeschränkte Nierenfunktion“, sagt Prof. Dr. med. Stefan Sack, Leitender Oberarzt der Klinik für Kardiologie und Leiter des Aortenklappenprogramms. Für diese Patienten mit hochgradiger Aortenklappenstenose und hohen Operationsrisiko ist das neue Verfahren der so genannten „kathetergestützten Aortenklappenimplantation“ gedacht.

Zwei neue Herzklappen

Derzeit werden zwei neue Herzklappen für dieses völlig neue Verfahren verwendet: Die eine Herzklappe (SAPIEN-Bioprothese; siehe Abbildung 1, A) besteht aus biologischem Gewebe (Rinderherzbeutel) und ist zusammengefaltet in ein Stahlgerüst montiert, das dann vor Ort im Herzen mit einem Ballon aufgedehnt wird. Die andere Herzklappe (CoreValve; siehe Abbildung 1, B) ist ebenfalls aus biologischem Material (Pferdeherzbeutel), entfaltet sich jedoch selbst im Herzen, weil sie in eine Stütze aus Metall mit Erinnerungsvermögen („store memory alloy“) montiert ist.

…auf zwei neuen Wegen zum Herzen

Prinzipiell stehen den Herzspezialisten, eine Kooperation der Kliniken für Kardiologie, Herzchirurgie und Anästhesie im Westdeutschen Herzzentrum, zur Implantation dieser neuartigen Herzklappe zwei unterschiedliche Zugangswege und Vorgehensweisen zur Verfügung (siehe Abbildung 2). Je nach Risikoprofil des einzelnen Patienten wird eines der beiden neuartigen Methoden ausgewählt:

Beim ersten Weg (siehe Abbildung 2, A), der so gennanten „transfemoralen“ Methode, erfolgt der Zugang zum Herzen über die Leiste. Der Arzt punktiert die Leistenarterie und schiebt von dort aus vorsichtig einen Ballon mit der montierten, zusammengefalteten Bioprothese bis zum Herzen. Sobald er die richtige Position erreicht hat, dehnt er den Ballon unter hohem Druck auf. Dabei legt sich die Bioprothese als neue Herzklappe über die alte verkalkte Klappe.

„Eine faszinierende Methode und Ergebnis unserer langjährigen Erfahrungen mit der Klappenaufdehnung, mit der wir bereits vor 25 Jahren begonnnen haben und der Herzklappenimplantation vorausgeht“, so Professor Dr. med. Raimund Erbel, Direktor der Klinik für Kardiologie.

Beim zweiten Weg (siehe Abbildung 2, B), der so genannten „transapikalen“ Vorgehensweise, die erstmalig in NRW vor drei Jahren am Universitätsklinikum Essen erfolgreich durchgeführt wurde, wird die neue Herzklappe über einen kleinen Schnitt unter der linken Brust durch die Herzspitze eingebracht. Viele Patienten im fortgeschrittenen Lebensalter haben nämlich zusätzlich auch stark verkalkte Arterien, so dass die Herzklappe meist nicht über die Leistengefäße eingebracht werden kann.

„Wir können sehr schonend den direkten Weg nehmen, indem wir mit einem kleinen, rund. fünf Zentimeter langen Schnitt, den linken Brustkorb zwischen den Rippen eröffnen und direkt den Zugang für den Herzkatheter mit der zusammengefalteten Klappe über die Herzspitze wählen. Wir können dabei auf die Herz-Lungen-Maschine verzichten und ohne Herzstillstand die neue Herzklappe am schlagenden Herzen einsetzten“ beschreibt der Herzchirurg Dr. med. Matthias Thielmann, Oberarzt der Klinik für Thorax- und Kardiovaskuläre Chirurgie, das für den Patienten wenig belastende Vorgehen.

ie Bioprothese wird auch hier auf einen Ballon montiert eingebracht und dann implantiert. „Wir arbeiten im Team mit den Kardiologen und Anästhesisten zusammen“, sagt Professor Dr. med. Heinz Jakob, Direktor der Klinik für Thorax- und Kardiovaskuläre Chirurgie und unterstreicht damit das besondere Merkmal des Westdeutschen Herzzentrums Essen.

Die Herzspezialisten sind sich einig, dass beide Methoden bald zum Standard-Repertoire der Behandlungsmöglichkeiten von Risikopatienten mit schweren Aortenklappenerkrankungen gehören werden. Mit beiden Methoden wurden bisher insgesamt 50 Herzklappen am Universitätsklinikum Essen erfolgreich implantiert, das damit zu den führenden Zentren in der Welt gehört!

Nähere Informationen:
Dr. med. Matthias Thielmann, Oberarzt der Klinik für Thorax- und Kardiovaskuläre Chirurgie, Westdeutsches Herzzentrum Essen, Universitätsklinikum Essen, Hufelandstrasse 55; 45122 Essen;
Tel: +49 (0)201 723-4901; Fax:+49 (0)201 723-5451;
E-Mail: matthias.thielmann@uni-due.de

Priv.- Doz. Dr. med. Holger Eggebrecht, Oberarzt der Klinik für Kardiologie, Westdeutsches Herzzentrum Essen; Universitätsklinikum Essen,
Hufelandstrasse 55, 45122 Essen,
Tel: +49 (0)201 723-4804, Fax:+49 (0)201 723-5404;
E-Mail: stefan.sack@uni-due.de

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Kristina Gronwald idw

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