Klinische Forschung für Europa

Eine seltene Erkrankung, einige tausend Menschen, die europaweit betroffen sind, und ein möglicherweise lebensrettendes Medikament: Damit die Arznei am Krankenbett verabreicht werden darf, muss sie zuvor über eine klinische Studie auf ihre Wirksamkeit und Unbedenklichkeit überprüft werden.

Nur über Grenzen hinweg lassen sich oft ausreichend Patienten rekrutieren, die aufgrund ihres speziellen Krankheitsbildes an einer Studie teilnehmen können. Eine komplexe Aufgabe für Mediziner, aber erst die länderspezifischen Besonderheiten machen ein solches Forschungsprojekt für den Bereich der nichtkommerziellen Forschung zur wirklichen Herausforderung. Eine Barriere, die durch den Aufbau einer pan-europäischen Infrastruktur für klinische Forschung bald beseitigt werden soll.

Das Zauberwort, mit dem die Koordinierung und praktische Durchführung multizentrischer Forschungsvorhaben in der Medizin europaweit erleichtert und intensiviert werden soll, heißt ECRIN. Das European Clinical Research Infrastructures Network (ECRIN) wurde 2004 ins Leben gerufen, um die Fragmentierung der klinischen Forschung in Europa zu überwinden.

Die Bündelung europaweiter Forschungsaktivitäten wird, so das Konzept, durch den Zusammenschluss von klinischen Forschungs- und Studienzentren der einzelnen Länder realisiert. Mitglieder von ECRIN sind dabei nicht einzelne Forschungs- und Studienzentren, sondern etablierte nationale Netzwerke. In Deutschland ist das Netzwerk der Koordinierungszentren für Klinische Studien nationaler Partner von ECRIN und federführend für die Umsetzung der ECRIN-Aktivitäten.

Am 20. Mai 2008, zum 261. Jahrestag der ersten kontrollierten klinischen Studie durch den britischen Schiffsarzt James Lind, beginnt die dritte und entscheidende Phase von ECRIN: Innerhalb der nächsten drei Jahre soll eine europäische Forschungs-Infrastruktur etabliert werden. Dieser Phase voraus ging die Identifizierung von Engpässen in multinationalen Forschungs-Kooperationen (First Step; 2004-2005), auf deren Basis in Schritt 2 Voraussetzungen für multinationale Studien (Step 2; 2006-2008) formuliert wurden. „Klinische Studien auf multinationalem Niveau kranken meist an länderspezifisch unterschiedlichen Anforderungen. Die Kenntnisse über diese unterschiedlichen Anforderungen werden in ECRIN zusammengebracht und – wo immer möglich – harmonisiert. Die Harmonisierung betrifft beispielsweise Bereiche wie Datenmanagement, Monitoring und den Transfer von biologischen Proben“, erläutert Professor Christian Ohmann, nationaler Koordinator des KKS-Netzwerks für das ECRIN-Projekt und Leiter des Koordinierungszentrums für Klinische Studien an der Universität Düsseldorf.

„Darüber hinaus“, so Ohmann, „ist aber eine weitere Harmonisierung der europäischen Gesetzgebung im Bereich der klinischen Forschung dringend notwendig. Nur so können die Bedingungen für medizinische Forschungsprojekte – beispielsweise im Bereich des Reporting von unerwarteten schwerwiegenden Arzneimittelnebenwirkungen, der Herstellung von Arzneimitteln und der Genehmigung von Forschungsprojekten – weiter angeglichen werden.“ Dieser Frage widmet sich derzeit die Europäische Kommission in Zusammenarbeit mit der Europäischen Zulassungsbehörde.

Mit einem breiten Spektrum an Wissenschaftsdienstleistungen unterstützen die Koordinierungszentren für Klinische Studien (KKS) Forschung am Menschen. Durch die bundesweite Zusammenarbeit können im KKS-Netzwerk multizentrische Studien auf internationalem Qualitätsniveau durchgeführt werden. Zur Stärkung der kindgerechten medizinischen Versorgung in Deutschland werden pädiatrische Studien in einem mit den KKS verbundenen pädiatrischen Netzwerk (PAED-Net) betreut. Als zentrale Dienstleistungseinrichtungen der Hochschulen gehören heute 13 Zentren mit über 400 Mitarbeitern bundesweit zum KKS-Netzwerk. 2007 wurden fast 1000 Studien im Netzwerk durchgeführt, davon 73 Prozent Arzneimittelstudien. „Klinische Forschung ist zunehmend multinational. Das KKS-Netzwerk arbeitet als eine Art Katalysator in der akademischen klinischen Forschung, und das auf internationalem Qualitätsniveau“, erläutert Prof. Walter Lehmacher, Kölner Biometriker und Mitglied des KKSN-Vorstands, das Selbstverständnis des Netzwerks. „Da ist unser Engagement im ECRIN-Projekt nur folgerichtig.“ ECRIN ist offen für andere Forschungsinstitutionen und krankheitsspezifische Netzwerke. Dabei wird ein Qualitätsstandard vorausgesetzt, wie er beispielsweise im KKS-Netzwerk erfolgreich etabliert wurde. Ein möglicher Weg, Mitglied im ECRIN-Konsortium zu werden, ist daher ein Anschluss an das KKS-Netzwerk.

Der Internationale Tag der Klinischen Forschung wird zum dritten Mal durch ECRIN initiiert und geht zurück auf den Start der ersten kontrollierten Studie am 20.05.1747 durch den schottischen Marine-Arzt James Lind (Skorbut-Studie).

Die Koordinierungszentren für Klinische Studien und zahlreiche verwandte Einrichtungen sind Mitglied in der TMF.

Info TMF:

Wer patientenorientierte Forschung an verteilten Standorten betreibt, Daten und Materialien sammelt und diese IT-gestützt dokumentiert, auswertet oder weitergibt, steht vor Herausforderungen, die in der biomedizinischen Forschung relativ neu sind. Vielfach liegen für diese Fragen bisher noch keine Lösungen, teilweise nicht einmal gesetzliche Regelungen vor. Um gemeinsam diese organisatorischen, rechtlich-ethischen und technologischen Probleme zu identifizieren und zu lösen, haben sich zahlreiche Forschungsverbünde in der TMF (Telematikplattform für Medizinische Forschungsnetze e.V.) zusammengeschlossen.

Als Dachorganisation leistet die TMF einen wesentlichen Beitrag dazu, die Organisation und Infrastruktur der medizinischen Forschung in vernetzten Strukturen zu verbessern. Bei den Mitgliedern der TMF handelt es sich um überregionale Netzwerke und vernetzt arbeitende Einrichtungen der medizinischen Forschung. Hierzu gehören unter anderem die Kompetenznetze in der Medizin, Netzwerke für Seltene Erkrankungen, Psychotherapie-Netzwerke, Zoonose-Verbünde, Koordinierungszentren für Klinische Studien, das Nationale Genomforschungsnetz (NGFN), Institute der Fraunhofer-Gesellschaft sowie mit dem Mukoviszidose-Institut auch eine Patientenorganisation.

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Antje Schütt idw

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