"Also, weshalb sind Sie hier…?"

Patienten beklagen häufig, dass ihr Arzt im Gespräch desinteressiert wirkt. Die einleitende Frage ist noch offen und einladend formuliert, wie etwa „Was führt Sie zu mir?“ Aber schon nach etwa 20 Sekunden verfallen die Ärzte in geschlossene Fragen, die nur noch die Antworten „Ja“ oder „Nein“ zulassen, um das Gespräch zu beschleunigen.

Solche Mängel in der Kommunikation mit dem Patienten bekämpft die Universität Witten/Herdecke schon während des Medizinstudiums mit sog. Simulationspatienten: (Laien-)Schauspielern, deren Aufgabe darin besteht, eine Erkrankung zu spielen und auf Fragen nicht direkt, sondern „schwierig“ zu antworten. Das Anamnesegespräch wird mit einer Videokamera aufgezeichnet und in der Gruppe mit Psychologen und Ärzten nachbesprochen. Die direkte Rückmeldung der vermeintlichen Patienten hilft den angehenden Ärzten, ihre Wirkung genauer einzuschätzen.

„Ich war immer überzeugt davon, dass ich recht gut mit Patienten umgehen kann“, so Julian Kricheldorff, der die Übung mit den Simmulations-Patienten selber als Studierender durchlaufen hat und sie heute als Mitarbeiter am neu gegründeten Institut für Ethik und Kommunikation im Gesundheitswesen organisiert, „doch wenn man sich selbst auf Video sieht, bemerkt man erst, wie häufig man seinem Gegenüber suggestiv Antworten vorgibt. Oder Fragen stellt, die nicht zielführend sind und den Patienten eher verwirren. Oder auch Sachverhalte so schildert, dass sie für medizinische Laien kaum verständlich sind.“ Jeder Studierende absolviert mehrere Fälle im Laufe seines Studiums. Die Fälle werden je nach Studienfortschritt komplexer und fordern von den angehenden Ärzten auch das Gespräch mit den Angehörigen. So wird Überforderungen, z.B. schwierige Erkrankungen vor Angehörigen anzusprechen oder die Kommunikation mit Sterbenden, bestmöglich entgegengewirkt.

In Zeiten der Kostenexplosion im Gesundheitswesen könnten ein paar Minuten mehr Zeit und eine effiziente und trotzdem empathische Form der Kommunikation Teil eines nachhaltigen Behandlungserfolges sein und sich gesundheitsökonomisch sogar lohnen. Einer amerikanischen Studie zufolge waren Ärzte, die dem Patientengespräch mehr Zeit widmeten, in der Diagnostik v.a. bei Depressionen schneller als ihre ungeduldigen Kollegen und konnten aufwendige, kostenintensive und teilweise für den Patienten belastende Diagnostik sparen. Jahrelang wurde der kommunikative Teil der ärztlichen Haltung im medizinischen Curriculum an deutschen Universitäten nicht unterrichtet und der professionelle Umgang angehender junger Ärzte mit Patienten wurde als notwendiger „Sprung ins kalte Wasser“ auf dem Weg zu ärztlichen Weihen verstanden.

Die Universität Witten/Herdecke tritt im Rahmen des Modellstudiengangs Medizin diesem Trend seit vielen Jahren entgegen. Ein eigenes Curriculum „Kommunikation“ übt in den neun Semestern an der Uni fortlaufend mit den zukünftigen Medizinern das ärztliche Gespräch in Theorie und Praxis im Rahmen von Seminaren und Fallstudien. Ein wichtiger Bestandteil sind dabei die Simulations-Patienten. „Inzwischen sind einige Unis in Deutschland nachgezogen“, so Prof. Dr. Martin W. Schnell, Lehrstuhlinhaber und seit Anfang diesen Jahres auch Leiter des neu gegründeten Instituts für Ethik und Kommunikation im Gesundheitswesen an der Uni Witten. „Als wir mit dem Simulieren vor acht Jahren begannen, waren wir noch die einzigen in Deutschland.“ Das Interesse der Studierenden an der Übung mit Simmulations-Patienten ist groß, daher sucht die Uni dringend neue Schauspieler. „Was man dazu können muss, ist einfach zu lernen. Es gibt jedes Jahr eine kleine Einführung in die Rollen und die Kunst, konstruktive Rückmeldungen an die Studierenden zu geben. Außerdem werden ein paar Aufnahmen aus den Vorjahren gezeigt, damit die Schauspieler einen Eindruck davon bekommen was auf sie zukommt.“

Wer Lust hat, ein paar Mal im Semester einen Patienten zu spielen und so einen Beitrag zur Verbesserung der sprechenden Medizin zu leisten, kann sich gerne bei mir melden“ appelliert Prof. Schnell an die Bürgerinnen und Bürger aus Witten und Umgebung. Eine kleine Aufwandsentschädigung ist dafür vorgesehen.

Interessenten melden sich bitte bei Prof. Dr. Martin W. Schnell, Fakultät für Medizin, Universität Witten / Herdecke, Alfred-Herrhausen-Str. 50, D-58448 Witten, gerne auch per mail an schnell@uni-wh.de

Journalisten, die weitere Informationen benötigen, können Julian Kricheldorff auch telefonisch unter der Handynummer 0176 – 249 208 34 erreichen.

Media Contact

Bernd Frye idw

Weitere Informationen:

http://www.uni-wh.de

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