Mäusehirne und Menschenleiden

Tiermodell soll Aufschluss geben über tödliche Krankheit:

die Parkinson verwandte „Multiple Systematrophie“

Ablagerungen im Gehirn, die Nervenzellen zerstören und bei den Patienten schwere Störungen verursachen, sind typisch für Alzheimer und die Parkinson´sche Erkrankung, aber auch weniger bekannte neurodegenerative Leiden wie die „Multiple Systematrophie“. Das auch kurz MSA genannte Leiden bewirkt Symptome wie Störungen der Motorik, des Gleichgewichtes und der Sprechfähigkeit. Bei Patienten wurden in bestimmten Zellen im Gehirn Ablagerungen nachgewiesen, die hauptsächlich aus dem Protein a-Synuclein bestehen. Forscher der Universität München haben jetzt Mäuse gezüchtet, die in diesen Zellen menschliches a-Synuclein produzieren – und dann ebenfalls die für MSA charakteristischen Ablagerungen entwickeln (EMBO reports, Bd. 6, Nr. 3, S.583-588, 2002). Die Wissenschaftler erhoffen sich von diesem Tiermodell weitere Einblicke in die Entstehung dieser tödlichen Krankheit und eine Grundlage für die Entwicklung eines Medikaments.

In Europa leiden mehr als 100.000 Patienten an MSA. Weil das Leiden die Patienten mit so vielfältigen schweren Symptomen belastet, wurde es erst vor relativ kurzer Zeit als ein einziges Krankheitsbild unter dem Namen „Multiple Systematrophie“ erfasst. Bis dahin wurden drei verschiedene Krankheiten diagnostiziert, unter anderem das „Shy-Drager-Syndrom“. Dieses umfasste die als „Parkinsonismus“ bezeichneten Symptome wie Körpersteifheit und verlangsamte Bewegungen. Andere Ausfälle bei MSA betreffen Körperfunktionen, die nicht bewusst kontrolliert werden können wie der Blutdruck. Fällt er bei MSA-Patienten schlagartig ab, können diese schwindlig oder im schlimmsten Fall bewusstlos werden. Aber auch der Gleichgewichtssinn, die Fähigkeit zu Sprechen oder Schlucken kann beeinträchtigt sein.

MSA setzt meist in der zweiten Lebenshälfte ein und beeinträchtigt die Patienten massiv. Der Verlauf der Krankheit ist rapide. Männer sind doppelt so häufig betroffen wie Frauen. „Die genaue Ursache von MSA ist bislang unbekannt“, berichtet Philipp Kahle, der maßgeblich an dem Projekt beteiligt ist. „Eine Heilung ist derzeit nicht möglich.“

Bei MSA-Patienten wurden typische Veränderungen nachgewiesen: Bestimmte Zellen, die sich als schützende Isolierschicht um die Nervenzellen im Gehirn legen, enthalten in ihrem Inneren faserförmige Einschlüsse. Diese bestehen hauptsächlich aus dem Protein a-Synuclein, das auch in den Ablagerungen im Gehirn von Parkinson-Patienten vorkommt. Zudem wurde gezeigt, dass bei MSA-Patienten dieses Protein – ebenso wie bei anderen Erkrankungen – an einer bestimmten Stelle chemisch verändert ist. Woher das Protein stammt, das sich in den Zellen ablagert und letztlich deren Tod bewirkt, ist nicht bekannt. „In gesunden Zellen der Nerven-Schutzschicht wird a-Synuclein im ausgereiften Zustand gar nicht produziert“, berichtet Philipp Kahle. Normalerweise kommt das Protein nur an bestimmten Stellen in den Membranen von Nervenzellen vor: da wo zwei dieser Zellen aneinander grenzen.

Die Forscher um Professor Christian Haass, Department für Biochemie der LMU, züchteten im Rahmen einer langjährigen Industriekooperation mit dem Schweizer Healthcare-Unternehmen Roche jetzt transgene Mäuse, die das menschliche a-Synuclein in den Zellen der Nerven-Schutzschicht produzieren. „Das Protein in den Gehirnen der Tiere wird im Inneren dieser Zellen mit den typischen chemischen Veränderungen und in charakteristischer Dreiecks- oder Halbmondform abgelagert, wie man es auch bei MSA-Patienten sieht“, beschreibt Manuela Neumann, Mitarbeiterin am Institut für Neuropathologie der LMU unter der Leitung von Professor Hans Kretzschmar.

Die „Multiple Systematrophie“ ist kein häufiges Leiden, beeinträchtigt die Patienten aber massiv, verläuft rapide – und ist verwandt zu weit verbreiteten neurodegenerativen Krankheiten wie etwa Parkinson. Die Forscher hoffen jetzt, dass das Tiermodell ihnen helfen kann, die Krankheit besser zu verstehen. „Die Ablagerung des a-Synuclein in den Zellen ist vermutlich nur die erste Stufe der Erkrankung“, meint Philipp Kahle. „Es wird deshalb sehr interessant sein, die Mäuse noch länger zu beobachten – vor allem im Alter. Denn wenn die Krankheit ähnlich wie bei Menschen verläuft, werden sich erst dann die charakteristischen Symptome zeigen.“ (suwe)

Ansprechpartner:

Prof. Dr. Christian Haass, Lehrstuhl für Stoffwechselbiochemie
Adolf-Butenandt-Institut der Fakultät für Medizin, LMU
Tel.: 5996-472
e-mail: haass@pbm.med.uni-muenchen.de

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Cornelia Glees-zur Bonsen idw

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