Zug um Zug zum optimalen Seil

„Selbst ein Scheich findet seinen Nutzen in unserem Projekt“, berichtet Markus Michael, Leiter des Projektes InnoZug der Professur Fördertechnik der TU Chemnitz, mit einem Augenzwinkern.

Die Scheiche wollen Hochhäuser bauen, die immer weiter in den Himmel reichen. Doch Kräne und auch Aufzüge, die mit Stahlseilen betrieben werden, können nur begrenzte Höhen erreichen – irgendwann würde das schwere Seil infolge seines Eigengewichts zerreißen bzw. sich aufschwingen. Um alle Etagen zu erreichen, erfordert der Einsatz von Drahtseilen zwei Aufzüge, die übereinander im Gebäude angeordnet sind.

Dabei ist das Umsteigen nicht nur ein logistisches Problem, sondern zunehmend eine Prestigefrage. Die Chemnitzer Wissenschaftler forschen in der Fördertechnik an der Lösung: dem Einsatz von hochfesten und dabei sehr leichten Zugmitteln aus Synthesefasern, die die Stahlseile ersetzen können. Sieben TU-Mitarbeiter arbeiten an dem Projekt InnoZug, das vom Bundesministerium für Bildung und Forschung seit Juli 2006 bis Juni 2011 mit 2,4 Millionen Euro im Rahmen der Innovationsinitiative „Unternehmen Region“ mit „InnoProfile“ gefördert wird. Initiiert wurde es maßgeblich von Prof. Dr. Klaus Nendel, Inhaber der Professur Fördertechnik.

Die untersuchten Materialien finden bisher hauptsächlich in der Schifffahrt Anwendung, zum Beispiel um Schiffe im Hafen zu vertäuen oder Ölplattformen zu befestigen. „Wir möchten die Materialien auch in der Fördertechnik anwenden. Der Unterschied zum klassischen Faserseil besteht darin, dass die Seile nicht nur hohe statische Belastungen ertragen, sondern kontinuierlich gebogen und umgelenkt werden“, zeigt Projektleiter Michael den Forschungshintergrund auf.

„Wir verwenden vor allem Materialien wie Dyneema, Vectran und Technora. Das sind hochmodulare Faserwerkstoffe mit gestreckten Molekülketten, die nach dem Strecken thermisch fixiert werden. Diese sind teilweise deutlich fester als Stahl und haben viele positive Eigenschaften“, erklärt Projektmitarbeiter Ingo Berbig. In der bisherigen Projektlaufzeit haben die TU-Wissenschaftler vor allem eine umfangreiche Prüftechnik entwickelt, gebaut und die Materialien auf ihre Eigenschaften getestet.

„Mit der Entwicklung hochmodularer Faserwerkstoffe Ende des 20. Jahrhunderts eröffneten sich viele neue Anwendungsmöglichkeiten, denen jedoch aufgrund des Neuheitsgrades ein großes Forschungsdefizit gegenübersteht. Deshalb gibt es keine geeignete Prüftechnik zu kaufen, so dass wir das meiste selber konstruieren mussten und auch kaum auf Erfahrungswerte zurückgreifen konnten“, berichtet Projektmitarbeiter Thorsten Heinze. „Unsere Ausstattung ist sicherlich deutschlandweit einmalig“, schätzt Michael ein.

Forschungspartner sind das Sächsische Textilforschungsinstitut (STFI) in Chemnitz und das Forschungsinstitut für Leder und Kunststoffbahnen (FILK) in Freiberg. Ziel dieser Zusammenarbeit ist vor allem die eigene Herstellung von Seilen. „Nur wenn wir selber Seile produzieren, wissen wir genau, was wir untersuchen.

Außerdem werden für Tests nur kurze Seilstücke benötigt. Jedoch produziert uns kein Unternehmen nur 50 Meter eines Seiles“, so Heinze. Neben zwei Flechtmaschinen in einer kompletten Herstellungslinie stehen in den Laboren der Fördertechniker Kriechprüfstände, Dauerbiegemaschinen, eine Abrasionsprüfmaschine, ein Treibscheibenprüfstand und eine statische Zugprüfmaschine. „Mit dieser Ausstattung können wir alle wesentlichen Eigenschaften von Faserseilen untersuchen“, so Michael. Erweitert wird der Gerätebestand bald durch einen Wickelprüfstand, mit dem das Aufwickeln der Faserseile erforscht werden kann. Auch er wird komplett im Eigenbau der TU-Forscher entstehen.

Bis ein Faserseil alle Teststationen durchlaufen hat, verstreicht geraume Zeit. „Die Seile sind schon mal mehrere Wochen im Prüfstand, bis sich etwas zeigt. Aber der Durchlauf hinsichtlich Materialverbrauch und Zeit ist sehr gut optimiert“, berichtet Michael und ergänzt: „Die bisherigen Ergebnisse zeigen, dass die Seile, so wie sie jetzt sind, nur wenig für den Einsatz in der Fördertechnik geeignet sind. Trotzdem stimmen uns die Ergebnisse optimistischer als wir es erwartet hätten, denn es muss bedacht werden, dass die Materialien aus einem ganz anderen Einsatzgebiet kommen.

Mit der richtigen Modifizierung haben sie ein großes Potenzial für unsere Anwendungen.“ Nach der bisherigen systematischen Untersuchung steht jetzt die Entwicklung modifizierter Herstellungsverfahren auf dem Projektplan, mit dem Ziel, die Eigenschaften für das neue Einsatzgebiet zu optimieren. Der darauffolgende Projektschritt ist die Generierung neuer Produkte. Einen vierten wichtigen Punkt stellt die Erarbeitung einer Sensorik dar. Dadurch können die Seile ständig überwacht werden und es wird für die nötige Sicherheit gesorgt.

Auch wenn sich noch kein Scheich gemeldet hat, der einen Prototyp der neuen Faserseile in sein Hochhaus einbauen möchte – am Bedarf der Forschung besteht kein Zweifel. „In einem ersten anwendungsbezogenen Projekt arbeiten wir beispielsweise an einer gewichtsreduzierten Seilwinde für Hubschrauber. Außerdem planen wir in Kooperation mit einem anderen Unternehmen, Faserseile in Krananlagen zu testen“, berichtet Berbig.

Ausschlaggebend für das Interesse ist zum einen der steigende Stahlpreis, zum anderen könnten die Faserseile in aggressiven Umgebungen – etwa in Zinkereien – länger verwendet werden als die bisherigen Stahlseile. Unterstützt werden die Wissenschaftler durch zahlreiche Unternehmen aus der Region Chemnitz. Beim 2. Statusseminar im Sommer 2008 informierten sich bereits mehr als 30 Industrie- und Forschungspartner über den Fortgang des Projektes.

Weitere Informationen erteilt Markus Michael, Telefon 0371 531-32340, E-Mail innozug@tu-chemnitz.de.

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Katharina Thehos idw

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