Auf dem Weg zu neuen Funktionswerkstoffen – Organismen erzeugen Materialien

Die Herstellung dieser Funktionswerkstoffe ist allerdings bisher nur mit erheblichem verfahrenstechnischen Aufwand sowie unter erhöhten Prozesstemperaturen und/oder hohem Druck möglich. Dies ist teuer und zudem begrenzen technische Einschränkungen die Einsatzmöglichkeiten.

So können beispielsweise temperaturempfindliche Materialien wie Kunststoffe kaum integriert werden. Die Bildung komplexer Strukturen ist erschwert oder gar unmöglich. Wissenschaftler der Universität Stuttgart versuchen nun im Rahmen eines interdisziplinären Forschungsvorhabens, Oxidkeramiken biologisch zu erzeugen.

Die Arbeitsgruppe der Uni Stuttgart nutzt das Prinzip der Natur, nach dem nichtmetallische anorganische Materialien unter Umgebungsbedingungen durch Biomineralisation gebildet werden. Organismen produzieren eine bioorganische Schablone, die als sogenanntes Templat die Bildung eines anorganischen Minerals (zum Beispiel Calciumcarbonat) aus einem wässrigen Medium steuert. Die Natur liefert jedoch nur Minerale, die technisch kaum nutzbar sind. Die Forscher der Fachrichtungen Zoologie, Molekularbiologie und Virologie, Materialwissenschaft, Technische Biochemie sowie Materialprüfung, Werkstoffkunde und Festigkeitslehre wollen nun Verfahren entwickeln, die es ermöglichen, dass lebende Organismen technisch interessante Oxidkeramiken sowie organisch/anorganische Hybride (Werkstoffverbünde) herstellen. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft finanziert das Projekt mit insgesamt 1,5 Mio. Euro für zunächst drei Jahre. Sieben Mitarbeiterstellen wurden davon unter anderem geschaffen. Das Projekt ist in sechs Bereiche unterteilt.

Im Arbeitspaket „in vivo Synthese“ untersucht eine Forschergruppe die Eignung ein- und mehrzelliger Organismen zur Erzeugung der Oxidkeramiken. Anschließend isoliert sie die für die Biomineralisation relevanten Proteine und klont die zugehörigen Gene. Als Versuchsorganismen dienen Bakterien, Ciliaten, Algen sowie Seeigel und ihre Larven. Im Arbeitspaket „in vitro Synthese“ werden die in vivo identifizierten Proteine zur direkten Abscheidung von anorganischen Funktionsmaterialien aus wässrigen Salzlösungen verwendet. Hier wird auch das Tabakmosaikvirus als proteinbasiertes Templat eingesetzt. Im dritten Arbeitspaket „Molekulare Modellierung“ untersuchen die Forscher die Wechselwirkungen von Peptiden und Proteinen mit oxidkeramischen Oberflächen mit molekulardynamischen Simulationen. In Verbindung mit den aus in vivo und in vitro-Untersuchungen gewonnen Daten erstellen sie familienspezifische Proteindatenbanken, die einen systematischen Sequenzvergleich und eine Strukturmodellierung ermöglichen. In den Arbeitspaketen „Struktur“ und „Eigenschaften“ analysieren die Wissenschaftler Biominerale sowie die erzeugten Oxidkeramiken und Werkstoffverbünde. Strukturprinzipien sollen so von Biomineralien auf Funktionswerkstoffe übertragen werden, um beispielsweise deren mechanische Beständigkeit zu erhöhen. Für das Arbeitspaket „Kontinuumsmechanische Modellierung“ simuliert die zuständige Arbeitsgruppe die ermittelten mechanischen Eigenschaften im Rechner. Dabei führt sie numerische Untersuchungen zum Verformungs- und Schädigungsverhalten der Keramiken unter mechanischer Beanspruchung durch und optimiert die Prozesse.

Ansprechpartner: Prof. Joachim Bill, Institut für Materialwissenschaft, Tel. 0711/689-3202, e-mail: bill@mf.mpg.de

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Ursula Zitzler idw

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Die Materialwissenschaft bezeichnet eine Wissenschaft, die sich mit der Erforschung – d. h. der Entwicklung, der Herstellung und Verarbeitung – von Materialien und Werkstoffen beschäftigt. Biologische oder medizinische Facetten gewinnen in der modernen Ausrichtung zunehmend an Gewicht.

Der innovations report bietet Ihnen hierzu interessante Artikel über die Materialentwicklung und deren Anwendungen, sowie über die Struktur und Eigenschaften neuer Werkstoffe.

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