Die "Laster" der Zellen für bessere Implantate nutzen

Jeder Mensch weiß, dass der häufige Griff zur Schokolade ungesund ist – dennoch gibt man dem Laster viel zu oft nach. Auch Zellen scheinen Dinge zu mögen, die für sie nicht unbedingt gesund sind, wie Materialwissenschaftler der Friedrich-Schiller-Universität Jena nachgewiesen haben.

Diese Erkenntnis wollen die Forscher vom Institut für Materialwissenschaft und Werkstofftechnologie (IMT) in Zukunft für die Weiterentwicklung von Implantatoberflächen einsetzen. Aktuell hat die Gruppe vom Lehrstuhl für Materialwissenschaft mit ihrem Forschungsergebnis auch optisch besonderen Eindruck gemacht: Die renommierte Fachzeitschrift „Advanced Functional Materials“, „eine der einflussreichsten Zeitschriften in der Materialwissenschaft weltweit“, wie Lehrstuhlinhaber Prof. Dr. Klaus Jandt weiß, hat mit dem Bild zum Jenaer Forschungsergebnis sogar die Titelseite gestaltet.

Die Materialwissenschaftler der Universität Jena suchen nach neuen Implantatmaterialien und versuchen, vorhandene zu verbessern. Bei ihren Untersuchungen beschichteten und strukturierten sie jetzt Materialoberflächen mit nur wenigen Nanometer dicken sogenannten natürlichen ECMs. Das sind extrazellulare Matrixproteine, die Zellen in natürlichem Gewebe als eine Art Kitt zusammenhalten und zum Informationsaustausch dienen. Sie, so hofften die Jenaer Wissenschaftler, sollten ein natürlicher Stoff sein, der das Zellwachstum fördert, um menschliche Zellen besser mit dem Implantat zu verbinden.

Die Materialoberflächen zwischen den ECM-Eiweißen wurden mit künstlichen Epoxiden aufgefüllt – so wie die Spachtelmasse beim Fliesenlegen. „Epoxide waren bisher als eher unzuträglich für die Gesundheit bekannt“, sagt Jandts Mitarbeiter Dr. David Trimbach über die Stoffe, die bisher zur Herstellung von Kleb- oder Verbundstoffen genutzt werden.

Doch die Körperzellen taten, was niemand erwartete: Statt auf den natürlichen Matrixproteinen wuchsen sie auf dem Epoxid-Bindungsmaterial. „Epoxide enthalten Eiweiß-anziehende Gruppen, welche die Zellen für das Wachstum brauchen. Durch die Verwendung von Epoxiden ist somit ein gerichtetes Zellwachstum möglich“, fasst Prof. Jandt das erstaunliche Ergebnis seiner Gruppe zusammen.

Weitere Tests sollen in den kommenden Jahren zeigen, inwieweit auch im menschlichen Körper eine bessere Anpassung an Epoxid-beschichtete Implantate erfolgt. Sollten auch hier die Zellen den Kunststoff vorziehen, hätte das enorme wirtschaftliche Folgen: Das bisher für die Beschichtung von Implantaten verwandte ECM ist teuer und kann nur sehr sparsam eingesetzt werden. Epoxide hingegen sind kostengünstig. „Das macht Hoffnung, dass zukünftig Implantate viel preiswerter als bisher hergestellt werden können“, so Prof. Jandt.

Er sieht im Zellverhalten Parallelen zum Menschen: „Der Mensch wird bei ungesunden Genussmitteln oder fettem Essen auch manchmal schwach“, sagt der Materialexperte und fährt fort: „Vielleicht ist dieses Verhalten ja schon auf zellulärer Ebene angelegt“. Für die Verbesserung von Implantaten wollen die Jenaer Forscher diesen Effekt nun nutzbar machen.

Originalpublikation:
D. C. Trimbach, B. Keller, R. Bhat, S. Zankovych, R. Pöhlmann, S. Schröter, J. Bossert, K. D. Jandt:

„Enhanced Osteoblast Adhesion to Epoxide-Functionalized Surfaces“, Adv. Funct. Mater., 18, 2008, 1723.

Kontakt:
Prof. Dr. Klaus D. Jandt / Dr. David Trimbach
Institut für Materialwissenschaft und Werkstofftechnologie der Friedrich-Schiller-Universität Jena
Löbdergraben 32, 07743 Jena
Tel.: 03641 / 947730
E-Mail: K.Jandt[at]uni-jena.de

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Axel Burchardt idw

Weitere Informationen:

http://www.uni-jena.de

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