Optimierte Skischlitten nach Maß

Der Profisportler und Rollstuhlfahrer Martin Fleig trainiert auf einem Skischlitten. <br>© Ruben Elstner, MikroTribologie Centrum µTC<br>

Mit hohem Tempo jagt der Athlet die Loipe entlang. Es sieht gut für ihn aus: Bisher hält er eine neue Bestzeit. Ob er am Ende ganz oben auf dem Treppchen stehen wird, darüber entscheiden manchmal nur wenige Sekunden. Bei diesen knappen Zeitabständen muss alles stimmen:

Die Verhältnisse in der Loipe, die Tagesform des Athleten – und Ski, die optimal an ihn angepasst sind. Im Gegensatz zu den von Sponsoren umworbenen Olympia-Skistars ist das für Spitzensportler mit Behinderung bislang keine Selbstverständlichkeit. Die Entwicklung von Sportgeräten, die speziell auf die Bedürfnisse körperlich beeinträchtigter Leistungssportler abgestimmt sind, steckt noch in den Kinderschuhen. Dies liegt zum einen an dem geringeren Sponsoreninteresse, zum anderen daran, dass viele der paralympischen Disziplinen noch recht jung sind.

Spätestens zu den Winter-Paralympics 2014 in Sotschi soll sich das ändern: Forscher des Fraunhofer-Instituts für Werkstoffmechanik IWM in Pfinztal arbeiten mit Partnern aus Forschung und Industrie an optimierten Skischlitten für gehbehinderte Sportler, die Langlauf und Biathlon betreiben. »Unser Ziel ist es, auf Basis von biomechanischen Zusammenhängen für jeden Wettkämpfer den idealen Skischlitten zu konstruieren«, sagt Prof. Matthias Scherge, Leiter des Geschäftsfelds Tribologie am IWM und Koordinator des Projektkonsortiums. Die Herausforderung dabei: Grad und Charakter der körperlichen Beeinträchtigung sind bei jedem Athleten individuell – und nur in einer ganz bestimmten Sitzposition kann der Athlet seine Kraft optimal einsetzen. »Dadurch benötigt im Prinzip jeder Sportler ein Unikat«, erläutert Scherge.

Detaillierte Formgebung durch dreidimensionales Scannen

Die auf den Athleten abgestimmte Sitzform wird im Simulationsmodell ermittelt. Der Sportler sitzt dazu in einem Prototyp eines Langlaufskischlittens und stößt sich mit den Skistöcken ab. Partner vom Institut für Sportwissenschaften der Universität Freiburg bringen dazu Marker an verschiedenen Körperstellen an und zeichnen den Bewegungsablauf auf. Während des Abstoßens messen zudem Sensoren in den Stöcken die Kraftübertragung. Die Ergebnisse werden direkt in ein Simulationsprogramm eingespeist, das ein biomechanisches Modell erstellt. Anhand dessen lässt sich bereits die grobe Geometrie des Sitzes ableiten. Für die detaillierte Formgebung wird der Sportler unter Belastung dreidimensional gescannt. Mithilfe einer weiteren Simulation analysieren die Experten, wo sich überflüssiges Gewicht einsparen lässt, ohne dass die Materialstabilität leidet. Der so optimierte Leichtbau-Prototyp wird im generativen Fertigungsverfahren – also direkt aus den Konstruktionsdaten – hergestellt, was auch die Kosten des Sportgeräts im Rahmen hält.

Am Skischlitten lassen sich reguläre Rennskier montieren. »Der Ski bewegt sich jedoch unter diesem Schlitten anders als beim normalen Skaten. Er fährt letztlich nur geradeaus«, gibt Scherge zu bedenken. »Das muss beim Schliff berücksichtigt werden«. In Zusammenarbeit mit der Firma Montana haben die Forscher daher spezielle Schliffe für den Einsatz unter dem Skischlitten entwickelt. Auch hier ist am Ende aber noch ein Feintuning nötig, das auf den Sportler abgestimmt ist: So beeinflusst etwa das Gewicht des Athleten die Kontaktfläche zum Schnee. Bei Skibelägen kann das Team um Scherge auf langjährige Erfahrung im internationalen Spitzensport zurückgreifen: Am IWM entwickelte Beläge sorgen dafür, dass die Ski mit minimaler Reibung durch den Schnee gleiten

Die Zeit bis 2014 wollen die Projektpartner nutzen, um ihre Entwicklungen zu optimieren. Dabei ist das Konsortium offen für weitere Kooperationen mit interessierten Unternehmen. Von den Paralympics erhofft sich Scherge auch Impulse für den Breitensport: »Es wäre schön, wenn die Paralympics körperbehinderten Menschen neue sportliche Perspektiven geben, wenn deutlich wird, was mit der richtigen technischen Unterstützung alles möglich ist«.

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Prof. Dr.MatthiasScherge Fraunhofer Forschung Kompakt

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