Natürlich kleben

Dieser Klebstoff basiert auf dem nachwachsenden Rohstoff Polymilchsäure. © Heike Holthausen, Westfälische Hochschule, Standort Recklinghausen<br>

Schuhe, Autos, Flugzeuge, Rotorblätter von Windkraftanlagen, Haftnotizzettel oder Pflaster – Klebstoff ist in vielen Produkten im Einsatz. Mehr als 820 000 Tonnen des Werkstoffs wurden 2010 in Deutschland produziert, so der Industrieverband Klebstoffe.

Bisher wird ein Großteil der Klebstoffe immer noch auf Erdölbasis hergestellt. Erst langsam bietet die Industrie auch Klebstoffe aus nachwachsenden Rohstoffen wie Stärke, Cellulose, Dextrinen und Proteinen an. Erste Produkte sind zum Beispiel Tapetenkleister und Klebstifte.

Haften mit Polymilchsäure

Forscher des Fraunhofer-Instituts für Umwelt-, Sicherheits- und Energietechnik UMSICHT arbeiten in zwei Projekten an weiteren neuen Klebstoffrezepturen auf Basis von nachwachsenden Rohstoffen. Gemeinsam mit der Westfälischen Hochschule, Standort Recklinghausen und den Unternehmen Jowat, Logo tape und Novamelt entwickeln die Oberhausener Forscher einen Haftklebstoff für industrielle Anwendungen. Das Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz fördert das Forschungsvorhaben.

Haftklebstoffe sind unter anderem in Heftpflastern, selbstklebenden Etiketten oder Klebebändern im Einsatz. An sie werden besonders hohe Anforderungen gestellt: Sie müssen bei Raumtemperatur permanent klebfähig bleiben. Mit leichtem Anpressdruck sollen sie auf fast allen Substraten haften und sich dennoch rückstandsfrei wieder ablösen lassen. Dabei muss die Stärke der Haftkraft genau auf den jeweiligen Verwendungszweck eingestellt sein.

Die Basis der Haftklebstoffe bilden die Rückgratpolymere. Sie geben den Klebstoffen ihre innere Festigkeit (Kohäsion). Aufgabe der UMSICHT-Forscher ist es nun, ein Rückgratpolymer aus dem Rohstoff Polymilchsäure zu entwickeln. Der biologische Werkstoff hat einen entscheidenden Vorteil: Da Milchsäure im industriellen Maßstab produziert wird, lässt sie sich günstig herstellen.

Die Kosten liegen im Bereich der Preise fossil basierter Rückgratpolymere. »Allerdings unterscheiden sich die Eigenschaften der Polymilchsäure komplett von denen der bisher eingesetzten Polymere wie Polyacrylate und styrolbasierte Blockcopolymere«, weiß Dr.-Ing. Stephan Kabasci, der das Geschäftsfeld Nachwachsende Rohstoffe am UMSICHT leitet. Daher müssen die Forscher eine völlig neue Modellrezeptur entwickeln.

Verpackungen mit kompostierbaren Folien

Klebstoffe sind aber auch in vielen Verpackungen enthalten. Kaschierte Folien schützen etwa Lebensmittel vor Schmutz, Feuchtigkeit und Chemikalien. Dabei werden bedruckte Verpackungen und Druckartikel aus Papier ein- oder beidseitig mit einer transparenten, glänzenden, matten oder geprägten Kunststofffolie überzogen. In einem Verbundprojekt entwickeln UMSICHT-Wissenschaftler zusammen mit den Firmen Achilles Papierveredelung Bielefeld, Jowat und Deckert Management Consultants neuartige Klebstoffsysteme, die sowohl den hohen Qualitätsanforderungen von kaschierten Artikeln entsprechen, als auch kompostierbar sind. Die Forscher setzen dafür auf überwiegend wasserbasierte Dispersionsklebstoffe. Bei diesen Materialien sind die Klebstoffbestandteile sehr fein in Wasser verteilt. Sie werden einseitig aufgetragen und nass gefügt.

Zu einer anderen Möglichkeit, biologische Klebstoffe zu entwickeln, führt das Vorbild Natur: Einen besonderen Klebstoff produziert der Rankenfuß-Krebs Dosima. Damit verankert er sich fest an Treibgut. Der Superklebstoff ist so stark, dass er sich kaum mit den üblichen Lösungsmitteln in seine Bestandteile zerlegen lässt. Weitere Besonderheit: Er härtet sogar unter Wasser aus.

Forscher des Fraunhofer-Instituts für Fertigungstechnik und Angewandte Materialforschung IFAM in Bremen versuchen jetzt herauszufinden, aus welchen Aminosäure-Bausteinen die Proteine aufgebaut sind. »Ist das gelungen, werden wir in einem zweiten Schritt die klebenden Proteine im Labor nachbauen«, sagt Dr. Ingo Grunwald, Experte für biologische Klebstoffe am IFAM. Solche Bioklebstoffe sind vor allem für die Medizin interessant: Sie könnten Schnittwunden verschließen oder Nägel und Schrauben bei Knochenbrüchen ersetzen oder unterstützen.

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Dr.-Ing. Stephan Kabasci Fraunhofer Forschung Kompakt

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