Leichte Bahnen als Zukunftsmarkt – 100 kg Gewicht weniger am Zug spart 17.000 Tonnen CO2 pro Jahr

Wirtschaftsminister Jürgen Seidel (Mecklenburg-Vorpommern) hat heute in Rehna ein neues Verbundforschungsvorhaben vorgestellt und den Kooperationspartnern aus Wirtschaft und Forschung einen Förderbescheid in Höhe von 1,4 Millionen Euro übergeben.

Der offizielle Titel des Projektes der PMC GmbH Rehna und der Fachhochschule Stralsund lautet „Reduzierung des Gewichtes von Freiformteilen aus Faserverbundwerkstoffen im Außen- und Innenbereich von Schienenfahrzeugen“.

Dahinter verbirgt sich der ambitionierte Ansatz, auch im Schienenfahrzeugbereich energieeffiziente Leichtbaustrukturen zum Standard zu machen. Die Mittel für das Verbundvorhaben stammen aus dem Europäischen Sozialfonds (ESF) und dem Europäischen Fond für Regionale Entwicklung (EFRE).

„Hier treffen theoretisches Know-how der Hochschule Stralsund auf das praktische Anwenderwissen des Unternehmens.

Das sind Synergien, die zu international wettbewerbsfähigen Produkten führen sollen. Ein Ziel ist es dabei, den Menschen bei uns im Land Perspektiven aufzuzeigen, hierzu gehören attraktive und wissensbasierte Jobs in Mecklenburg-Vorpommern“, betonte Wirtschaftsminister Seidel. Aufgrund eines umfangreichen Fuhrparks an älteren Bahnen und Zügen geht der Trend hin zu verbrauchsarmen Verkehrskonzepten in Leichtbauweise. Dementsprechend hoch sind die Erwartungen der Branche.

Zukunftstechnologien in der Klosterstadt Rehna
Die Bedeutung von Leichtbaustrukturen im Schienenfahrzeugbereich hat in den vergangenen Jahren erheblich zugenommen, da das Leichtbaupotenzial der Faserverbundwerkstoffe das von metallischen Werkstoffen sowohl hinsichtlich der Festigkeit und Steifigkeit als auch des Energieaufnahme-vermögens, der Dämpfung und Schwingfestigkeit weit übertrifft. Dieses Potenzial kann jedoch nur voll ausgenutzt werden, wenn es gelingt die Bauteile reproduzierbar, kostengünstig und mit idealisierten Zusammensetzungen herzustellen.

Die Projektarbeit bei der seit 2008 in Rehna ansässigen PMC GmbH umfasst die Entwicklung neuer Produkte und Faserverbundstrukturen für den Schienenfahrzeugbereich. Dazu werden verschiedene Faser-Matrixkombinationen unter Berücksichtigung vorhandener und zu modifizierender Fertigungstechnologien erstellt. Nach der Entwicklung geeigneter Werkstoffkombinationen und Fertigungsmethoden für unterschiedliche Anforderungsprofile und 3D-Geometrien sollen entsprechende Befestigungsstrukturen erprobt werden.

„Wenn wir Bauteile einer U-Bahn, die alle 30 Sekunden hält und dann wieder anfährt, nur um 100 kg leichter machen, bewegen wir pro Start und Stopp 200 kg weniger Masse und reduzieren dadurch den Energieverbrauch“, erläuterte der PMC-Geschäftsführer Frank Jaeckel. „Das summiert sich auf 170.000 Tonnen Einsparung im Jahr, die bis zu 17.000 Tonnen CO2-Emissionen entsprechen.“ Weitere positive Effekte sind in den besseren Wärmeeigenschaften zu sehen, in der Korrosionsbeständigkeit sowie in besseren Widerstands- und Festigkeitswerten. Leichtere Züge können darüber hinaus barrierefreier gebaut werden. Dies wirkt sich auch auf Wartung und das Gleisbett aus.

Die Formteile werden auf Basis von Scan- oder CAD-Daten hergestellt. Durch die Entwicklung werden diese Teile bis zu 75 Prozent leichter. Bei der Produktion werden Harzschichten mit verstärkten Glas- und Carbonfasern kombiniert. Auf diese Weise produziert die PMC GmbH bereits Bugklappen und Kotflügel für ICE-Züge aus modernen faserverstärkten Kunststoffen. Die innerhalb des Vorhabens neu entwickelten Produkte sollen auf dem Ersatzteilmarkt für U-Bahnen, S-Bahnen, Regionalbahnen und Hochgeschwindigkeitszüge als Umrüst- oder Erstausstattung angeboten werden.

Werkstoffexperten aus Stralsund entwickeln Standards
Die Fachhochschule Stralsund führt umfangreiche Werkstoffuntersuchungen durch und erarbeitet auf dieser Grundlage allgemeingültige Konstruktions- und Teststandards für Faserverbundwerkstoffe. Als Grundlage dienen dabei Standards und Normen aus der Prüfung von Metallen und Kunststoffen. Die Ergebnisse der Untersuchungen fließen direkt in die Fertigungstechnologien des Rehnaer Unternehmens ein. Insbesondere wesentliche Parameter wie die Materialauswahl, Faserkonfiguration und das Fertigungskonzept basieren auf den grundlegenden Untersuchungen an der Forschungseinrichtung. Gleichzeitig erfolgt eine werkstoffkundliche, wissenschaftliche Überprüfung der durch die PMC GmbH entwickelten Bauteile.
„Auf wissenschaftlicher Seite stellt die Entwicklung von Teststandards einen Ansatz zur Vervollständigung der Prüfmethoden in der Prüftechnologie von Faserverbundbauteilen für den Schienenfahrzeugbau dar“, sagte die Stralsunder Projektleiterin Prof. Petra Maier. „Mit der Durchführung des Vorhabens soll erstmals ein ganzheitlicher Ansatz zur mechanischen, chemischen und thermischen Werkstoffprüfung von Faserverbundwerkstoffen für den Schienenfahrzeugmarkt, zugeschnitten auf die Produktpalette der PMC GmbH, geschaffen werden.“

Aus der Luft- und Raumfahrt oder dem Schiffbaubereich sind zwar zahlreiche Faserverbundstrukturen, auch unter Verwendung von Epoxidharzen, bekannt, aber die Kennwerte, Eigenschaften oder auch Produktionsverfahren lassen sich angesichts unterschiedlicher Anforderungsprofile nicht ohne Weiteres auf den Schienenfahrzeugbau übertragen.

Eine der Hauptherausforderungen ist dabei, Faserverbundbauteile unter dem Aspekt der Gewichtsreduzierung auf einer wettbewerbsfähigen Kostenbasis anzubieten. Genau hier setzt das neue Verbundvorhaben der PMC GmbH und der Fachhochschule Stralsund an.

Verbundforschung erschließt neue Märkte
Mit der vor drei Jahren neu ausgerichteten Verbundforschung sollen langfristige strategische Partnerschaften und somit stabile Netzwerkstrukturen zwischen Wissenschaft und Wirtschaft im Land aufgebaut werden. „Ohne eine enge Kooperation der Verbundpartner wäre dieses komplexe Entwicklungsvorhaben in dem geplanten Zeitraum bis 2012 nicht umzusetzen. Die Zusammenarbeit von Industrie, mittelständischen Unternehmen und Forschungsnetzwerken ist die Basis für den benötigten Innovationsschub in den einzelnen Branchen“, so Seidel.

Von den in der Förderperiode von 2007 bis 2013 zur Verfügung stehenden 155 Millionen Euro Forschungsförderung (ESF/EFRE) sind 70 Millionen Euro bereits in die Entwicklung neuer Produkte und Verfahren geflossen. Insgesamt 42,5 Millionen Euro davon wurden an 140 Verbundforschungs-vorhaben vergeben. Schwerpunkte in der Förderung von Forschung, Entwicklung und Innovation liegen in den Bereichen Medizintechnik und Biotechnologien (38,1 %), Informations- und Kommunikations-technik (23,9 %) sowie beim Maschinenbau und der Metallverarbeitung (19,4 %). „Mit unserer Neuausrichtung der Verbundforschung geben wir die nötigen Anreize, Forschung und Entwicklung im Praxisverbund mit kleinen und mittelständischen Firmen in Mecklenburg-Vorpommern durchzuführen. Hierfür werden wir auch weiter aktiv im Land werben“, so Seidel abschließend.

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Dr. Rudi Wendorf idw

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Die Materialwissenschaft bezeichnet eine Wissenschaft, die sich mit der Erforschung – d. h. der Entwicklung, der Herstellung und Verarbeitung – von Materialien und Werkstoffen beschäftigt. Biologische oder medizinische Facetten gewinnen in der modernen Ausrichtung zunehmend an Gewicht.

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