Hilfe von der dunklen Seite

Spektroskopische Verfahren gehören zu den wichtigsten Methoden, mit denen Wissenschaftler ins Innere von Materialien schauen können. Ein Team des Helmholtz-Zentrum Berlin für Materialien und Energie (HZB) hat nun mithilfe der Röntgenabsorptionsspektroskopie die Verschiebung von elektrischen Ladungen in gelösten Stoffen beobachtet, den Elektronentransfer. Damit können sie auf mikroskopischer Skala sehen, wie gelöste biochemische Stoffe ihre Funktion ausüben. Emad Aziz und Kollegen berichten darüber in der am 8. August erscheinenden online-Ausgabe der Zeitschrift Nature Chemistry.

Die Gruppe hat die Röntgenabsorptionsspektren von Eisen-Ionen sowohl in Eisenchlorid als auch in organischen Verbindungen wie zum Beispiel dem aktiven Zentrum des Blutbestandteils Hämoglobin, dem Hämin, untersucht und einen bislang nicht erklärbaren negativ erscheinenden Peak – als Dip bezeichnet – in den Spektren analysiert.

Bei der Röntgenabsorptions-Spektroskopie wird die Probe mit monochromatischem Röntgenlicht bestrahlt. Wenn die Energie des eingestrahlten Lichts gerade mit einem energetischen Übergang im Molekül übereinstimmt, können Elektronen aus ihrem Grundniveau in ein energetisch höheres Niveau angeregt werden. Bei der Rückkehr in ihren Ausgangszustand wird die zugeführte Energie wieder abgegeben, zum Beispiel durch Aussenden von Fluoreszenzlicht. Indem Wissenschaftler dieses Fluoreszenzlicht aufzeichnen, gewinnen sie Aufschluss über die elektronische Orbitalstruktur von Atomen und Molekülen.

Emad Aziz und seine Kollegen haben durch Messungen mit Synchrotronlicht an der Strahlungsquelle BESSY II herausgefunden, dass einige gelöste Stoffe nach Anregung kein Fluoreszenzlicht aussenden. Der im Spektrum negativ erscheinende Peak erwies sich als Beleg dafür, dass die Rückkehr in das Grundniveau strahlungslos über einen sogenannten dunklen Kanal stattfindet, was auch als „dark channel“ bezeichnet wird.

Dies passiert, weil durch Wechselwirkung miteinander die Moleküle der Probe und die des Lösungsmittels gemeinsame Orbitale bilden. Die angeregten Elektronen werden in dieses Orbital transferiert. „Dies funktioniert, weil sich die Molekülorbitale der Eisen- und der Wasserionen räumlich sehr nahe kommen und energetisch gut zusammenpassen“, erläutert Emad Aziz, Leiter einer Nachwuchsgruppe am HZB. Die Elektronen verweilen in diesem neuen Niveau länger als in einem normalen Molekülorbital. Ihr Energiezustand verhindert daher die Aussendung des normalerweise zu erwartenden Fluoreszenzlichtes.

Die Dips im Spektrum geben damit Aufschluss über die Art der Wechselwirkung zwischen Probe und Lösungsmittel. In biochemischen Systemen wie zum Beispiel Proteinen kann man mithilfe dieses Prozesses nun untersuchen, in wie weit das Lösungsmittel zur Funktionalität beiträgt.

Solche ultraschnellen Vorgänge wie Ladungstransfers lassen sich mit den bisher üblichen Methoden nur mit sehr großem Aufwand beobachten. Nun haben die HZB-Forscher einen Weg gefunden, die Dynamik des Prozesses mithilfe einer einfachen Methode aufzuklären. „Wir können beobachten, wo die Ladungen hinwandern und wir können sehen, dass dies innerhalb von wenigen Femtosekunden passiert“, betont Emad Aziz. Außerdem hat das Ergebnis große Bedeutung für die Interpretation von Röntgenabsorptionsspektren generell.

Für ihre Experimente hat die Gruppe die selbst entwickelte Fließzelle genutzt, mit der es auch möglich ist, biologische Proben in ihrer natürlichen Umgebung – das heißt, in gelöster Form – mit Röntgenstrahlung zu untersuchen.

Artikel in Nature Materials: DOI: 10.1038/NCHEM.768

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