Frustrierte Lewis-Paare mit viel Chemie – Neuartiger Reaktionsweg führt zu innovativen Materialien

Neuartige Substanzen und Medikamente können aber nur entwickelt werden, wenn Pyridine oder verwandte Substanzen mit spezifischen funktionellen Gruppen ausgestattet werden, was bislang nur schwierig möglich war. Einem LMU-Forscherteam um den Chemiker Professor Paul Knochel ist es nun erstmal gelungen, eine Vielzahl funktionalisierter Pyridine auf einfache und effiziente Weise herzustellen.

Die Grundlage dafür bildet eine neue Klasse sogenannter frustrierter Lewis-Paare, die sich aus einer starken Säure und einer starken Base zusammensetzen. Diese Paare sind hochreaktiv und führen zu einer beschleunigten Metallierung von Heterozyklen. Der erstmals beschriebene Reaktionsweg könnte ein neuartiges Forschungsfeld begründen, das sich mit innovativen Metallierungsreagenzien auf der Basis frustrierter Lewis-Paare befasst. (Angewandte Chemie International Edition, online, Juli 2010)

Metallorganische Verbindungen sind für viele Anwendungsfelder der Chemie von großer Bedeutung, weil sie dank einer Reihe möglicher funktioneller Gruppen in ihren Eigenschaften und in ihrem Reaktionsverhalten variieren. Gebildet werden die metallorganischen Verbindungen aus den ringförmigen organischen Heterozyklen, etwa Pyridine und Chinoline, die damit wichtige Synthesebausteine in der Herstellung von Arzneimitteln, Farbstoffen und Kunststoffen sind. „Bislang verlief die Funktionalisierung von Pyridinen mit den Metallen Magnesium, Zink oder Aluminium aber wenig zufriedenstellend“, berichtet der LMU-Chemiker Professor Paul Knochel. „Bisherige, vergleichbare Metallierungsreaktionen sind sehr langsam und und nur wenig effizient.“ Das könnte sich jetzt ändern, denn Knochel und sein Team haben eine neue Substanzgruppe entdeckt, die diese Reaktion deutlich beschleunigt – und einen wesentlich höheren Ertrag erzielt.

Die sogenannten frustrierten Lewis-Paare weisen eine außerordentlich hohe Reaktivität auf. Sie sind eine Sonderform der Lewis-Paare, die aus einer Säure und einer Base bestehen, die eine Bindung eingehen möchten. Bei den frustrierten Lewis-Paaren verhindern voluminöse Seitengruppen diese ersehnte Bindung und eine reversible Spaltung des reaktiven Addukts wird ermöglicht. In ihrer neuen Untersuchung verwendeten die Forscher als Lewis-Säure das Bortrifluorid (BF3) und als Base ein Metall-Amid, das Magnesium, Zink oder Aluminium enthält. Auf diese Weise konnten sie eine überraschend effiziente Metallierung des Pyridins erreichen: Bei Temperaturen von minus 40 Grad Celsius fand diese bereits innerhalb von zehn Minuten statt. „Dies weist auf eine erstaunliche Reaktivität des neuen frustrierten Lewis-Paares hin“, sagt Benjamin Haag, Mitarbeiter der Knochel-Gruppe und Ko-Autor der Studie. „Denn der chemischen Intuition folgend, würde man erwarten, dass das Paar überhaupt nicht reaktiv ist.“

Mithilfe computertheoretischer Berechnungen und Kernresonanz-Untersuchungen konnten die Forscher die neuen metallorganischen Substanzen jedoch eindeutig charakterisieren. „Das hat gezeigt, wie sich die einzelnen Bestandteile zusammensetzen“, so Haag. „Gleichzeitig konnten wir beweisen, dass wir tatsächlich eine ganz neue metallorganische Substanzklasse gefunden haben.“ Mithilfe der neuen Lewis-Paare lassen sich Pyridine und andere heterozyklische Verbindungen nun auf vielfältige Art und Weise funktionalisieren, also mit verschiedenen funktionellen Gruppen kombinieren. Dabei lässt sich zugleich präzise steuern, an welchen Positionen des Moleküls die Metallierung stattfindet. „Die neue Methode ist vor allem für Anwendungen in der Feinchemie, in den Materialwissenschaften und für die Herstellung neuer Arzneistoffe interessant“, sagt Haag. Zugleich könnte sie den Ausgangspunkt für ein ganz neues Forschungsgebiet bilden: Die Herstellung und Untersuchung metallorganischer Reagenzien auf der Basis neuartiger frustrierter Lewis-Paare. (CA/suwe)

Publikation:
„Highly Selective Metalations of Pyridines and Related Heterocycles Using New Frustrated Lewis Pairs or Zn- and Mg-TMP-Bases with BF3•OEt2”;
Milica Jaric, Benjamin A. Haag, Andreas Unsinn, Konstantin Karaghiosoff, Paul Knochel;
Angewandte Chemie, International Edition, online, Juli 2010;
Web: http://www3.interscience.wiley.com/journal/123576488/abstract
Ansprechpartner:
Prof. Dr. Paul Knochel
Department für Chemie der LMU
Tel.: 089 / 2180 – 77681
E-Mail: knoch@cup.uni-muenchen.de

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