Mit molekularen "Dominosteinen" zum Nano-Draht

Mit fortschreitender Miniaturisierung in der Mikroelektronik wird es immer kniffliger, die winzigen Bauteile herzustellen. Viel praktischer wäre es da, wenn lediglich die Bestandteile miteinander gemischt werden müssten – und schon setzt sich das gewünschte Bauteil selbst zusammen. Molekulare Selbstorganisation heisst das Zauberwort, das Forscherherzen höher schlagen lässt.

Auf diesem Gebiet haben Empa-Forscher vor kurzem beachtliche Fortschritte erzielt; es ist ihnen gelungen, zwei organische Moleküle so zu gestalten, dass sie sich auf einer speziell präparierten Goldoberfläche zu langen, parallelen Ketten anordnen – sozusagen zu Nano-Drähten. Gezielte Selbstanordnung auf Oberflächen und die zugrunde liegenden Prozesse sind aber nicht nur für die molekulare Elektronik wesentlich; auch für die heterogene Katalyse – wie sie etwa im Abgaskatalysator abläuft – und die Sensorik sind sie von Bedeutung.
Schon seit einiger Zeit können Forscher bestimmte Moleküle so "designen", dass sie sich in abwechselnder Reihenfolge aneinander anlagern und unter bestimmten Umständen – beispielsweise auf Oberflächen – Ketten bilden.

Das muss man sich ähnlich wie bei einem Dominospiel vorstellen – aber ohne Spieler; die Reihen bilden sich von selbst. Allerdings keine sehr langen; denn Oberflächen – selbst extrem glatte – weisen auf atomarer Ebene stets Unebenheiten wie Stufen auf, die für die Molekülketten unüberwindbare Hindernisse darstellen. Und da die nur wenige Atomschichten hohen Stufen normalerweise zufällig auf der Oberfläche verteilt sind, ordnen sich auch die Molekülketten äusserst unregelmässig auf der Oberfläche an. Die Unebenheiten sind freilich nur unter dem Rastertunnelmikroskop zu "sehen" bzw. zu fühlen. Dabei tastet eine ultrafeine Spitze, an der eine elektrische Spannung angelegt wurde, die Oberfläche ab. Ist die Spitze nahe genug an der Oberfläche, fliesst ein so genannter Tunnelstrom. Wird dieser nun durch variables Nachregulieren der Lage der Nadel konstant gehalten, lässt sich damit die Topographie der Oberfläche sichtbar machen.

Wie wäre es nun aber, so überlegten sich Roman Fasel und seine Kollegen, wenn die Stufen alle parallel zueinander ausgerichtet würden, wie in einer ellenlangen Treppe? Theoretisch müssten sich dann auch die Molekülketten, die sich bevorzugt entlang den Stufenkanten bilden, zu einem langen, parallelen Gittermuster anordnen. Also präparierten die Doktorandin Marta Cañas-Ventura von der EPF Lausanne und ihre Empa-Kollegen die Oberflächen eines Gold-Einkristalls entsprechend. Nach etlichen Zyklen unter Argon-Ionenbeschuss – ein Reinigungsschritt, mit dem winzige Unreinheiten von der Oberfläche entfernt werden – und Erhitzen waren die Forscher am Ziel: Die Goldoberfläche wies unzählige parallele Stufen auf, alle gleich hoch – genau eine Goldatomschicht (0.24 Nanometer) -, die zudem in einem regelmässigen Abstand von 5.8 Nanometer parallel zueinander verliefen.

Mit Designer-Molekülen zu sich selbst organisierenden Nano-Ketten

Nun brauchten sie nur noch die Bausteine der Nano-Ketten im Hochvakuum auf die Goldoberfläche aufzudampfen. Eines der organischen Moleküle hatten Kollegen vom Max-Planck-Institut für Polymerforschung in Mainz speziell für das Empa-Team synthetisiert, und zwar so, dass es eine Art Gegenstück zum zweiten Baustein darstellt: An ihren beiden Enden enthielten die zwei Moleküle jeweils Strukturen, die genau an ihr Gegenüber auf dem Partnermolekül passten und über so genannte Wasserstoffbrücken an dieses andocken konnten. Danach untersuchten Fasel und sein Team die Oberflächen wiederum unter dem Rastertunnelmikroskop.

Was die Forscher sahen, bestätigte ihre Überlegungen voll und ganz. Bei geringen Konzentrationen der beiden Kettenbausteine bildete sich an jeder Stufe eine einzelne Kette; bei höheren Konzentrationen eine Doppelkette. Die Doppelketten wiesen mit defektfreien Bereichen von rund 30 Nanometer sogar eine deutlich bessere Ordnung auf als die Einzelketten, "vermutlich, weil sich beide Ketten gegenseitig stabilisieren", so Fasel. Insgesamt bildete sich eine Art Gitter auf der Goldoberfläche, bei dem unzählige Nano-Ketten in regelmässigem Abstand parallel verliefen. "Unsere Studie ist ein so genannter . Damit haben wir gezeigt, dass es grundsätzlich möglich ist, supramolekulare Ketten in paralleler Anordnung auf Oberflächen wachsen zu lassen – und zwar über verhältnismässig grosse Distanzen", sagt der Empa-Forscher, dessen Ergebnisse demnächst in der Fachzeitschrift "Angewandte Chemie" veröffentlicht werden.

Ein Manko haben die sich selbst organisierenden supramolekularen Ketten allerdings noch: Als Leiter für die molekulare Elektronik sind sie nicht geeignet, da sie einerseits mit einem metallischen Substrat – Gold – in Kontakt sind, und andererseits eine zu geringe Leitfähigkeit aufweisen. Die Empa-Forscher arbeiten deshalb intensiv an Methoden, um auch Molekülklassen, die sich zur Stromleitung besser eignen, auf isolierenden Oberflächen zu supramolekularen Drähten anzuordnen. Von besonderem Interesse sind ausserdem "schaltbare" Moleküle, welche dereinst die Rolle von Transistoren in sich selbst organisierenden molekularen Schaltkreisen übernehmen könnten. Längerfristiges Ziel der Forscher ist es laut Fasel, der auch das von der EU im 6. Rahmenprogramm geförderte RADSAS-Projekt ("Rational Design and Characterisation of Supramolecular Architectures on Surfaces") koordiniert, die molekulare Selbstorganisation so zu verstehen und zu steuern, dass sich Anwendungen auf der Nanometerskala nicht nur im Labor, sondern auch für die industrielle Herstellung umsetzen lassen.

Fachliche Informationen

Dr. Roman Fasel, nanotech@surfaces, Tel. +41 44 823 43 48, roman.fasel@empa.ch

Media Contact

Sabine Voser idw

Weitere Informationen:

http://www.empa.ch

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