Innovationsschub für mechatronische Systeme durch neue Werkstoffe

In einem Verbundprojekt zum Thema Mechatronik haben 21 Unternehmen und 6 Forschungsinstitute eine Reihe von Funktionskunststoffen entwickelt, die bei der Herstellung von elektrischen Geräten, Maschinen und Autos Maßstäbe setzen und die Miniaturisierung verschiedenster Komponenten vorantreiben werden. Unter der Führung von Siemens in Berlin entstanden vor allem Kunststoffe mit einzigartigen Eigenschaften. Sie leiten Licht, Wärme oder Strom und lassen sich zum Teil so einfach und kostengünstig wie Plastikspielzeug herstellen.


„Das Ziel des BMBF-geförderten Projekts war die Entwicklung neuer Werkstoffe und deren Integration in Produkte“, sagte Projektleiter Reinhard Kleinert von Siemens Corporate Technology. „Hierfür haben wir uns mit fünf Werkstoffeigenschaften beschäftigt: elektrische Leitfähigkeit, Magnetisierbarkeit, Strukturierbarkeit durch Laser, thermische Leitfähigkeit und optische Transparenz der Werkstoffe.“ Doch die Forschungsgruppe aus 21 Unternehmen und 6 Hochschulinstituten hat sich nicht mit dem Design neuer Materialien begnügt. „In jedem einzelnen Schritt entlang der Prozesskette haben wir Materialien, Produktionsverfahren, Anlagen und neue Bauteile entwickelt, die wir dem Markt nun zur Verfügung stellen“, so Kleinert.

Früher war alles ganz simpel. Ein Kunststoffgehäuse hatte die Aufgabe, seinen Inhalt zu schützen, ein Elektromotor trieb bewegliche Teile an und eine Heizspirale wärmte ihre Umgebung. Das ist Schnee von gestern. Heute ist es das Ziel der Entwickler, Bauteile zu kreieren, in denen zahlreiche Funktionen verschmelzen. Bauteile werden zu Multifunktionsgeräten. Motoren wirken zugleich als Sensor, Kunststoffbauteile nicht mehr nur als Hülle, sondern zugleich als Strom- oder Wärmeleiter. Mechatronic nennt sich die seit einigen Jahren populäre Verschmelzung von mechanischen und elektronischen Anwendungen. Durch das Verquicken der Disziplinen entstehen Geräte, die auf kleinstem Raum diverse Eigenschaften verbinden; eine entscheidende Voraussetzung für die weitere Miniaturisierung von Bauteilen im Automobil oder in anderen technischen Geräten und Anlagen. Vor rund vier Jahren startete das vom Bundesforschungsministerium geförderte groß angelegte Verbundprojekt „Ganzheitliche Materialkonzepte und Systemlösungen für Mechatronic-Anwendungen“. Mit von der Partie waren sowohl kleine wie große Industrieunternehmen und verschiedene Hochschulinstitute. Unter Koordination von Siemens in Berlin sollten mechatronische Komponenten mit neuartigen Eigenschaften entstehen, die sich direkt in neue Produkte umsetzen lassen. So waren an dem Projekt nicht allein Entwickler und Wissenschaftler beteiligt, sondern auch Hersteller und Anwender der Technik – ein gelungenes Beispiel für anwenderorientierte Forschung.

Magnetisierbarkeit

Durch geschickte Veränderung etablierter Materialien und Produktionsverfahren entstand eine Reihe von mechatronischen Bauteilen mit erstaunlichen Eigenschaften. Etwa ein kleiner Elektromotor, der sich zukünftig für Drosselklappen oder den Leuchtweitenregler im Auto nutzen lässt. Das Verblüffende: Der nur etwa daumendicke Rotor besteht ganz aus Kunststoff und lässt sich dennoch im Magnetfeld antreiben. Möglich wird das durch eine Beimischung magnetischer Werkstoffe wie Ferrit zur Kunststoffgrundsubstanz. Der Motor wird wie ein Plastikspielzeug in Windeseile in Spritzgießautomaten produziert. Erstaunlich ist, dass er nicht allein als Antriebsaggregat fungiert, sondern zugleich als Sensor, mit dem sich seine Stellung und Rotation bestimmen lässt. Für eine exakte Ausrichtung der Autoscheinwerfer beispielsweise ist das unerlässlich. Um dem Gerät seine Doppelfunktion zu verleihen, bedarf es lediglich zweier Düsen am Spritzgießautomaten, über die zwei verschiedene Kunststoffmischungen auf die kleine Motorwelle aufgetragen werden. Der eine bildet den Körper des Magneten, der andere einen schmalen Ring, der als Signalgeber für den Sensor dient. Rotiert dieser Ring mit dem Motor kann über ein Magnetfeld von außen seine Bewegung wahrgenommen werden. „Unser Ziel war es, den Zeitraum von der Materialentwicklung über die Produktintegration bis hin zur Markteinführung möglichst kurz zu halten. Aus diesem Grund haben wir nicht von Grund auf neue Materialien entwickelt, sondern haben die Eigenschaften klassischer Materialien an unsere Bedürfnisse angepasst.“, so Kleinert. Eine weiteres Ziel war, dass alle Prozesse und Materialien umweltgerecht sein müssen.

Laserstrukturierbarkeit

Diese Voraussetzungen erfüllt eine im Verbundprojekt entwickelte Prozesskette zur Herstellung von Kunststoffbauteilen – so zum Beispiel dreidimensionale Kunststoffkomponenten, die mit Leiterbahnen ausgestattet sind. Das Verfahren ist eine Weiterentwicklung der bereits etablierten Laserstrukturierung. Dabei aktiviert ein Laser auf der Kunststoffoberfläche die im Material enthaltenen Metallkeime. Das Metall wird frei und setzt sich an der Oberfläche ab. So lassen sich per Laser filigrane Leitungsmuster in den Werkstoff brennen. In einem anschließenden Kupfer-Bad entstehen dann die eigentlichen Leiterbahnen: Metalle aus dem Bad scheiden sich dort ab, wo der Laser das Metall freigesetzt hat – wie an einer Andockstelle. Bislang nutzt man als Kunststoffbeimischung für die Keime das teure und nicht ganz umweltfreundliche Palladium. Im Verbundprojekt gelang es, dieses durch Kupfer zu ersetzen, das deutlich günstiger und unproblematischer ist. Mehr noch: Die Forscher optimierten den Herstellungsprozess durch einen vorher unüblichen Reinigungsschritt. Bislang spritzen beim Laserbeschuss heiße Tröpfchen in die Umgebung und verunreinigen so den Kunststoff. Im schlimmsten Falle können dadurch im fertigen Bauteil Kurzschlüsse entstehen. Die Komponente wandert in den Müll. Um das zu vermeiden, konstruierten die Forscher eine Wasserstrahlanlage. Wie sich zeigte, reicht eine kurze Behandlung damit aus, um das Bauteil zu reinigen. Und noch etwas ist gänzlich neu: die Prüfung der Elektronik-Komponenten. Für gewöhnlich wird ein solches Bauteil in Klimakammern in mehreren Zyklen erhitzt oder gekühlt und anschließend zur Funktionsprüfung an einen Computer gekoppelt. Dies ist ein zeitraubendes und ungenaues Prozedere. Deshalb entwickelten die Wissenschaftler eine Anlage für eine so genannte Online-Messung. Damit lässt sich während des laufenden Tests ermitteln, ob das neue Funktionsteil korrekt arbeitet – eine deutliche Zeitersparnis. Neben Ingenieurs-Know-how war hier auch das Wissen von Informatikern gefragt. Immerhin mussten sie für den Online-Test eigens Programme entwickeln. So zeichnet sich das Verbundprojekt vor allem durch die Bündelung verschiedener Disziplinen aus. Beteiligt daran sind die Werkstoff- und Fertigungstechnik, der Maschinenbau, die Elektrotechnik und die Informatik. „Die Ergebnisse unserer Projektarbeiten fließen natürlich auch in unsere Produkte ein“, so Kleinert. „Je weniger Platz in einem Gerät zur Verfügung steht, um die Elektronik unterzubringen, desto schwieriger gestaltet sich eine Lösung mit herkömmlichen Leiterplatten. Aus diesem Grund hat der Siemens-Bereich Medical Solutions für die Mikrophonhalterungen ihrer Hörgeräte auf einen hier entwickelten Kunststoff zurückgegriffen. Dadurch steht in den Hörgeräten nicht nur mehr Platz für zusätzliche Funktionen zur Verfügung. Durch das neue Material wurden auch Herstellungskosten und Fertigungsaufwand erheblich gesenkt.“

Thermische und elektrische Leitfähigkeit

Werkstoffexpertise war insbesondere bei der Entwicklung thermisch und elektrisch leitender Bauteile gefragt – etwa zur gleichmäßigen und schnellen Verteilung oder Ableitung von Wärme im Motorraum. Bisher werden an solchen Stellen zumeist Metalle genutzt. Die Kombination von Kunststoff- und Metallkomponenten ist indes aufwändig. Zudem ist die dauerhafte Verbindung der verschiedenen Komponenten nicht ganz einfach. Immerhin handelt es sich um gänzlich unterschiedliche Werkstoffe, die nicht ohne weiteres aneinander haften. Nur eine gute Haftung aber gewährleistet, dass weder Feuchtigkeit noch Öle austreten. Einfacher ist es da, verschiedene Kunststoffe miteinander zu kombinieren. Bis dato fehlte es aber an Kunststoffen mit ausreichendem Wärmeleitvermögen. Durch geschickte Wahl der Beimischungen gelang es den Verbundpartnern, ein Polyamid zu mischen, das eine Wärmeleitfähigkeit besitzt, die an die von Stählen heranreicht. Je nachdem, welche Beimischung gewählt wird, verfügen die fertigen Kunststoff-Komponenten zusätzlich über elektrische Leitfähigkeit oder haben isolierende Wirkung – beispielsweise bei Verwendung von Aluminiumoxid. Durch die Verwendung neuer Kombinationen von Füllstoffen und die Wahl ihrer Formen ist es möglich, in Kunststoffen eine sprunghafte Erhöhung der elektrischen Leitfähigkeit bis hin zur Eigenleitfähigkeit zu erreichen. So lassen sich Anwendungen wie Stecker, Leiterkämme, Heizelemente oder Aggregate zur Feinstölabscheidung realisieren. Auch in diesem Falle kommen bekannte Werkstoffe in neuen Kombinationen zum Einsatz, die bereits etabliert sind und auch in großen Mengen erschwinglich sind.

Optische Transparenz

Einen etwas anderen Weg gingen die Forscher bei der Entwicklung neuer optischer Komponenten für Automobile. Die werden nach Ansicht von Experten immer bedeutender. Denn in Zukunft sollen die komplexen, unübersichtlichen und teuren Kabelbäume entschlackt werden. Statt über Kabel sollen Signale und Informationen im Auto per Lichtsignal übertragen werden. Eine solche Komponente gehört auch zu den Ergebnissen des Verbundprojektes. So entstand ein so genanntes Terpolymer, ein innovativer Kunststoff aus drei verschiedenen Komponenten, der das Licht hervorragend leitet. Dafür mussten die Projektpartner allerdings Werkstoffe verwenden, die vergleichsweise neu und noch relativ teuer sind. Denn immerhin sollte der optische Kunststoff eine wichtige Vorgabe der Automobilhersteller erfüllen. Er übersteht Löttemperaturen von bis zu 250 Grad Celsius und lässt sich damit in herkömmlichen Lötprozessen verarbeiten. So ist auch das neue Terpolymer ein Beweis dafür, dass sich durch Bündelung von Expertise in kurzer Zeit mechatronische Hochleistungsbauteile kreieren lassen, die praxisrelevant sind und in Zukunft Maßstäbe setzen dürften.

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Guido Weber idw

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Die Materialwissenschaft bezeichnet eine Wissenschaft, die sich mit der Erforschung – d. h. der Entwicklung, der Herstellung und Verarbeitung – von Materialien und Werkstoffen beschäftigt. Biologische oder medizinische Facetten gewinnen in der modernen Ausrichtung zunehmend an Gewicht.

Der innovations report bietet Ihnen hierzu interessante Artikel über die Materialentwicklung und deren Anwendungen, sowie über die Struktur und Eigenschaften neuer Werkstoffe.

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