Nichts dreht sich ohne Hightechstähle

Diese Eigenschaften müssen sich in den Schmiede-Vorprodukten, in großen Blöcken, widerspiegeln. Das können nur wenige Stahlerzeuger. Doch weltweit boomt der Markt für Windenergie. Damit steigt auch die Nachfrage nach hochwertigen Edelstahllegierungen. Laut dem Bundesverband Windenergie e. V. verbaut allein die deutsche Windkraftindustrie bei der Produktion neuer Windräder pro Jahr rund 1 Mio. t Stahl. Das ist dreimal so viel, wie der Schiffbau benötigt.

Windkraft stellt hohe Ansprüche an Stahl

Die verwendeten Werkstoffe müssen enormen Belastungen sowie häufig variierenden Kräften trotzen. Zum Beispiel im Bereich der Windradgetriebe: Um einen guten Wirkungsgrad bei der Energiegewinnung zu erzielen, wird die vergleichsweise langsame Rotordrehzahl, die im Bereich von 6 bis 20 min–1 liegt, in eine Generatordrehzahl zwischen 900 und 2000 min–1 übersetzt.

Bezogen auf die gesamte Laufzeit einer modernen Windenergieanlage entspricht dies einer Getriebeleistung von rund 144 Mio. Umdrehungen der Rotorwelle oder 15 Mrd. Umdrehungen der Generatorwelle. Voraussetzung für diese Leistung ist eine enorm hohe Verschleiß- und Dauerfestigkeit des Stahls. Eine hohe Zähigkeit ist Voraussetzung, um der schlagartigen Beanspruchung standzuhalten, der das Material bei böigem Wind ausgesetzt ist.

Maßgeschneiderte Edelstähle für Windkraftanlagenbauer

„Um diesen hohen Anforderungen gerecht zu werden, kommen in der Windkraftindustrie maßgeschneiderte Edelstähle zum Einsatz“, berichtet Dr. Armin Krabiell, Vertriebsleiter Spezialprodukte bei der Deutschen Edelstahlwerke GmbH, Witten. Die Entwicklung solcher Edelstahllegierungen zählt zu den Kernkompetenzen der Deutschen Edelstahlwerke, eines Unternehmens der Schmolz + Bickenbach-Gruppe.

ür einen führenden Anbieter von Antriebssystemen für Windkraftanlagen hat der Stahlproduzent beispielsweise in Kooperation mit den Getriebeherstellern einen speziellen Edelbaustahl entwickelt, der auf die Verarbeitungs- und Gebrauchseigenschaften nach der abschließenden Wärmebehandlung beim Kunden abgestimmt ist. Um diese Eigenschaften „einzustellen“, durchläuft der Werkstoff aufwändige Produktions- und Weiterverarbeitungsprozesse.

Zur Herstellung des Edelstahls werden selektierter Schrott und Schlackenbildner in einen 130-t-Elektrolichtbogenofen chargiert. Dort werden die Stahlzutaten mittels elektrischer Energie eingeschmolzen. Bei dem Stahlschrott handelt es sich um hochwertige Sekundärrohstoffe, die sowohl ökonomisch als auch ökologisch entscheidende Vorteile bieten.

Sekundärmetallurgische Behandlung mit zahlreichen Möglichkeiten

Hat der flüssige Stahl die Abstichtemperatur erreicht, wird die Schmelze zur Weiterverarbeitung in eine bereitstehende Pfanne entleert und mittels Abschlackmaschine von der mitgelaufenen Ofenschlacke getrennt. In der Pfanne findet anschließend die sekundärmetallurgische Behandlung des Stahls statt. Dazu zählen Legierungs- und Temperatureinstellung, Homogenisierung, Desoxidation, Entgasung und Spülbehandlung mittels Argon.

Im Anschluss wird der Stahl entsprechend der gewünschten Endabmessung in Kokillen unterschiedlicher Größe vergossen und nach dem Strippen im heißen Zustand als Schmiedeblock zur Schmiede transportiert.

Die im Gusszustand vorliegenden Blöcke werden nach ausreichender Erwärmung auf einer 3300-t-Schmiedepresse vorgeschmiedet. Stabstahl im Abmessungsbereich von 320 und 560 mm wird anschließend nach einer Zwischenwärmung mittels Schmiedemaschine umgeformt. Größere Abmessungen werden auf der Schmiedepresse fertiggestellt.

Aufwändiges Schmieden verleiht dem Stahl mehr Zähigkeit

Der aufwändige Schmiedeprozess ist notwendig, um dem Gefüge eine höhere Zähigkeit zu verleihen. Das ursprüngliche Gussgefüge könnte der Schlagbeanspruchung nicht standhalten und würde wie Porzellan brechen.

Durch die Warmumformung, die in definierten Stichfolgen mit einem festgelegten Verformungsgrad und unter definierten Temperaturen erfolgt, verändert sich das Werkstoffgefüge: Die Poren des Gussgefüges verschweißen, die ursprünglichen Kristalle rekristallisieren durch die Kombination von Verformung und Temperatur. Aus den groben Gusskörnern entsteht ein feinkörniges Gefüge, das nach der abschließenden Wärmebehandlung eine sehr hohe Belastbarkeit im Dauerbetrieb und einen sehr hohen Widerstand gegen schlagartige Beanspruchung aufweist.

Nach Abkühlung der geschmiedeten Stäbe erfolgen eine Wärmebehandlung mit gezieltem Erwärmen des Materials auf definierte Temperaturen, die Einstellung einer bestimmten Haltezeit und das Abkühlen des Edelstahls. Dabei erhält der Werkstoff das für die anschließende spanende Bearbeitung optimale Ausgangsgefüge und eine definierte Festigkeit.

Stahl-Werkstoff wird abschließend auf Fehler geprüft

Nach der Wärmebehandlung wird der Stabstahl gerichtet und geschält oder überdreht, um engere Abmessungstoleranzen einzustellen und eine Oberflächenrissprüfung sowie eine empfindliche Ultraschallprüfung vornehmen zu können. Diese Prüfungen stellen sicher, dass kein fehlerhaftes Material zur Auslieferung kommt. Parallel werden Proben für Laborprüfungen zur Bestimmung der mechanischen Eigenschaften und des Reinheitsgrades entnommen.

Die weitere Anarbeitung der geschmiedeten Stäbe erfolgt mittels Tieflochbohrmaschinen. Dabei handelt es sich um Bohrungen von 50 und 400 mm Durchmesser bei einer maximalen Bauteillänge von 10 m. Die Deutschen Edelstahlwerke liefern die Bauteile entweder als sogenannte Hohlwellen oder als passgenaue Lochscheiben, die als Vormaterial für Getriebekomponenten, wie Antriebswellen oder Stirnräder dienen.

Windradgetriebehersteller produzieren einbaufertige Komponenten

Der Windradgetriebehersteller fertigt anschließend die einbaufertigen Komponenten. So fräst er unter anderem die Verzahnungen, die anschließend einsatzgehärtet und geschliffen werden. Kennzeichnend für die so erzielten Getriebeteile ist die Kombination aus verschleißbeständiger Oberfläche und zähem Kern. Diese Voraussetzungen stellen eine lange Lebensdauer des Getriebes sicher.

„Die Anforderungen der Windenergieindustrie werden in den kommenden Jahren sogar noch wachsen“, sagt Dr. Armin Krabiell. „Schließlich geht der Trend in Richtung Offshore-Windenergieanlagen. Dort müssen die einzelnen Komponenten über die gesamte Anlagenlebensdauer praktisch wartungsfrei arbeiten. Dies sind hohe Ziele, die unsere Entwicklungskompetenz als Partner dieser Wachstumsbranche schon heute fordern.“

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Susanne Wagner MM MaschinenMarkt

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