Mustergültig geplant

„Wir stellen Kühlungen her für alles was rollt, angefangen von Ladeluft- oder Wasserkühlern über Öl-, Batterie- und Abgaskühler bis zu Klimaanlagen für den Fahrgastraum“, erläutert Christian Wacker, ehemals CNC-Administrator bei der Modine Europe GmbH in Filderstadt und heute zuständig für die Lehrlingsausbildung. Das europäische Hautquartier von Modine Manufacturing Company mit Hauptsitz in Racine, Wisconsin, entwickelt und fertigt mit 2.250 Mitarbeitern an elf Standorten fahrzeugspezifische Lösungen für den europäischen Markt bzw. für die europäischen OEMs.

Wie alle Automobilzulieferer steht auch Modine unter einem hohen Zeit- und Kostendruck. Bei der Entwicklung von Betriebsmitteln und Sondermaschinen, beispielsweise für die Profilierung der Lammellen, müssen die Mitarbeiter in der Fertigung schnell und mit wenig Aufwand zu funktionsfähigen Musterteilen und -werkzeugen kommen. Keine leichte Aufgabe, denn an den Kühlern ändert sich im Laufe der Entwicklung eine Menge. Zum einen weil sich die Vorgaben des Kunden hinsichtlich Auslegung und Einbau der Kühler ändern, zum anderen weil sich aus den intensiven Tests der Muster noch konstruktive Verbesserungen ergeben.

Der Zeitdruck im Musterbau sei sehr hoch, wie Wacker sagt: „Wir müssen in kürzester Zeit einen kompletten Kühler für die Bemusterung fertigen. Je nach Aufwand bauen wir die dafür erforderlichen Werkzeuge in ein oder zwei Wochen.“ Bei den Werkzeugen handelt es sich hauptsächlich um Stanz- und Umformwerkzeuge mit zum Teil sehr engen Windungen und starken Abkantungen, die aus weichen Materialien gefräst werden, da selten mehr als 200 Teile gefertigt werden, bevor die nächste Änderung in das Werkzeug eingearbeitet werden muss. Die Kühlerkästen, die für die Serienproduktion dann als Gussteile zugekauft werden, fräsen die Musterbauer aus dem Vollen. Ihr wichtigster Werkstoff ist Aluminium.

Durchgängige Lösung

Da die fahrzeugspezifischen Kühlsysteme in enger Abstimmung mit den Auftraggebern entwickelt werden, arbeiten die Konstrukteure normalerweise mit dem CAD-System des jeweiligen OEMs und stellen die Daten ihren Kollegen in der Fertigung im Step-Format bereit. Catia und Pro Engineer sind die beiden gängigen Hauptsysteme, die aber je nach OEM und Fahrzeugprogramm in unterschiedlichen Versionen im Einsatz sind. „Die Daten aus diesen Systemen ohne Direktschnittstelle in guter Qualität in das CAM-System einlesen zu können, war eine wichtiges Kriterium bei der Auswahl von Top Solid Cam“, erläutert Wacker die Gründe für die Wahl.

Die Mitarbeiter im Musterbau erzeugten ihre NC-Programme früher mit dem 2/3D-CAM-System eines anderen Herstellers, die jedoch keine guten Funktionen bot, um die NC-Bearbeitung schon am Rechner zuverlässig zu simulieren oder zumindest visuell zu kontrollieren. Außerdem ließ die Qualität mancher Postprozessoren zu wünschen übrig: „Wir konnten nie sicher sein, dass das Programm auf der Maschine ohne Crash funktioniert“, sagt Sascha Baiha, Team-Koordinator maschinelle Bearbeitung bei Modine Europe: „Da wir ständig unterschiedliche Teile in kleinen Stückzahlen fertigen, brauchen wir diese Sicherheit, um die Rüst- und Einfahrzeiten verkürzen zu können.“

Ziel war es, die NC-Programmierung im Zuge des Systemwechsels komplett auf 3D umzustellen, da die zu fertigenden Bauteile immer komplizierter werden und man deshalb die 3D-Daten aus der Konstruktion für die Programmierung der NC-Bearbeitung nutzen wollte. Gleichzeitig benötigten die Musterbauer ein CAM-System mit leistungsfähigen CAD-Funktionen, um ihre Musterwerkzeuge mit einer durchgängigen Lösung konstruieren und fertigen zu können. Deshalb sind derzeit in Filderstadt ein 5-Achs-Fräszentrum, sechs 3-Achs-Fräsmaschinen unterschiedlicher Größe und Fabrikate sowie ein Drehzentrum und eine zyklengesteuerte Drehmaschine an Top Solid Cam angebunden. Außerdem gibt es in der Musterwerkstatt zwei Drahterodiermaschinen, die künftig ebenfalls mit der Software aus dem Hause Missler programmiert werden sollen.

Top Solid Cam zeichnet sich dadurch aus, dass der Anwender die Bearbeitung seines Werkstücks in einer virtuellen Maschinenumgebung programmieren und dadurch Kollisionen mit Störkonturen schon gleich am Rechner erkennen kann. Die 3D-Modelle für die Maschinen lieferte Missler Vertriebspartner Moldtech, zusammen mit den Postprozessoren, an denen nur geringfügige Anpassungen erforderlich waren, um firmenspezifische Besonderheiten bei der Bearbeitung zu berücksichtigen. Die CAM-Programmierer haben inzwischen einen Großteil der Werkzeuge mit den Schnittdaten in Top Solid Tool angelegt und den Schraubstock und andere Spannmittel abgebildet, so dass sie die Bearbeitung komplett am Rechner simulieren können. Besonders wichtig sind die Simulationsfunktionen bei der 5-Achs-Simultanbearbeitung von komplexen Werkstücken, aber auch für die Ausbildung der Lehrlinge.

Das Systemhaus aus Salzkotten schulte auch die Anwender um, die nach einer Woche mit dem System arbeiten konnten. Die Einarbeitung war relativ kurz, weil die Software einfach zu erlernen und zu bedienen ist – so einfach, dass man inzwischen die Lehrlinge im Musterbau schon während der Ausbildung an das System heranführt. „Unsere Azubis lernen am Anfang, wie man die Maschine rüstet, den Nullpunkt aufnimmt, einen Schraubstock aufsetzt und das Werkstück spannen, um dann mit Hilfe der Autofunktion in Top Solid Cam einfache Bearbeitungen zu programmieren“, so Wacker. „Das geht nur mit einem einfach zu erlernenden System, in das man sich schnell wieder einarbeitet, wenn man ein paar Tage mal nicht programmiert hat.“

Die Software ist im Musterbau in Filderstadt derzeit auf einem Ausbildungsplatz und vier Programmier-Arbeitsplätzen installiert. Den acht Anwendern stehen im Netzwerk eine Lizenz für die 5-Achs-Simultanbearbeitung und drei Lizenzen für das 3-Achs-Fräsen und das Drehen mit Gegenspindel zur Verfügung. Den Großteil der Programmierarbeit erledigen sie heute mit der Software, weil sie damit schneller sind als mit dem alten System.

Einheitliche Strategie
Das Rationalisierungspotential des neuen CAM-Systems ist dabei noch nicht voll ausgeschöpft. Die CAM-Programmierer machen beispielsweise wenig Gebrauch von der Möglichkeit, mit Top Solid Cam einheitliche Methoden für die Bearbeitung bestimmter Bauteil-Geometrien zu definieren, die immer wieder verwendet werden können. Derzeit nutzt erst einer der Anwender diese Automatismen bei der Programmierung von bestimmten Drehteilen, die er vollständig parametrisiert hat, so dass sie sich über die Eingabe weniger Werte anpassen lassen. Für die Bearbeitung dieser Teile hat er eine einheitliche Bearbeitungsstrategie vom Schruppen bis zum fertigen Abstechen definiert, die mit unterschiedlichen Ausprägungen der Geometrie funktioniert.

Die Rüst- und Einfahrzeiten haben sich seit der Einführung spürbar verkürzt, weil die Maschinenbediener erkannt haben, dass die NC-Programme wesentlich zuverlässiger sind. „Früher sind wir bei lang laufenden Bearbeitungen nachts oft noch mal zum Kontrollieren in den Betrieb gekommen. Heute können wir beruhigt schlafen“, erzählt Wacker. Die Verbesserung der Produktivität lässt sich nicht genau erfassen, weil im Musterbau viele Teile umsonst produziert werden. Kaum sind sie fertig, kommt schon die nächste Änderung und das Spielchen geht von Neuem los.

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