Die Klima-Macher

Die Erstausgabe der Bild am Sonntag erscheint, Borussia Dortmund jubelt zum ersten Mal als Deutscher Meister und der Bayerische Rundfunk strahlt erstmals einen TV-Werbespot aus: Die junge BRD fiebert durchs Wirtschaftswunder. Mittendrin, im Jahr 1956, gründet ein findiger Ingenieur namens Karl Weiss in Gießen sein gleichnamiges Unternehmen. Es beschäftigt sich mit der Entwicklung und Herstellung elektrophysikalischer Messgeräte für den Forschungseinsatz und die aufblühende Industrie. Bereits wenige Jahre später (1964) verlegt das dynamisch wachsende Unternehmen seinen Standort in das benachbarte Örtchen Lindenstruth.

Die Mitarbeiterzahl steigt auf 120; die Gerätepalette wird kontinuierlich erweitert. Bald erstreckt sie sich von Prüfgeräten bis zur Umweltsimulationstechnik. 1978 wird die mittlerweile in Weiss Technik GmbH umbenannte Firma eine Tochter der Schunk-Gruppe – einem mittelständischen, aber weltweit tätigen Technologiekonzern. 1986 erfolgt die Neugliederung des Unternehmens in zwei Schwestergesellschaften: Die Weiss Klimatechnik GmbH, die Klimasysteme für Anlagen und Arbeitsplätze herstellt, und die Weiss Umwelttechnik GmbH, die Prüfschränke und -anlagen für Umweltsimulationen entwickelt. Diese Aufteilung hat bis heute Bestand.

Die 1990er-Jahre der dynamischen Firmengeschichte sind geprägt von strategischen Akquisitionen. So übernimmt man 1995 das Balinger Unternehmen Vötsch Industrietechnik und im Jahr darauf die französischen Firmen Secasi Technologies und Servathin. Zwei Jahre später kommt die britische Design Environmental Ltd zur Weiss Group. 2004 erfolgen die Gründung der Weiss-Vötsch Environmental Testing Instruments in Taicang (China) sowie die Übernahme der Umweltsimulationssparte der britischen Sanyo Gallenkamp P.L.C.. Im Jahr darauf entschließt sich die Firmenleitung zum Kauf der französischen Firmen Climats S.A. und Sapratin Technologies. Nach einer kurzen Atempause übernimmt man 2008 das US-Unternehmen Envirotronics. Heute besteht die Weiss Group als Business Unit Environmental Simulation der Schunk-Gruppe aus 16 Firmen.

Die Weiss Umwelttechnik GmbH gilt derzeit weltweit als einer der bedeutendsten Hersteller von Prüfgeräten und -anlagen für die Simulation von Umwelteinflüssen. Anlagen des Unternehmens werden in Forschung, Produktion und Qualitätssicherung rund um den Globus für die Verbesserung vieler Produkte eingesetzt. Mit ihrer Hilfe lassen sich Tests nach internationalen Industrienormen oder Kundenwünschen zielgerichtet und wiederholbar durchführen. Sie erzeugen nahezu jeden gewünschten Umwelteinfluss, um Werkstoffe, Oberflächen oder Produkte unter Stress zu setzen: Regen, Nebel, Eis, Schnee, Hoch- und Tieftemperaturen, Nässe, Luftdruck, Vibration, Licht, Staub, Salznebel und Schadgas – einzeln oder in Kombination. Je nach Branche und Anwendung stehen dabei verschiedene Aspekte auf dem Prüfstand: Funktion, Zuverlässigkeit, Umweltschutz, Materialbeständigkeit, Leistungsbestimmung, Verbrauch, Lebensdauer und Produktentwicklung.

Die Dimensionen der Weiss´schen Prüfeinrichtungen werden letztlich durch die Größe des Prüflings bestimmt. Während etwa ein käseglockengroßer Raum ausreicht für die Prüfung kleiner Satellitenkomponenten unter Weltraumbedingungen, kann die Größe einer Testkammer für Fahrzeuge oder Flugzeugkomponenten ein Volumen von mehreren hundert Kubikmetern erreichen.Fest etabliert ist das Unternehmen unter anderem im Automobilsektor. Denn für den Erfolg einer Fahrzeug-Entwicklung spielt heute die Erprobung des Einflusses der in verschiedenen Erdregionen herrschenden Klimaeinflüsse eine entscheidende Rolle. Weiss Umwelttechnik konzipiert zu diesem Zweck Höhenprüfkammern für die Luftdruck-Simulation bis zu einer Höhe von 4000 m. Durch die zusätzliche Kombination von Kälte und Klima sind fast alle denkbaren Prüfungen von Ort und Jahreszeit unabhängig und reproduzierbar durchführbar.

In Wolfsburg bei VW errichtete Weiss Umwelttechnik im Kälte- und Klimazentrum Halle 68 jüngst eine komplexe Höhensimulationskammer, mit der sich nahezu alle auf der Erde vorkommenden Klimaeinflüsse simulieren lassen. Hier kann die komplette VW-Modellpalette getestet werden. Teure Versuchsreihen in verschiedenen Erdteilen werden durch die Verlagerung ins „Labor“ weitgehend vermieden. Alle Wettereinflüsse, denen ein Fahrzeug ausgesetzt sein kann, werden in der Höhenkammer über die physikalischen Größen Temperatur, Luftfeuchtigkeit, Druck (geodätische Höhe), Sonnenlicht und Fahrtwind gleichzeitig simuliert.

Berg- und Talfahrt

Zudem ist diese Höhenkammer mit einem Allrad-Rollenprüfstand und einer Sonnenlicht-Simulation ausgerüstet. Das ermöglicht die Darstellung von Berg- und Talfahrten bei Sonnenschein mit Bestrahlungsstärken bis 1.100 W/m2 zwischen Meereshöhe und 3000 m bei Geschwindigkeiten von bis zu 180 km/h.

Neben Prüfkammern für komplette Fahrzeuge realisiert das Unternehmen auch Motoren-Prüfkammern. So etwa die kürzlich im Forschungs- und Innovationszentrum von BMW in München errichteten Höhen-Klima-Prüfstände. Deren Ausrüstung umfasst zusätzlich sämtliche für die Wärmeabfuhr der Prüflinge nötigen Kühlkreisläufe, um die komplette Temperaturregelung der Motor-, Ladeluft- und Ölkühlung zu simulieren.Aber auch außerhalb der Automobilindustrie ist Weiss Umwelttechnik aktiv. Für die Qualitätssicherung medizinischer und pharmazeutischer Produkte bietet man unter anderem ein umfassendes Programm von Stabilitätstest-Schränken, Klimakammern und Sonderanlagen in jeder Größe, das auf den GMP-, FDA- und ICH-Richtlinien basiert.

Als neuste Innovation präsentierte das Unternehmen kürzlich den ersten Klimaprüfschrank mit integrierter Messrobotik. Damit lassen sich kleine und mittelgroße Produkte in einem Temperaturbereich von -40°C bis +85°C messen, prüfen und positionieren. Vor allem für Anwender in Automobil- und Zulieferindustrie, Medizintechnik, Informationstechnik und Haushaltsgeräteindustrie ist das ein echter Forschritt.

Weiss Umwelttechnik beschäftigt heute 1800 Mitarbeiter. Die Schunk-Gruppe, zu der die Weiss Group gehört, deckt ein Produkt- und Leistungsspektrum von der Kohlenstofftechnik und Keramik über Umweltsimulations- und Klimatechnik bis hin zur Sintermetalltechnik und Ultraschallschweißtechnik ab. Sie beschäftigt in mehr als 60 operativen Gesellschaften in 26 Ländern rund 8.000 Mitarbeiter. Für 2010 erwartet die Schunk-Gruppe einen konsolidierten Umsatz von rund 800 Millionen Euro.

Media Contact

Michael Stöcker SCOPE

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