Flüssiger Wasserstoff im freien Fall

Gut zu erkennen ist die sich verändernde Konfiguration der Flüssigkeitsoberfläche während des Fallturmexperiments unter Schwerelosigkeit bei ca. -253 °C. ZARM

Dass die Experimentserie nun erfolgreich gestartet ist, bedurfte hoher Sicherheitsvorkehrungen und einer langen Vorbereitung: Zunächst hat die Arbeitsgruppe Mehrphasenströmungen den Versuchsaufbau mit anderen kryogenen – also tiefkalten – Flüssigkeiten wie Argon, Methan und Neon getestet, deren Handhabung insgesamt einfacher ist.

So musste bei allen verwendeten Materialien und Werkstoffen auf die Verträglichkeit mit den Flüssigkeiten geachtet werden. Es werden spezielle Temperatursensoren eingesetzt, um die tiefen Temperaturen präzise zu messen. Aber auch der Umgang mit flüssigem Helium als Kühlmittel (minus 269 Grad Celsius) stellte das Team vor Herausforderungen, da es außerordentlich leicht flüchtig ist und bei Kontakt stets die Gefahr von Kälteverbrennungen birgt. Dieses Risiko ist auch der Grund, warum sich der Fallturm als besonders geeignetes Mikrogravitationslabor herausgestellt hat.

Versuchsaufbau gleicht einem Treibstofftank

Der Versuchsaufbau orientiert sich an den tatsächlichen Begebenheiten und Anforderungen in der Raumfahrt: In die Fallkapsel wurde ein zylindrisches Gefäß eingesetzt, das teilweise mit flüssigem Wasserstoff gefüllt ist und einen Treibstofftank simulieren soll.

Die darüber liegende Gasatmosphäre besteht ebenfalls aus Wasserstoff. Vor dem Experimentstart wurden die Wände des Gefäßes gezielt überhitzt, denn auch die Wände von Raketentanks sind aufgrund von Sonneneinstrahlung und Restwärme der Triebwerke deutlich wärmer als der flüssige Treibstoff. Die Überhitzung beeinflusst neben der Flüssigkeitsbewegung auch die Druckentwicklung im System.

4,7 Sekunden Schwerelosigkeit im freien Fall

Bei Erdschwerkraft verhält sich der flüssige Wasserstoff wie Wasser in einem teilgefüllten Glas. Eine freie Flüssigkeitsoberfläche trennt den flüssigen vom gasförmigen Wasserstoff. Die Flüssigkeitsoberfläche ist überwiegend flach, an der Wand zieht sich die Flüssigkeit aufgrund der Kapillarwirkung einige Millimeter hoch. In der Schwerelosigkeit von 4,7 Sekunden Dauer zieht sich die Flüssigkeitsoberfläche weit nach oben, bis sie vollständig gekrümmt ist. Der Übergang zwischen diesen beiden Konfigurationen geht mit einer Schwappbewegung der Flüssigkeit einher. Dieses Schwappen wird durch die Überhitzung der Wände maßgeblich beeinflusst und ist entscheidend für den Wärme- und Stofftransport an der Flüssigkeitsoberfläche und somit für die Entwicklung des Drucks im Tank.

Flüssigen Wasserstoff länger lagern

Ziel des Forschungsvorhabens ist es, die beim Übergang zur Schwerelosigkeit entstehende Schwingung so exakt wie möglich zu beschreiben sowie die damit verbundenen Änderungen der Temperatur und des Drucks. Der angestrebte praktische Nutzen liegt darin, die aus den Experimentergebnissen gewonnen Daten für die Entwicklung von neuen Tanksystemen zu verwenden. Eine Möglichkeit, den Treibstoff in der Schwerelosigkeit zu positionieren, besteht darin, das Raumfahrzeug kurzfristig zu beschleunigen. Die Arbeiten am ZARM könnten dazu beitragen, andere Methoden zu finden, und die Möglichkeit eröffnen, flüssigen Wasserstoff für längere Zeit in entsprechenden Tanks im Weltraum lagern zu können.

Das Forschungsprojekt wird unter der Kennziffer 50RL1621 vom Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi) durch das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR e.V.) gefördert.

Ansprechpartner für inhaltliche Fragen:
Prof. Dr.-Ing. habil. Michael Dreyer
ZARM, Universität Bremen
Head Multiphase Flow Group
Tel: 0421 218-57866
michael.dreyer@zarm.uni-bremen.de

Ansprechpartnerin für allgemeine Presseanfragen:
Dr. Lucie-Patrizia Arndt
Tel: 0421 218-57817
lucie-patrizia.arndt@zarm.uni-bremen.de

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Birgit Kinkeldey idw - Informationsdienst Wissenschaft

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