Einfache rotationssymmetrische Bauteile lassen sich kombiniert bearbeiten

Geschmiedete Bauteile weisen oftmals Hohlräume, Löcher, Durchbrüche oder Aussparungen auf, die durch eine Lochoperation des noch warmen Schmiedeteils erzeugt werden. Formelemente, wie die so genannten Augen (kreisrunde Durchbrüche) bei Pleuelstangen und Ringschlüsseln, werden durch Warmlochprozesse hergestellt. Ein wesentlicher Nachteil des konventionellen Warmlochens ist, dass eine kostenintensive spanende Nachbearbeitung zur Herstellung der Fertigkontur zwingend erforderlich ist.

Kombiniertes Umformen und Lochen

Ein am IPH – Institut für Integrierte Produktion Hannover gemeinnützige GmbH – entwickeltes optimiertes Warmlochverfahren hat die technischen Voraussetzungen zur Realisierung des kombinierten Umformens und Lochens in einem Werkzeug geschaffen. In mehreren Schmiedeversuchen konnte das Potenzial dieses Fertigungs-Verfahrens aufgezeigt werden.

Verfahrensbedingt verbleibt bei Schmiedestücken mit Hohlräumen beim gratlosen Präzisionsschmieden im Bereich der Stirnfläche der Umformstempel Restmaterial – der so genannte Spiegel. Dieser muss in einem zusätzlichen Lochprozess entfernt werden. Durch die Integration der Lochoperation in den Präzisionsschmiedeprozess erhöht sich die Druckberührzeit zwischen Werkstück und Werkzeug.

Stempel verschleißen beim kombinierten Umformen und Lochen schneller

Im Gegensatz zum konventionellen Lochen sind beim kombinierten Umformen und Lochen die Stempel nicht nur an der Stirnseite mit dem heißen Werkstück in Kontakt, sondern auch an der Mantelfläche. Die Stempel wie auch die Gesenke sind hierbei einem hohen Gesenkinnendruck ausgesetzt, der die Aufschweißneigung und damit den Verschleiß begünstigt.

Die Integration der Lochoperation in den Präzisionsschmiedeprozess verkürzt die Prozesskette beim Schmieden von Bauteilen mit Hohlräumen und erhöht damit die Wirtschaftlichkeit. Im Rahmen eines am IPH durchgeführten Forschungsprojektes („Untersuchungen zum kombinierten Umformen und Lochen“) wurde das kombinierte Verfahren, unter Variation ausgewählter Schmiedeparameter und Analyse von deren Einflüssen auf die Bauteilqualität, untersucht.

Werkzeugprinzip und Prozessschritt

Für das durchgeführte Projekt wurde ein neues Werkzeugkonzept mit einer speziell an den kombinierten Prozess angepassten Wirkungsweise entwickelt und erprobt. Nach dem Schließvorgang der Gesenkhälften wird der Oberstempel in den Gravurhohlraum eingefahren und verdrängt dabei Material aus der Mitte des Schmiederohteils bis zur vollständigen Gravurfüllung. Federelemente halten dabei die Gesenkhälften gegen den steigenden Gravurinnendruck zusammen.

Um einen zu starken Werkzeugverschleiß infolge des Stauchens und Breitens des in der Gravur eingeklemmten Spiegels während des Lochens zu umgehen, wurde für den Unterstempel eine bedarfsgerechte Freischaltvorrichtung in Form einer Abschervorrichtung konzipiert. Nach Abschluss der Umformung steigt der Innendruck durch die fortlaufende Bewegung des Oberstempels rapide an.

Der Freischaltmechanismus gibt den Unterstempel nach unten frei, indem die Abscherstifte der Vorrichtung abgeschert werden, wenn die auf den Unterstempel wirkende Kraft einen eingestellten Wert übersteigt. Der Spiegel wird durch den Oberstempel samt Unterstempel so weit nach unten gedrückt, bis das Werkstück vollständig gelocht ist. Abschließend wird der Oberstempel aus dem Werkstück zurückgezogen.

Die beiden Gravurhälften werden geöffnet und das gelochte Schmiedestück sowie der Spiegel können dem Werkzeug entnommen werden. Die Versuche zum kombinierten Warmlochverfahren wurden anhand einer einfachen Rotationsgeometrie durchgeführt.

Versuche benötigten unterschiedliche Parameter

Bei den bisher durchgeführten experimentellen Untersuchungen wurden die Auswirkungen von Werkstückwerkstoffen, variierenden Einsatzmassen, Werkzeugbeschichtungen und Schmiedetemperaturen auf die Bauteilqualität, die Abmessungen, die Oberflächengüte, den Faserverlauf, die Gefügeausbildung und die Härte untersucht. Für die Gesenke wurde der Werkstoff 1.2365 unbeschichtet und mit TiB2-Beschichtung verwendet. Bei dem Bauteil kamen die Werkstoffe 16MnCr5 und 38MnVS6 zum Einsatz.

Die Versuche wurden bei 1150, 1200 und 1250 °C durchgeführt. Durch den Einsatz des Stoffflusssimulationsprogramms Forge3 wurde die Einsatzmasse bestimmt und der Mittelwert auf 100% festgelegt. Danach wurden die drei Einsatzmassen mit 94, 100 und mit 106% in den Versuchen verwendet.

Die Auswertung der Versuchsreihen hat zu folgenden Ergebnissen geführt:

-Die Einsatzmasse übt einen Einfluss auf die betrachteten Qualitätsmerkmale aus. Hinsichtlich der Durchmesser, der Zylinderformtoleranzen und der Rundheitstoleranzen unterscheiden sich die Bauteile bei 106 und 100% Einsatzmasse kaum voneinander. Jedoch fallen bei 94% Einsatzmasse die Toleranzbereiche deutlich größer aus und übersteigen die Werte der anderen beiden Versuchsreihen zum Teil um das Fünffache.

-In Bezug auf die Rauheit wurden bei 100% Einsatzmasse die besten Oberflächenqualitäten beobachtet. Bei geringerer Einsatzmasse (94%) bildete sich nur beim Werkstoff 38MnVS6 ein feineres Gefüge aus. Eine Veränderung der Härte konnte in Abhängigkeit von der Einsatzmasse nur beim Werkstoff 16MnCr5 festgestellt werden.

Die Werkzeugbeschichtung bestimmt die Qualität mit

Die Werkzeugbeschichtung übt einen positiven Einfluss auf die Qualitätsmerkmale Durchmesser und Zylindrizität aus. Ein Einfluss auf die Qualitätsmerkmale Abmessung und Oberflächengüte konnte durch die unterschiedlichen Werkstückwerkstoffe nicht beobachtet werden.

Bei allen Versuchen zeigte sich, dass die Durchmesser auf mittlerer Höhe der Bohrung größer ausfallen als an den Bohrungsenden. Vor allem die geometrische Genauigkeit im unteren Bohrungsbereich – dem Scherbereich des Spiegels – fällt deutlich schlechter aus.

Ein signifikanter Einfluss der Schmiedetemperatur auf die Qualitätsmerkmale Rauheit, Zylindrizität und Durchmesser konnte nicht festgestellt werden.

Kombinierten Umformen und Lochen grundsätzlich machbar

Durch das abgeschlossene Projekt konnte die grundlegende Machbarkeit des kombinierten Umformens und Lochens anhand eines einfachen rotationssymmetrischen Bauteils nachgewiesen werden. Dabei hat sich die entwickelte Abschervorrichtung bewährt.

Allerdings blieb bei den bisherigen Untersuchungen offen, welche Ausmaße die thermischen Effekte und Werkzeugdehnungen auf das Werkstück haben. Hierfür sind weitere Simulationen zur Erfassung des Abkühlverhaltens und der Werkzeugdeformationen nötig. Weiterhin sind die Beeinflussungen bei Verwendung komplexerer Geometrien – wie beispielsweise einer Langteilgeometrie – auf den integrierten Lochprozess zu untersuchen. Daher sollen in den weiterführenden Untersuchungen zusätzliche Randbedingungen des Prozesses verändert und deren Auswirkungen auf die Qualitätsmerkmale untersucht werden.

Mit FEM die Druckverhältnisse am Stempel untersucht

Dazu gehören vor allem die Auswirkungen der veränderten Geometrien auf das Bauteil wie auch auf das Werkzeug. Dies wird durch die Verwendung einer beispielhaften Langteilgeometrie anhand eines Gelenkkopfes sowie durch den Einsatz unterschiedlicher Formen des Umform-/Lochstempels realisiert. Mittels FEM-Analyse (Finite-Elemente-Methode) soll untersucht werden, wie sich die verschiedenen Druckverhältnisse am Stempel auf die Qualität der Bohrung und des gelochten Bereichs auswirken.

In den praktischen Versuchen sollen die Ergebnisse der theoretischen Untersuchungen mit den Messdaten aus den Versuchen abgeglichen und ausgewertet werden. Durch die gewonnenen Ergebnisse soll den Schmiedeunternehmen die Möglichkeit gegeben werden, die Prozesskette durch das entwickelte kombinierte Verfahren zu verkürzen und somit die Wirtschaftlichkeit der Prozesse zu steigern. Ferner wird hiermit die Übertragung auf ein breites Bauteileportfolio möglich.

Dank gilt an dieser Stelle der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) die mit ihrer finanziellen Unterstützung die Durchführung der Forschungsvorhaben „Untersuchungen zum kombinierten Umformen und Lochen“ (HU 1002/2-1 und BE 1691/77-3) erst möglich gemacht hat.

Dipl.-Wirtsch.-Ing. Karsten Müller ist Projektingenieur der Abteilung Prozesstechnik am Institut für integrierte Produktion (IPH) in Hannover, Dipl.-Ing. (FH) Judith Kerkeling ist Projektingenieurin am IPH und Dipl.-Oec. Rouven Nickel ist Geschäftsführer des IPH.

Media Contact

Karsten Müller, Judith Kerkeling MM MaschinenMarkt

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