Digital perfektioniertes Fügen im Karosseriebau

Am Standort Ellesmere Port von Vauxhall Motors, benannt nach der britischen Traditionsmarke, bauen 2500 Beschäftigte im Zweischichtbetrieb jährlich bis zu 130 000 Opel-Fahrzeuge. 23 bis 24 Stunden dauert es, bis ein fertiges Fahrzeug die Linie verlässt. Pete Roberts, leitender Schweißingenieur im Karosseriebau, spricht stolz von der „effizientesten westeuropäischen Karosserie-Montagelinie von GM“. Ray Price, Technical Manager im Body Shop, ergänzt: „Unser Kompetenzfeld ist die Montage der Karosserie hauptsächlich aus verzinkten Stahlblechteilen und zum Teil auch aus hochfestem Trip-Stahlblech.“

Thermisches Fügen spielt dabei die Hauptrolle. Das Erhöhen von Qualität und Produktivität ist ständige Aufgabe. Pete Roberts stellt eine der typischen Aufgaben vor, die beim Astra-Van Caravan im hinteren Karosseriebereich zu erfüllen sind: „Zu fügen sind 0,8 mm dicke Bleche aus verzinktem Stahl mit hochfestem Trip-Stahl. Die übliche Methode des Punktschweißens entfällt hier, denn die Spaltmaße zwischen den überlappenden Blechteilen oder zwischen Blechen mit großen Radien sind zu groß beziehungsweise der hohe Elektrodenverschleiß ist undiskutabel.“

Die Füge-Experten wählten zunächst eine Lichtbogen-Schweißlösung. Das brachte jedoch unzählige Spritzer und als weitere unerwünschte Nebenwirkung erhöhten Materialverzug infolge des hohen Wärmeeintrags – mit dem Ergebnis noch breiterer Spalten. Außerdem war die Zinkschicht partiell verdampft und damit der Korrosionsschutz um die geschweißten Stellen herum aufgehoben. Weiterer Zeitverlust: Fast in jeder Schicht stoppte mindestens einmal der Fertigungsfluss, verursacht durch Unregelmäßigkeiten bei den Brennerdüsen und der Drahtzufuhr.

Die Konsequenz daraus hieß bei Vauxhall: Innerhalb einer Fertigungslinie war eine Fachkraft allein für das Prüfen der Teile zum Feststellen der Formabweichung und für die entsprechende Nacharbeit inklusive Beseitigen der Spritzer erforderlich. Das bedeutete 50 000 Euro pro Schicht jährlich an Personalkosten und im Zweischichtbetrieb folglich das Doppelte.

Lötverbindung überbrückt breiten Spalt

Im Opel-Werk Bochum des GM-Verbundes sah Pete Roberts den Lösungsansatz für ein ähnliches Problem. Die dortigen Kollegen überbrücken außergewöhnlich große Spaltmaße im Bodenbereich der Karosserien von Opel Astra, Hatchback oder Zafira mittels CMT-Löten. Sie schonen dabei die Verzinkung, denn der „kältere“ Prozess verursacht weniger Materialverzug bei dennoch ausreichend inniger Fügeverbindung. Außerdem vermeiden die Anwender damit die Spritzerbildung nahezu vollständig.

Die Nacharbeit mit Werkzeug auf der Metall-oberfläche entfällt — ein Putztuch genügt. Wesentlicher Nutzen bei den Bochumern ist, dass sie dank der innovativen Fügetechnik ihre Taktzeit von 50 auf 40 s reduziert haben und den zuvor handarbeitsintensiven Fertigungsschritt komplett in die automatisierte Prozesskette integrieren konnten. „Den Lösungsansatz mit CMT, den die deutschen Kollegen gefunden hatten, haben wir für unseren Anwendungsfall am Boden- und Seitenblech der Fahrzeuge übernommen, die Applikation angepasst und die Lösung weiterentwickelt“, berichtet Pete Roberts. Mit Puls-Mix-Löten per Roboter überbrückt man bei Opel die relativ breiten Spalte und erreicht eine genügend feste Verbindung. Puls-Mix ist eine Variante der beiden Basisverfahren CMT und Impulslichtbogen.

Puls-Mix-Dank Löten entfällt aufwändige Nacharbeit

Puls-Mix-Löten beseitigt bei Vauxhall gleich mehrere Probleme. Erstens wird die aufwändige Nacharbeit und der damit verbundene hohe Aufwand an Zeit und Personal eingespart. Zweitens werden die Ausfälle, die sich zuvor infolge der Unterbrechung der Drahtförderung ergaben, eliminiert. Und die Brennerdüsen, früher hoch verschleißbelastet mit dem Austausch von bis zu zwei Stück pro Schicht, arbeiten bereits eineinhalb Jahre im Zweischichtbetrieb.

Drittens sparen die Techniker ganze Teile ihrer Produktionsanlagen und den dafür benötigten Platz ein. Die Fertigungsinsel, die zuvor einzig für die umfangreichen Arbeiten des Prüfens und Richtens reserviert war, ist entfallen. Das trifft auch auf die zum Teil aufwändigen Vorrichtungen zu, die früher zum Schutz empfindlicher Partien wie Gewindebohrungen gegen Schweißspritzer nötig waren. Zum Beispiel mussten insbesondere die Gewindebohrungen im Bereich der Fügestellen sorgfältig abgedeckt werden, um ein Anhaften der umherfliegenden flüssigen Metallpartikel zu verhindern.

Jetzt sparen die Anwender allein durch den Wegfall der Schutzabdeckung volle 4 s pro Taktzyklus. „Wir haben alle Prozessvorteile aus dem automatisierten Einsatz der vier Stromquellen TPS 3200 CMT zum Puls-Mix-Löten im Boden- und Seitenbereich der Karosserie kumuliert. Sie ergeben deutlich über 1000% Steigerung des MTBF (Meantime between Failure) im Vergleich zur vorherigen Kurzlichtbogen-Anwendung“, rechnet der Technikmanager Ray Price vor. Idealerweise verlängert sich die durchschnittliche Zeit zwischen zwei ausfallbedingten Unterbrechungen sogar auf das bis zu Zwanzigfache. Denn die Stillstände infolge Störung sanken von zwei pro Schicht auf eine pro (zweischichtiger) Arbeitswoche.

Beim Löten Trendsetter in der Automobilbranche

GM in Bochum und Vauxhall avanciert durch seine Lösung des Lötens an der Karosserie zum Trendsetter in der Automobilbranche. Das Löten ersetzt das übliche Punkt- oder Lichtbogenschweißen dort, wo bisher technische oder wirtschaftliche Engpässe auftraten, zum Beispiel wenn eine höhere Nahtfestigkeit erforderlich ist oder Nacharbeit entfallen soll. Es ermöglicht außerdem ein sicheres Fügen von Blechen unterschiedlicher Stahlsorten. Die Voraussetzung für die ausreichend innige Verbindung schafft die CMT-Technik beim Puls-Mix-Löten mit der perfekten Prozessregelung.

Eine weitere Applikation fanden die Füge-Experten von Vauxhall gleichfalls beim GM-Partner in Bochum, wo ein bis 3 mm großer keilförmiger Spalt zwischen Karosserie und Türscharnier-Schenkel mit dem CMT-Schweißen überbrückt wird. Dort eine feste MAG-Verbindung zu schaffen war zuvor eine Aufgabe für perfekte Handschweißer. Denn nicht allein der Spalt stellt eine besondere Schwierigkeit dar, sondern auch die Differenz zwischen den Blechdicken: Das 0,8 mm dicke Material der Karosserie ist mit dem 6 mm dicken Blech des Türscharnierschenkels zu verbinden. Mit dem CMT-Prozess wird dank des reduzierten Wärmeeintrages weitgehend der Materialverzug und damit das richtende Nachbearbeiten vermieden. Das Wesentliche: Der Arbeitsschritt des Fügens von Scharnierschenkeln an die Fahrzeugtüren wurde automatisiert und prozesssicher gemacht. Jetzt übernehmen Roboter die diffizile Arbeit.

In Ellesmere Port hatte sich gleichfalls ein Produktivitäts-Engpass an der Tür gebildet – auch wenn die technischen Details unterschiedlich sind. Die Fachleute um Pete Roberts waren zunächst in üblicher Weise dagegen vorgegangen: Handschweißen, später MIG-Schweißen per Roboter. Die Drahtelektrode mit 0,8 mm Durchmesser bildete unter dem Argon-CO2-Gasgemisch zwar eine ausreichend feste Naht, jedoch sprühten Spritzer und blieben im optisch exponierten Bereich der Tür haften. Diese wegzuschleifen ist aufwändig und teuer. Vor allem aber bremste diese Verfahrensweise den Takt aus: Nur vier der acht an beiden Türscharnierschenkeln zu schweißenden Nähte schafften die Roboter innerhalb des Zyklus.

Am Nutzen der Bochumer Lösung partizipiert

So lag es nahe, vom Nutzen der Bochumer Lösung zu partizipieren. Fast zeitgleich mit den Kollegen vom Opel-Werk applizierten sie die Systeme Trans-Puls Synergic CMT in ihrer Fertigungslinie. Die Bedingungen jedoch unterscheiden sich in einigen Punkten von denen in Bochum, so dass mehrere Zusatzaufgaben zu bearbeiten waren. Das 0,8 mm dünne Blech wird bei Vauxhall aus Gründen der Festigkeit mit einem 1,2 mm dicken Blechstück hinterfüttert. Aus konstruktiven Gründen reicht es jedoch nur über einen Teil der Türsäulenbreite. Das im Inneren der Türsäule angeordnete Versteifungsblech wird vorher über Punktschweißen fixiert. Mit 4 bis 6 mm hat der Türscharnierschenkel eine keilähnliche Form. An seinem Ende ist der zu füllende, gleichfalls keilförmige Spalt bis 3 mm breit.

Bei der Vauxhall-Lösung fixieren Roboter die Tür mit dem positionierten Scharnier an der Karosserie, während ein Schweißroboter spritzerfrei die Nähte setzt. Sechs Nähte statt vier sind es während der Taktzeit. Für die Naht an der Türinnenseite, die für den Roboter nicht zugängig ist, hat der Schweißer anschließend ausreichend Zeit. Vor allem, weil sie eine Fallposition einnimmt und die vorher schwierig zu schweißende dritte Naht in Überkopfposition bereits der Roboter geschweißt hat. Dieser Prozess gleicht auch die fertigungsbedingten Toleranzen der Karosserie- und Türteile aus.

Drahtkosten spürbar gesenkt

Den Engpass an der Tür aufzulösen, ist aber nur einer der Vorteile. „Die Kosten für Draht und ausschließlich CO2 statt zusätzlich Argon haben wir deutlich gesenkt. Denn statt 0,8 mm Durchmesser verwenden wir jetzt Draht mit 1,2 mm. Der ist preisgünstiger und trägt wegen der besseren Abschmelzleistung außerdem zu unserer Zeitersparnis bei. Das reine CO2-Schweißgas kostet uns nur die Hälfte von dem, was wir vorher für das Argon-Gemisch zu zahlen hatten. Allein wegen des entfallenden teuren Argons bleiben uns jährlich mehr als 20 000 Pfund erspart“, rechnet Pete Roberts vor.

Noch mehr fällt der gesparte Personalaufwand ins Gewicht: Nur noch ein Werker statt vorher zwei arbeitet an dieser Stelle der Linie. Ermüdende Überkopf-Arbeit entfällt; zu leisten sind lediglich noch die fehlende vierte Naht, die Qualitätskontrolle und gegebenenfalls geringfügige Nacharbeit. Der Wert des ROI (Return on Investment), bezogen auf den Investitionsaufwand für die CMT-Systeme, liegt weit unter sechs Monaten – weniger als die Hälfte dessen, was die GM-Manager konzernweit für Ersatz-Investitionen vorgeben.

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Gerd Trommer MM MaschinenMarkt

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