Clever gehoben

Die dezentrale Automatisierung autarker Maschinenmodule bietet dem Maschinen- und Anlagenbauer wirtschaftliche Vorteile. Das Beispiel von Türenhandling-Geräten im BMW-Werk Dingolfing zeigt, wie der Motion Controller Movi-PLC von SEW komplexe Bahnbewegungen steuert.

Die niederbayerische Kreisstadt Dingolfing ist wichtiger Fertigungsstandort der BMW Group. Hier werden im Erdgeschoss eines der Produktionsgebäude die Türen für Modelle der BMW 5er Reihe komplett montiert, in ein Transportgehänge gestellt und mit Hilfe einer Türenhubstation zum Einbau ins Obergeschoss transportiert. Dort fährt ein Türenhandlinggerät (THG) in die Hubstation, greift die vormontierte Tür mittels Vakuumsauger an der Fensterscheibe und transportiert sie zum Einbau an das Montageband. Mehrere Lieferanten trugen zum Erfolg dieser Lösung bei. Generalunternehmer war die Firma Konecranes Lifting Systems (ehemals ACS Technologies) aus Thalgau bei Salzburg; sie zeichnete verantwortlich für die mechanische Konstruktion, den Bau der Anlage sowie die Projektkoordinierung.

Die Schiller-Gruppe in Osterhofen (Bayrischer Wald) erstellte das Konzept und die Software für die übergeordnete Anlagenperipherie und war für die Hardwareplanung, den Schaltschrankbau sowie die Elektromontage zuständig. SEW-Eurodrive in Bruchsal lieferte die Antriebs-, Steuerungs- und Sicherheitstechnik und integrierte zusätzlich auf seiner Motion Control-Plattform Movi-PLC advanced die Kinematiksteuerung sowie die gesamte Verwaltung der Karossenpositionen.

Präzise Positionierung
Die elektro-pneumatische Hubsäule und der Greifarm sind das mechanische Herzstück der Anlage. Sämtliche Bewegungen in der vertikalen Z-Richtung werden von der Hubsäule durchgeführt, wobei ihr zwei unterschiedliche Betriebsmodi zur Verfügung stehen. Bei der Entnahme der Tür aus dem Gehänge und ihre Zustellung zur Karosse kommt es auf absolute Positioniergenauigkeit an. Das wird durch den elektro-pneumatischen Betrieb der Hubsäule realisiert, bei dem die Hauptlast von der Pneumatik getragen und die exakte Positionierung durch einen Servoantrieb ermöglicht wird.
Für das Einhängen der Tür an der Karosse wird am Manipulator die sogenannte Schwimmung aktiviert, wobei die Hubsäule in den „Balancer“-Modus wechselt. Hierbei arbeitet die Säule rein pneumatisch und ermöglicht es dem Werker, die Tür mit geringer Handkraft um einige Zentimeter in den drei Hallenkoordinaten der Schubplatte (X-, Y- und Z-Richtung) zu bewegen. Durch den geringen Platz zwischen der zu verbauenden Tür und der Karosse war es erforderlich, die Abmessungen des Greifers so gering wie möglich zu halten.

Die gesamte Handlingeinheit ist an einer Linearführung über dem Montagebereich aufgehängt und wird durch einen synchronen Servomotor CM71L von SEW angetrieben. Über ein Servogetriebe BSKF wird das Drehmoment gleichzeitig auf beide Antriebsstränge des Handlinggeräts übertragen. So kann das THG in X-Richtung (entlang der Schubplatte) präzise verfahren und verkantet nicht. Die Verfahreinheit erfüllt mehrere Funktionen: Grundsätzlich erweitert diese Linearachse den Arbeitsraum des Handlinggeräts so, als ob ein Sechs-Achs-Roboter auf einer weiteren, siebten Achse steht und entlang dieser Achse horizontal positioniert wird.

Bei der Wahl des Installationskonzepts setzten die Konstrukteure von Konecranes und die Hardwareplaner von Schiller auf einen mitfahrenden Schaltschrank, der die Zahl der bewegten Kabel erheblich reduziert. Um die erforderliche Technik auf dem vorhandenen Platz unterzubringen, fiel die Wahl auf das kompakte Mehrachs-Servoverstärkersystem Moviaxis von SEW.

Komplizierte Bewegungen
Die an der Hubstation herrschenden Platzverhältnisse ermöglichen nur enge und verwinkelte Bewegungen, die bei einer manuellen Entnahme der Türen vom Werker eine hohe Konzentration erfordern würde. Daher kam hierfür eine Robotiklösung mit Servoantrieben in Betracht. Zwar wäre eine Einzelachsbewegung der Servoantriebe die einfachste Lösung. Jedoch hätte die sequenzielle Kombination dieser Bewegungen aufgrund der vorherrschenden Kollisionsbedingungen die vom Automobilhersteller geforderte Taktzeit nicht erfüllt. Dieses Problem löste SEW mit einer Bahnsteuerung. Dabei fungiert der Motion Controller Movi-PLC als „Hirn“ des Handlinggeräts. Weil das Softwaremodul „AxisGroupControl Kinematics“ eine Auswahl für die im Handlingbereich gebräuchlichen Roboterkinematiken beinhaltet, mussten lediglich die konstruktiven Mechanikdaten des Handlinggeräts über die Konfiguration des Robotikmoduls eingegeben werden.
Die Standardfunktionalität des Softwaremoduls wird über die Profinet-Schnittstelle der Movi-PLC mittels Prozessdaten der überlagerten SPS zur Verfügung gestellt, die darüber die Funktion des Handlinggeräts steuert.

Für den zuverlässigen und sicheren Anlagenbetrieb bei der Türenmontage sorgen verschiedene technische Einrichtungen: Mehrere Achsen des Türenhandlinggeräts werden über Drehgeber abgefragt und ihre Signale durch die Sicherheitsmodule der Baureihe Movisafe UCS B weiterverarbeitet.

SEW entwickelte diese universell einsetzbaren Sicherheitsmodule für höchste Anforderungen an Personen- und Anlagenschutz. Beim THG sorgen sie für die sichere Überwachung der achsnahen Antriebsfunktion gemäß DIN EN 61800-5-2 und ermöglichen ein Arbeiten im Gefahrenbereich. Die Ausgangssignale der Sicherheitsmodule werden an eine Sicherheits-SPS S7-317F weitergeleitet. Im Fehlerfall schaltet sie die Servoumrichter sicherheitsgerichtet ab. Hierbei wird der Antrieb während seiner Bewegung mittels parametriertem Schnellstop bahntreu angehalten und nach einer Verzögerungszeit der Sichere Halt aktiviert. Auf diese Weise halten die Achsen nicht irgendwo im Raum.

Die Türenhandlinganlage ist seit einem Jahr in Betrieb. Für die Demontage der alten und den Aufbau der neuen Anlage waren lediglich drei Wochen Zeit – gut, dass die Spezialisten von SEW die Kinematik vor der Inbetriebnahme in einem 3D-Simulationstool originalgetreu dargestellt und simuliert hatten. Die Lebensdauer der Türenhandlinggeräte ist für zwei Produktzyklen ausgelegt – das sind 14 Jahre.

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