Lichtwellenleiter-Ethernet sorgt für komfortable Prozessautomation

Verdrillte Kupferadern ziehen beim Ethernet-Aufbau in Prozessanlagen immer öfter den Kürzeren – im ziemlich wörtlichen Sinne: Selbst mit hochwertig geschirmten CAT-7-Kabeln können nur überschaubare Netze mit maximalen Distanzen bis rund 100 m aufgebaut werden. Solche Leitungslängen sind für Anwendungen in der Verfahrenstechnik häufig viel zu kurz.

Hinzu kommt, dass selbst bei relativ kurzen Entfernungen Zuverlässigkeit und Verfügbarkeit eines TP-Kabelnetzes auf ein funktionierendes Erdungs- und Schirmungskonzept, sprich ein ausgereiftes, nicht eben kostengünstiges EMV-Design des Gesamtsystems angewiesen sind. Elektromagnetische Störungen sind gerade bei nachgerüsteten Netzen in komplexen Anlagen, in denen viele Umrichter und Motoren arbeiten, eine gewichtige Problemquelle.

Von der EMV-Problematik sind Glas- oder Kunststofffasern hingegen prinzipbedingt überhaupt nicht betroffen. In optischen Netzen sind zudem Leitungslängen bis 2000 m oder sogar mehr ohne weiteres möglich.

Diese Vorteile machen es Anwendern sehr viel leichter, eine durchgängige Netzwerkarchitektur vom Feld über die Zellebene bis hin zu Leit- und ERP-Systemen zu etablieren, um so die Vorteile der Ethernet-Vernetzung auch voll ausschöpfen zu können.

Ein Musterbeispiel dafür ist die Anbindung moderner HMI-Systeme mit großen, hochauflösenden Bildschirmen im Ex-Bereich, die via Ethernet als Remote- Desktop-Terminals oder Thin Clients viel flexiblere und leistungsfähigere Funktionen bieten können, als dies in konventionellen Automatisierungslösungen möglich wäre.

Lichtwellenleitertechnik auch für Ethernet im Ex-Bereich

Selbst Anwendungen wie Soft-SPS oder Scada lassen sich in einem durchgängigen optischen Netzwerk komfortabel nutzen, weil das schnelle Ethernet eine optimale Einbindung in die übrige IT-Infrastruktur des Standorts ermöglicht. Daneben kann aber zum Beispiel auch Remote-I/O-Technik im Ex-Bereich von Vorzügen der Ethernet-Technik profitieren, weil große Datenmengen möglichst schnell über große Entfernungen übertragen werden – sofern dafür gesorgt ist, dass im Lichtwellenleiter-Netz keine Zündung möglich ist.

Bei einem Kabelschaden oder einem sich öffnenden Steckverbinder kann durch optische Strahlung eine Explosion ausgelöst werden. In der Praxis stellt das größte Risiko durch Licht jede Art dadurch verursachter unzulässiger Erwärmung dar: Sowohl Partikel in der Atmosphäre als auch die Oberflächen von Geräten im Ex-Bereich können prinzipiell jegliche optische Strahlung absorbieren.

Spezielle Ethernet-Leitungen in optisch eigensicherer Schutzart

Bei optischen Signalen, die durch Gas- oder Staubatmosphären geführt werden, wird bei Leitungen in optisch eigensicherer Schutzart (Ex op is) deshalb die Lichtenergie limitiert, die maximal austreten kann – zum einen im normalen Betrieb, aber vor allem im Fehlerfall, zum Beispiel bei Übersteuerung eines Senders. So wird sichergestellt, dass bei einem Kabelbruch weder eine bestimmte Bestrahlungsstärke, das heißt ein Energiewert pro Fläche, überschritten wird, noch eine – unabhängig von der Streuung – bereits absolut zu hohe Lichtenergie freigesetzt wird.

Dies erfordert zum Beispiel speziell gebaute und zertifizierte Sender und Empfänger. Kritisch ist bei vielen Anwendungen zum Beispiel, dass typische Switches mit optischen Parts bereits nahe oder sogar oberhalb der zulässigen maximalen Lichtleistung senden – ganz zu schweigen von der austretenden Lichtleistung im Fehlerfall.

Für Installationen in Zone 1 ist eine Prüfbescheinigung für Switches und Endgeräte unabdingbar. Je nach Explosionsgruppe und Temperaturklasse der Atmosphäre in einer Anwendung gelten unterschiedliche Grenzwerte für die Lichtenergie bzw. Bestrahlungsstärke. Konkret liegen diese bei 5 oder 20 mW/mm² respektive – für den streuungsunabhängigen Absolutwert – bei 15, 35 oder 150 mW bei Dauerbestrahlung. Für gepulste Strahlung gelten besondere Regeln, die sich in Kapitel 5.2.3 der IEC/EN 60079-28 finden.

Eigensicherheit schafft mehr Ethernet-Komfort

Wie ein Glasfasernetz beschaffen sein muss, um eine Zündung explosionsfähiger Atmosphären zu verhindern, ist in der relativ neuen Norm IEC/EN 60079-28 beschrieben („Explosive atmospheres – Part 28: Protection of equipment and transmission systems using optical radiation“). Außer eigensicherer optischer Strahlung (Ex op is) ist alternativ geschützte optische Strahlung (Ex op pr) zulässig, und drittens sind Verriegelungsvorkehrungen eine Option, die die optische Strahlung im Fehlerfall zuverlässig unterbrechen (Ex op sh).

Besonders Kabel in der Schutzart Ex op is, also die eigensichere Variante, stellen eine ideale Lösung zur Vernetzung dar. Ex-op-is-Systeme sind nicht nur schnell, unempfindlich gegen elektromagnetische Einstrahlungen und können große Entfernungen überbrücken, sondern unterstützen zusätzlich das Hot Swapping von Geräten in der Zone 1.

Alternativen zu eigensicher ausgelegter Technik verfügbar

Sollten kritische Parameter einer Anwendung jedoch eigensicher ausgelegte Technik ausschließen, muss auf Alternativen ausgewichen werden. Geschützte optische Strahlung (Ex op pr) macht dann sogar Leitungslängen bis 4000 m möglich, bietet allerdings keine Hot-Swap-Fähigkeit. Produkte in der Schutzart Ex op sh wiederum, die eine sichere Störfallerkennung mit Unterbrechung und Sperrung des optischen Signals gewährleisten, sind bis dato weltweit noch nicht am Markt verfügbar.

Aktuelle Komponenten machen in einem eigensicheren Lichtwellenleiter-Netz eine Reihe entscheidender Leistungs-, Sicherheits- und Komfortmerkmale der Feldbus-Technologie zugänglich. Der Lichtwellenleiter-Trennübertrager ISpac 9186 zum Beispiel, der in Ausführungen sowohl für Zone 1 als auch für Zone 2 und für den sicheren Bereich erhältlich ist, ermöglicht außer Punkt-zu-Punkt- oder Linien-Vernetzung bei Bedarf auch den Aufbau redundanter Ringstrukturen für Profibus DP oder Modbus RTU.

Drohende Ethernet-Ausfälle sind über Leuchtband direkt ablesbar

Durch eigensichere Auslegung sowohl der optischen als auch der elektrischen Schnittstellen der Geräte können alle Leitungen im laufenden Anlagenbetrieb vor Ort installiert, gezogen, gewechselt und wieder gesteckt werden. Ein weiteres, sofort augenfälliges Ausstattungsmerkmal sorgt für eine komfortable Diagnose: Ein LED-Leuchtband an der Front zeigt an jedem Trennübertrager permanent den Pegel des optischen Signals an.

Drohende Ausfälle lassen sich so schon im Vorfeld direkt am betreffenden Gerät erkennen („predictive maintenance“). Fällt die Signalstärke in einen kritischen Bereich ab, wird dies zudem über einen potenzialfreien Kontakt gemeldet. Der 9186 wird zum Beispiel zum optisch eigensicheren Betrieb des Remote I/O-System IS1 am Profibus DP in der Zone 1 verwendet.

Mit der neuen Ethernet-Ausführung des Remote I/O-Systems IS1, betritt optisch eigensicheres Ethernet mit Modbus TCP den Ex-Bereich in der Verfahrenstechnik. Zwar fehlen dem Modbus TCP-Protokoll standardisierte Mechanismen zur Konfiguration, Parametrierung und Diagnose, ein von R. Stahl entwickelter DTM macht IS1-Systeme aber entsprechend für Standard-Softwarepakete wie Pactware, Fieldcare, Fieldmate und andere zugänglich.

Lichtwellenleiter-Ethernet für alle Anwendungen der Verfahrenstechnik nutzbar

Modbus TCP wird zudem von fast allen Leitsystemen, etwa Emerson Delta V oder Yokogawa Centum CS, unterstützt. Wie bereits bei Profibus DP und Modbus RTU, kann auch die Ethernet-angepasste IS1-Variante, die aus zwei separaten Baugruppen besteht, im Betrieb unter Spannung in der Zone 1 ausgetauscht werden. IS1 für Ethernet kann sowohl an einem redundanten Ethernet als auch an einem einfachen Ethernet mit Versorgungsredundanz der CPU-Baugruppe betrieben werden.

Beim Ausfall einer der Anbindungen kann das System binnen 200 ms umschalten – weitaus schneller, als dies mit Standard-Ethernet-Mechanismen wie Rapid Spanning Tree möglich wäre. Die neue Lösung ist daher für nahezu alle Anwendungen der Verfahrenstechnik einsetzbar.

Hot Swapping erleichtert Eingriffe oder Umbauten in Anlagen

Die bequeme Handhabung dank Hot Swapping ist gerade dann wichtig, wenn häufige Eingriffe oder Umbauten in eine Anlage erforderlich sind, Anlagenstillstände enorme Kosten verursachen oder relativ kurze Prüf- und Wartungsintervalle vorgeschrieben sind. Letzteres ist immer häufiger der Fall, weil viele Anlagen neben Explosionsschutzmerkmalen auch Anforderungen der Funktionalen Sicherheit gemäß IEC 61508/61511 erfüllen müssen.

Während im Explosionsschutz bis zu dreijährige Wartungsintervalle verlangt werden, können Bestimmungen zur Funktionalen Sicherheit oft deutlich kürzere Abstände zwischen Überprüfungen vorschreiben. In vielen Fällen gilt beispielsweise ein jährlicher Turnus für den Test der Sicherheitskreise (Tproof).

Nicht von ungefähr hat sich deshalb die optische Eigensicherheit als Zündschutzart der Wahl für einen Großteil aller Industrial Ethernet-Installationen auf Glasfaser-Basis entpuppt. Die Hot-Swap-Fähigkeit, die bei optischen Netzen nur Technik in Ex op is bietet, wiegt in vielen Prozessanlagen schnell die Mehrkosten auf, die durch das etwas aufwändigere technische Design für diese Schutzart anfallen.

Dipl.-Ing. (BA) André Fritsch ist Senior Product Manager Fieldbus & Remote I/O bei der R. Stahl Schaltgeräte GmbH, in 74638 Waldenburg.

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