Laser-Scanning-Vibrometer misst kritische Größen beim Einlippenbohren

Werkzeugschwingungen stellen ein großes Problem für die Bohrungsbearbeitung dar. Adaptive Regelsysteme sollen zukünftig auftretende Werkzeugschwingungen rechtzeitig detektieren und ausregeln können. Dafür ist eine genaue Kenntnis der Schwingungseigenschaften der Werkzeugstruktur erforderlich. Im Folgenden soll aufgezeigt werden, wie die modalen Parameter von Einlippenbohrern durch eine experimentelle Modalanalyse mit Hilfe eines Laser-Scanning-Vibrometers bestimmt werden konnten.

Das bekannteste Verfahren zur schwingungstechnischen Analyse dynamischer Systeme ist die Modalanalyse. Im Rahmen der auch als Eigenschwingungsanalyse bezeichneten Methode werden die Modalparameter wie Eigenfrequenzen, Dämpfungen und Modenformen des Systems ermittelt.

Die Modalanalyse beruht dabei auf dem Grundsatz, dass jede dynamische Verformung einer Struktur als eine gewichtete Summe ihrer Modenformen darstellbar ist. Jeder Modus ist dabei durch die Schwingungsparameter einer (Sub-)Struktur mit genau einem Freiheitsgrad gegeben.

Bei Anregung einer Struktur durch eine Erregerfunktion gehen alle modalen Antworten anteilig in die gesamte Strukturbewegung ein. Durch die Summation über diese modalen Antworten lassen sich die entsprechenden Strukturantworten zu einer bestimmten Erregerfrequenz gewinnen.

Modell beschreibt Schwingungen beim Einlippenbohren

Die Kenntnis der modalen Parameter gestattet eine Beschreibung des dynamischen Systemverhaltens und ist eine wichtige Grundlage für numerische Untersuchungen zur Modellbildung. Jedes Modell beruht dabei auf vereinfachenden Annahmen und enthält somit zwangsläufig ein gewisses Maß an Unsicherheiten.

Wie sich ein schwingungsfähiges System tatsächlich verhält, kann oft nur auf Basis experimenteller Untersuchungen geklärt werden. Die experimentelle Modalanalyse ist eines der wichtigsten Messverfahren in diesem Bereich, wobei von einer Modellbetrachtung der Struktur ausgegangen wird.

Das tatsächliche dynamische Systemverhalten wird ermittelt, indem für jeden Messpunkt des Systems die Übertragungsfunktion bestimmt wird. Dabei wird die zu untersuchende Struktur mit einer geeigneten Erregerquelle angeregt und die Systemantwort für jeden Messpunkt gemessen. Die im Zeitbereich gemessenen Signale werden mit Hilfe der Fast-Fourier-Transformation in den Frequenzbereich transformiert und ergeben, jeweils auf das Referenzsignal bezogen, ein System von Übertragungsfunktionen.

Mess-Signale ermitteln Eigenfrequenz, Dämpfung und Eigenform

Daraus können die modalen Parameter Eigenfrequenz, Dämpfung und Eigenform ermittelt werden. Bei einem Bohrvorgang ist ein Frequenzbereich von maximal 5000 Hz von Bedeutung. Für die Beschreibung des dynamischen Verhaltens einer Struktur ist daher eine endliche Anzahl von Eigenschwingungen ausreichend, die für tiefere Frequenzen eine Resonanzüberhöhung in den Frequenzgängen aufweisen.

Die Laservibrometrie ist ein berührungsloses, optisches Messverfahren für mechanische Schwingungsvorgänge. Das Messprinzip basiert auf der optischen Frequenzverschiebung, die ein Laserstrahl bei der Streuung im Messpunkt einer schwingenden Struktur erfährt. Das Verfahren ist rückwirkungsfrei und erlaubt auf zahlreichen Applikationsgebieten die Anwendung auf empfindlichen Strukturen und Komponenten, wo die Objekteigenschaften und Umgebungsparameter taktile Sensorik nicht zulassen.

Insbesondere die Laser-Doppler-Vibrometrie hat sich dafür als berührungslos arbeitendes messtechnisches Verfahren zum Erfassen von Strukturschwingungen etabliert. Dabei führt die Relativbewegung zwischen Sender und Empfänger von elektromagnetischen Wellen und damit auch von Lichtwellen zu einer geschwindigkeitsabhängigen Frequenz- oder Wellenlängenänderung.

Scanning-Vibrometer erfassen flächenhafte Schwingungen

Für flächenhafte Schwingungsmessungen werden Scanning-Vibrometer eingesetzt. Bei diesem Scanning-Verfahren wird die Abtastung für viele Messpunkte auf der Objekt-oberfläche in rascher Abfolge durchgeführt.

Durch das Scannen des Laserstrahls über die Oberfläche des Objekts wird mit einer sehr hohen räumlichen Auflösung sequenziell eine Reihe von Einzelpunktmessungen generiert. Aus diesen Schwingungsdaten lassen sich entweder im Zeitbereich der simultane Bewegungsablauf der Struktur oder aus der Analyse im Frequenzbereich die Betriebsschwingungsformen für die zu untersuchenden Frequenzbänder bestimmen und visualisieren.

Sequenziell durchgeführte Messungen können unter der Voraussetzung kombiniert werden, dass der Schwingungsvorgang exakt wiederholbar ist. Dies kann durch ein Triggersignal erreicht werden, welches von einem Shaker in individuell definierten Frequenzbändern erzeugt wird.

Laser-Scanning-Vibrometer der Firma Polytec zur Schwingungsmessung eingesetzt

Im Rahmen der am IWF durchgeführten Schwingungsmessungen wurde für die Bestimmung der modalen Parameter Eigenfrequenz ω0 und Nachgiebigkeit N(ω) der Einlippenbohrer ein Laser-Scanning-Vibrometer der Firma Polytec eingesetzt. Als Messobjekte der experimentellen Modalanalyse wurden Einlippenbohrer mit Vollhartmetallkopf (Umfangsform C) und 11,76 mm Ø und 7,22 mm Ø eingesetzt. Die Bohrerschäfte und Spannhülsen (Toleranz: Ø 20 g6) bestanden aus Vergütungsstahl und die Gesamtlänge der Einlippenbohrer betrug 335 mm.

Um Biege- und Torsionsschwingungen bei der experimentellen Modalanalyse ermitteln zu können, war es zunächst erforderlich, ein geeignetes Raster zur Festlegung der Messpunkte zu definieren. Dafür wurde eine mäanderförmige Anordnung der Messpunkte gewählt, die nacheinander durch den Laserstrahl abgescannt wurden. Die jeweils direkt senkrecht in einer Reihe liegenden Messpunkte befanden sich dabei ohne Anregung in einer Ebene.

Erfolgte eine Anregung des Einlippenbohrers durch den Shaker, führte dies zu einer Auslenkung des Bohrers. Im Falle von Torsionsschwingungen kam es dabei zu einer Verdrehung des Bohrers, so dass die durch den Laserstrahl detektierten Wegänderungen der einzelnen übereinander liegenden Punkte unterschiedlich ausfallen. In der Auswertung wird dies durch farbliche Änderungen der einzelnen übereinander liegenden Messpunkte dargestellt.

Messtisch aus Stahl verhindert fremderregte Schwingungen beim Bohren

Um fremderregte Schwingungen während der experimentellen Modalanalyse zu vermeiden, wurde ein Messtisch aus Stahl mit einer sehr hohen Masse verwendet. Zunächst mussten die Hauptachsen und Schwerpunkte der Einlippenbohrer berechnet werden, damit die Anregung in Bohrerlängsrichtung direkt im Bohrkopfschwerpunkt und in Querrichtung entlang der beiden Hauptachsen erfolgen konnte.

Für die Anregung in Bohrerlängsrichtung wurden der Shaker und der Einlippenbohrer gegenüberliegend jeweils in einem Schraubstock oder Teilkopf mit Drei-Backen-Futter eingespannt. Am freien Bohrkopfende wurde eine gehärtete Anregungsspitze positioniert, die mit einem Piezo-Kraftsensor und einem Aluminiumadapter verschraubt wurde.

Unter Aufbringung einer Vorspannkraft wurde diese mit dem Shaker verbunden. Ein Controller übermittelte über einen Verstärker ein Sinussignal mit einem definierten Frequenzband an den Shaker, der seinerseits den Einlippenbohrer am Bohrkopf anregte. Der Kraftsensor gab über einen Ladungsverstärker Kraftsignale an den Controller zurück, der dann mit den vom Laser-Scanning-Vibrometer kommenden frequenzabhängigen Wegänderungssignalen die Modalparameter berechnete.

Verlauf des Nachgiebigkeitsfrequenzgangs entspricht klassischem Dreimassenschwinger

In Bild 3 ist beispielhaft der Nachgiebigkeitsfrequenzgang am Bohrerkopf für den Einlippenbohrer Ø 11,76 mm bei Anregung in die erste Hauptachsenrichtung (34°) dargestellt. Der Verlauf entspricht einem klassischen Dreimassenschwinger, was durch die Dreiteilung des Einlippenbohrers mit Bohrkopf, Schaft und Spannhülse auch zutrifft.

Deutlich sichtbar ist eine Eigenmode bei 880 Hz zu erkennen, bei der es sich um eine Biegeschwingung handelte. Eine weitere Eigenmode lag bei 2000 Hz, dabei handelte es sich um die erste Torsionseigenschwingung. Eine dritte ausgeprägte Eigenmode, wieder eine Biegeschwingung, lag bei 3300 Hz.

Zum Vergleich zeigt Bild 4 den Nachgiebigkeitsfrequenzgang am Bohrkopf desselben Einlippenbohrers bei Anregung in Bohrervorschubrichtung. Die 1. Eigenmode wurde bei 580 Hz, die 2. Eigenmode um 850 Hz gemessen. Dabei handelte es sich um Biegeschwingungen. Eine nicht so ausgeprägte Schwingungsamplitude wie bei der Anregung in die erste Hauptachsenrichtung war für den Verlauf der ersten. Torsionseigenschwingung bei 2000 Hz zu beobachten. Sehr ausgeprägt waren jedoch die Eigenmoden bei 2600, 3300 und 3860 Hz, bei denen es sich ausschließlich um Biegeeigenschwingungen handelte.

Insgesamt ist eine starke Zunahme der Nachgiebigkeiten des Einlippenbohrers für größer werdende Frequenzen zu verzeichnen. Weil die Anregungskraft durch den Shaker konstant gehalten wurde, ist dies mit einer stärkeren Bohrerauslenkung für den höherfrequenten Frequenzbereich zu erklären. Beim Einlippenbohrer liegt neben dem hohlen Schaft ein großes Längen /Durchmesser-Verhältnis vor, was die Steifigkeit des Bohrers reduziert und die Gefahr des Abknickens und starke Schwingungsamplituden begünstigt.

Nachgiebigkeitsfrequenzen auch zwischen 50 und 650 Hz

Eine ausführliche Auswertung der experimentellen Modalanalysen für jeden einzelnen Messpunkt der Einlippenbohrer zeigte für die verschiedenen Anregungen längs der und quer zur Bohrerhauptachse, dass im Frequenzbereich von 50 bis 650 Hz ebenfalls geringe Nachgiebigkeitsfrequenzen vorlagen. Eine vollständige Auflistung der gemessenen Eigenmoden und der Schwingungsart für die beiden untersuchten Einlippenbohrer-Durchmesser zeigt die Tabelle.

Anhand der Versuchsergebnisse wurde gezeigt, dass für die untersuchten Einlippenbohrer das dynamische Systemverhalten eindeutig beschrieben werden konnte. Durch die vorliegende Kenntnis der messtechnisch ermittelten Biege- und Torsionseigenschwingungen ist es zukünftig möglich, adaptive Regelsysteme zu entwickeln, die kritische Prozessschwingungen sicher ausregeln. Dabei ist insbesondere das Auftreten der identifizierten Torsionsschwingungen zu berücksichtigen, weil diese maßgeblich für eine Reduzierung der Werkzeugstandzeit und für ein mögliches Werkzeugversagen verantwortlich sind.

Biegeeigenschwingungen und Torsionsschwingungen lassen sich unterscheiden

Die Modalparameter von Einlippenbohrern können durch den Einsatz eines Laser-Scanning-Vibrometers schnell und zuverlässig gemessen werden. Die Untersuchungen machen deutlich, dass eine sichere Unterscheidung in Biegeeigenschwingungen und Torsionsschwingungen möglich ist. Dafür muss jedoch ein mäanderförmiges Messpunkteraster auf der Bohrer-oberfläche gewählt werden. Die in den Nachgiebigkeitsfrequenzgängen auftretenden Eigenfrequenzen waren für beide Anregungsrichtungen nahezu identisch.

Insgesamt ermöglicht das Laser-Scanning-Vibrometer neben einer zuverlässigen Ermittlung der Modalparameter außerdem eine Visualisierung der Schwingungsformen. Damit können mögliche Klemmvorgänge des Einlippenbohrers mit der Bohrungswand erklärt werden.

Darüber hinaus können adaptive Regelsysteme entworfen werden, die in der Lage sind, kritische Prozessschwingungen zu erkennen und sicher auszuregeln. Dafür ist jedoch die Kenntnis der während des Bohrprozesses auftretenden Prozessschwingungen erforderlich. In den nächsten Untersuchungen ist es daher das Ziel, die angeregten Eigenmoden der Einlippenbohrer zu erkennen, um so die während des Bohrens auftretenden Belastungen und Verformungen am Werkzeug abzubilden.

Dr.-Ing. Hans-Werner Hoffmeister ist Lehrbeauftragter für Fertigungstechnik am Institut für Werkzeugmaschinen und Fertigungstechnik (IWF) der TU Braunschweig; Dipl.-Wirtsch.-Ing. Jan-Dirk Glaser war bis Ende Mai wissenschaftlicher Mitarbeiter am IWF in der Abteilung Fertigungstechnik und ist jetzt Senior Fachgruppenleiter im Bereich Product Engineering bei der Alstom LHB GmbH, Salzgitter.

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