Mittel- und Kleinserien von komplexen Blech-Bauteilen kostengünstig hergestellt

Einer der Weltmarktführer in der Medizintechnik ließ ein komplexes Spezialgehäuse für Röntgenröhren aus einzelnen, miteinander im Salzbad verlöteten Elementen herstellen. Es bestand aus einem zylindrischen Grundkörper aus Aluminium mit seitlichen Ausbuchtungen, Flanschen und Bohrungen.

Das Gehäuse diente dem mechanischen Schutz der innenliegenden Röntgenröhre aus Glas, absorbierte die für den Menschen gesundheitsgefährdende Strahlung, kühlte und isolierte die Strahlenquelle. Pro Jahr wurden etwa 2500 Stück nach der konventionellen Methode hergestellt.

Ausgangsmaterialien der herkömmlichen Produktionsmethode waren rohrförmige Aluminiumhalbzeuge von etwa 150 mm Durchmesser, an die mehrere Elemente angesetzt wurden. Das Rohr musste an mehreren Stellen ausgeschnitten, die Flansche genau angepasst werden. Nach der mechanischen Bearbeitung wurden sie im Salzbad verlötet.

Aufgrund der komplex gebogenen Strukturen war es kaum zu vermeiden, dass sich einzelne Komponenten verzogen. Bei der hohen Anzahl der Fügestellen und der Kompliziertheit der dreidimensionalen Konturen waren bislang eine beträchtliche Ausschussquote und hohe Gesamtkosten die Folge. Außerdem war der Werkstoff Aluminium nur bedingt geeignet, denn Aluminium ist vergleichsweise durchlässig für Röntgenstrahlung.

Ein Experten-Team fand neue Umformlösungen

Um eine sichere Abschirmung der Strahlen zu gewährleisten, war deshalb eine aufwändige Bleiauskleidung erforderlich. Des Weiteren ist das Löten von Aluminium im Salzbad wegen der damit verbundenen Auflagen für den Umweltschutz ein erheblicher und zudem wachsender Kostenfaktor.

Um die Qualität zu steigern und die Kosten zu senken, sprach der Hersteller die Deutsche Mechatronics (DTMT) in Mechernich an, weil das Unternehmen seit Jahrzehnten über große Erfahrung mit der Konstruktion und Fertigung von Gehäusen verfügt. Als Systemlieferant nutzt das Unternehmen seine Kompetenz aus der Mechanik, der Verfahrens- und Strömungstechnik sowie der Elektrotechnik und Softwareentwicklung, um komplexe Aufgabenstellungen zu lösen.

Ein interdisziplinäres Team aus Konstrukteuren und Fertigungsspezialisten nahm die Herausforderung an und stellte alle herkömmlichen Verfahren in Frage. Ist Aluminium der richtige Werkstoff? Wie kann die Anzahl der Fügestellen reduziert werden? Muss überhaupt gelötet oder geschweißt werden? Und wie können die Kosten für die Zerspanung gesenkt und gleichzeitig das Qualitätsniveau gesteigert werden?

Ziel war es, in einer ganzheitlichen Betrachtung nicht nur eine technisch gute Lösung zu erarbeiten, sondern von vornherein die wirtschaftliche Fertigung zu berücksichtigen.

Edelstahl löst Aluminium als Werkstoff ab

Der erste Schritt zur Verbesserung der Eigenschaften war der Wechsel des Materials von Aluminium zu Edelstahl. Damit konnte DTMT die Festigkeit des Gehäuses – insbesondere der Fügestellen – deutlich verbessern, was für die Betriebssicherheit der mit Öl als Isolations- und Kühlmedium gefüllten Röntgenröhre von entscheidender Bedeutung ist. Ein willkommener Nebeneffekt war, dass Edelstahl die Strahlung besser als Aluminium abschirmt. So konnte DTMT den Bleianteil im Inneren des Gehäuses reduzieren.

Der erste Ansatz war, den mittleren Bereich des Gehäuses auf einer in Mechernich vorhandenen 2500kN-Presse zu formen. Durch Zusammenpressen eines Gummikerns erhielt das in einer Matrize liegende Rohr seine Kontur. Danach wurden Öffnungen mit einem CO2-Laser ausgeschnitten und Flansche und Gewindestutzen sowie die anderen Formelemente aus Blech mittels Laser-Schweißung angesetzt. So ergab sich bereits eine geringere Anzahl von Fügestellen als bei der ursprünglichen Bauform.

Die spanende Bearbeitung wurde um 60% reduziert

Dieses neue Gehäuse erfüllte die Anforderungen an Genauigkeit und Dichtigkeit bereits wesentlich besser als das herkömmliche aus Aluminium. Das Zusammenschweißen der Einzelteile mit Laser war wegen der komplexen Geometrie und des unvermeidlichen Verzuges beim Schneiden der Durchbrüche jedoch noch nicht ausreichend prozesssicher.

Gemeinsam mit dem Kunden beschlossen die Ingenieure von DTMT, den einmal eingeschlagenen Weg konsequent weiterzuverfolgen: Um die Anzahl der Einzelteile und somit der Schweißnähte deutlich zu verringern, wollte Projektleiter Christian Hosse einen möglichst großen Teil des Gehäuses aus einem einzigen Stück herstellen. Davon versprach er sich die drastische Reduzierung der Anzahl der Einzelteile und Schweißnähte, eine nochmals erhöhte Strahlungsdichtigkeit und insgesamt eine höhere Sicherheit und Genauigkeit des Herstellungsprozesses.

Zudem konnte er durch die Kombination des Hydroformverfahrens mit der 3D-Schneid-Schweiß-Laser-Technologie von DTMT den Anteil der spanabhebenden Fertigung um etwa 60% reduzieren, ohne Genauigkeitseinbußen beim Endprodukt in Kauf nehmen zu müssen.

Hohe Herausforderungen für das Innenhochdruckumformen

Im Grunde war das Gehäuse für das Innenhochdruckumformen geeignet, doch die angestrebten Umformgrade waren beträchtlich. An einigen Stellen floss das Material so sehr, dass die Wandstärke auf die Hälfte reduziert wurde. Deshalb wurden weitere DTMT-Spezialisten anderer Fachrichtungen hinzugezogen, die die Machbarkeit der Umformung untersuchten und von Anfang an die effiziente Fertigung berücksichtigten.

Gewissheit brachte eine Simulationsberechnung der Fachhochschule Aalen. In mehreren Schritten wurde die Bauteilgeometrie so modifiziert, dass die vom Kunden vorgegebenen Funktionsmaße in einer einzigen Umformung erreicht wurden. Die Überprüfung der theoretischen Voruntersuchungen in der Praxis brachte das gewünschte Ergebnis: Bereits die ersten Nullserienteile erfüllten alle Spezifikationen des Kunden.

Hydroformanlage ist ideal für Klein- und Mittelserien

Ein Problem blieben die Kosten. Das Innenhochdruckverfahren (IHU) war bisher wegen der hohen Anlagenkosten nur den großen Serien vorbehalten. Mit einer geplanten Stückzahl von rund 2500 Stück pro Jahr schien DTMT weit von einer wirtschaftlichen Produktion entfernt zu sein.

Daraufhin entwickelten die Spezialisten der DTMT eine Hydroformanlage, die exakt an die Anforderungen der Klein- und Mittelserien angepasst ist und die Fertigung vergleichsweise geringer Stückzahlen erstmals kostengünstig macht. So ist sie für Klein- und Mittelserien von 2500 bis 10000 Stück pro Jahr ideal geeignet. Aufgrund ihres modularen Aufbaus lässt sie sich leicht an andere Werkstückgeometrien und -abmessungen anpassen.

Die zurzeit bei DTMT in Mechernich verwendete Anlage ist für Werkstücklängen bis 600 mm und einen Rohrdurchmesser bis zu 150 mm ausgelegt. Sie bringt einen Umformdruck bis zu 1500 bar und Schließkräfte bis 10000 kN auf.

Neue Abdichtungstechnik erweitert Grenzen beim Innenhochdruckumformen

Das Umformmedium ist Wasser. Die hohen Umformgrade werden durch beidseitig axiales Nachschieben des Materials und eine einzigartige Abdichtungstechnologie realisiert.

Nach mehr als 4000 produzierten Gehäusen wurde der Beweis erbracht, dass kleine und mittlere Serien mit dem IHU-Verfahren wirtschaftlich hergestellt werden können. Die Maßhaltigkeit ist auch bei engen Toleranzen in der Serienherstellung sicher und reproduzierbar. Nach dem Umformen ist keine Nacharbeit erforderlich.

Mit geringeren Kosten, neuem Design, verbessertem Strahlungsschutz und hoher Prozess-Sicherheit ging die neue Lösung weit über die ursprünglichen Erwartungen des Kunden hinaus. Dennoch liegen die Stückkosten deutlich unter denen des Aluminiumgehäuses. Ein gutes Beispiel dafür, dass ein grundlegendes Überdenken der Fertigungsmethoden, bei dem Spezialisten unterschiedlicher Disziplinen zu Rate gezogen werden, die Herstellung komplexer Bauteile effizient und kostengünstig macht.

Innenhochdruckumformen lässt sich für alle Teile wirtschaftlich anwenden

Neben den rein technischen Aspekten trägt das neue Gehäuse auch zum Ausbau der Technologieführerschaft des Kunden bei. Das Verfahren der DTMT lässt sich generell wirtschaftlich für alle Teile anwenden, die klassisch für die Innenhochdruckumformung geeignet sind, für die die Fertigung geringer Stückzahlen aber bisher nicht wirtschaftlich genug war.

Dies können komplex und anspruchsvoll geformte oder nach Funktion und Form anspruchsvolle, designgeprägte Teile sein. Beispiele sind Spezialgehäuse mit komplexer Geometrie oder Auspuffteile für Sonderanwendungen. Da DTMT eigene, interdisziplinäre Entwicklungsteams hat, kann das Unternehmen derartige Bauteile aus einer Hand kundenspezifisch entwickeln und fertigen.

Mit dieser Umformlösung hat die Deutsche Mechatronics eine Innenhochdruckanlage entwickelt, mit der erstmals Bauteile mit komplexer Geometrie auch bei kleinen Stückzahlen wirtschaftlich gefertigt werden können. Das Hydroformen wird jetzt auch für Teile angewandt, die klassisch für die Innenhochdruckumformung geeignet sind, für die die Fertigung geringer Stückzahlen aber bisher nicht wirtschaftlich war.

Das Beispiel eines Gehäuses für Röntgenröhren zeigt, dass Unternehmen in der Zusammenarbeit mit Systemlieferanten, die mit interdisziplinären Teams grundlegend neue Verfahren entwickeln, die Qualität ihrer Produkte steigern und gleichzeitig Fertigungskosten senken können.

Die Kombination aus dem Hydroformverfahren und der 3D-Schneid-Schweiß-Laser-Technologie aus dem Hause DTMT führte zu einer signifikanten Reduzierung der Bearbeitungsschritte. So konnte der Anteil der spanabhebenden Fertigung, wie bereits erwähnt, um rund 60% reduziert werden, ohne Genauigkeitseinbußen beim Endprodukt in Kauf nehmen zu müssen.

Dipl.-Ing. Jürgen Carl ist Anwendungsberater bei der Deutsche Mechatronics GmbH, 53894 Mechernich.

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Jürgen Carl MM MaschinenMarkt

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