Kostengünstige Dokumentation in der Kleinserien-Montage

Es muss nicht immer gleich ein komplettes elektronisch gesteuertes High-Tech-Schraubsystem sein, wenn es um die Überwachung der Schraubmontage inklusive Dokumentation geht. Bei Siemens in Kemnath in der Oberpfalz, wo der Geschäftsbereich Medical Solutions Imaging Devices Baugruppen für medizinische Röntgengeräte fertigt und vormontiert, genügt dafür ein elektronischer Drehmoment-schlüssel namens BLM-Line-Wrench von Atlas Copco.

Dieses kompakte, akkubetriebene Werkzeug lässt sich genau so einfach wie ein herkömmlicher Drehmomentschlüssel handhaben, zieht aber drehmomentgesteuert und drehwinkelüberwacht an und übermittelt seine Schraubergebnisse automatisch an einen angeschlossenen Computer, wo diese zur Dokumentation und statistischen Auswertung gespeichert werden.

In Kemnath werden mit dem Produktionsschlüssel die Pendellager an Computertomographen (CT) verschraubt, von denen jährlich mehrere Hundert Exemplare hergestellt werden. Je zwei dieser präzisen Lager tragen die gut 1 t schwere schwenkbare Gantry, in der der Detektor und die Röntgenröhre stecken. Diese tasten den Patienten ab und erzeugen so das dreidimensionale Bild.

„Die Pendellager müssen unbedingt korrekt verschraubt sein“, betont Günter Klöffel, der für die Prozessplanung in Sachen Verbindungstechnik verantwortlich ist. Ansonsten wären die CT-Bilder unscharf oder im Extremfall könnte sich gar die tonnenschwere Gantry lösen. Um das sicher auszuschließen, sind die Verschraubungen bei der Montage der Pendellager von Siemens als dokumentationspflichtig eingestuft.

Dokumentationspflichtiges Verschrauben von Lagern

Früher waren deshalb immer zwei Werker für deren Montage zuständig. Einer zog die Schrauben per Drehmomentschlüssel an, der zweite knickte jede einzelne Verschraubung nach und markierte sie dann mit einem Filzstift als überprüft und für korrekt befunden. Zur Dokumentation wurde von beiden Werkern zudem ein Protokoll geführt.

„Trotz der geringen Stückzahlen war das schon eine sehr aufwändige Geschichte“, erinnert sich Klöffel. Doch dieses umständliche Prozedere ist seit dem Einsatz des Produktionsschlüssels passé. „Wir konnten das Vier-Augen-Prinzip abschaffen, jetzt genügt ein Werker, und Kontrolle ist überflüssig“, freut sich Johann Brunner, zuständig für die Qualitätssicherung.

Bei jedem Lager sind zweimal zwölf Schrauben zu montieren, die in einem äußeren und einem inneren Kreis angeordnet sind. Das geschieht in drei Arbeitsgängen, für die es jeweils einen eigenen Werkzeugvorsatz für den Produktionsschlüssel gibt. Diese enthalten Transponder, anhand derer der Line-Wrench sie erkennt, automatisch die entsprechenden Schraubparameter einstellt und auf seinem Display anzeigt.

Mit dem Werkzeugvorsatz 1 zieht der Werker die zwölf äußeren Schrauben beim ersten Lager mit 87 Nm an, mit dem zweiten Vorsatz die sechs unteren des zweiten Lagers, ebenfalls mit 87 Nm. Die noch fehlenden sechs oberen Schrauben dieses Lagers können erst bei der CT-Endmontage, die im Siemens-Werk Forchheim stattfindet, eingebaut werden, weil erst dort noch ein weiteres Bauteil eingefügt wird.

Drehmomentschlüssel überwacht korrektes Anziehen der Schrauben

Schließlich zieht der Werker mit Werkzeugvorsatz 3 jeweils die zwölf inneren Schrauben beider Lager mit 43 Nm an. Bei jedem Arbeitsgang überwacht der Drehmomentschlüssel, ob alle Schrauben korrekt angezogen und keine vergessen wurden.

Für die Verschraubungen gilt seitens Siemens‘ eine Toleranz von ± 5%, was deutlich unter den Möglichkeiten des Werkzeugs liegt. Das in Kemnath eingesetzte Modell eignet sich für Drehmomente bis 100 Nm. Jeder Line-Wrench kann bis zu 128 Parametersätze verwalten und hat als Besonderheit ein eingebautes Gyroskop.

Dadurch zieht er – neben dem voreingestellten Drehmoment – immer auch auf den entsprechenden richtigen Drehwinkel an, und zwar unabhängig von den Hand- oder Armbewegungen des Werkers.

„Durch die Drehwinkelüberwachung fällt sofort auf, wenn beispielsweise ein Span im Gewinde steckt“, sagt Qualitätssicherer Brunner. In diesem Fall wird das Endmoment zu früh erreicht, und am Werkzeug blinkt eine Warnlampe. Der Werker löst dann die betreffende Schraube, reinigt das Gewinde und verschraubt sie erneut.

Das anschließende i. O. wird ebenso wie das vorherige n. i. O. inklusive aller Drehmoment- und -winkelwerte dokumentiert. Denn jedes Mal, wenn der Werker den Schlüssel zurück in seine Halterung auf der Werkbank legt, die gleichzeitig als Ladestation dient, werden automatisch alle Schraubdaten des letzten Arbeitsgangs auf dem angeschlossenen Computer gespeichert. Möglich wäre auch eine Direktübertragung der Schraubdaten ins Werks-Intranet.

Schraubdaten werden ein halbes Jahr lang gespeichert

An der Werkbank hat man mit der Line-Wrench-Halterung einen Computer eigens für die Schraubdaten installiert, auf dem die-se ein halbes Jahr lang gespeichert bleiben. Dieser ist mit einer sogenannten Net-Com-Box verbunden, an die eine alphanumerische Tastatur angeschlossen ist. Auf dieser gibt der Werker bei Montagebeginn eine gerätespezifische Seriennummer ein, der dann alle Schraubdaten zugeordnet werden.

Brunner: „Sollte es später mal Probleme mit einer Lagerverschraubung geben, können wir jetzt genau nachvollziehen, was bei der Montage alles passiert ist. Diese Nachweismöglichkeit ist eine feine Sache.“ Um die Drehmomentgenauigkeit sicherzustellen, wird das Werkzeug halbjährlich nachkalibriert.

Bevor man sich für den Line-Wrench entschied, wurden mehrere Alternativen getestet, so Klöffel. Ein Elektrowinkelschrauber wurde wegen des Reaktionsmoments – eine Abstützung war wegen der Bauteilgeometrie nicht möglich – von den Werkern abgelehnt.

Ein Impulsschrauber kam wegen häufigen Überschießens des Drehmoments an den sehr harten Schraubverbindungen nicht in Frage. Ebenso wie ein hinsichtlich Genauigkeit und Handling akzeptabler Pistolenschrauber mit drehbarer Drehmomentstütze, der jedoch, wie auch der Impulsschrauber, letztlich wegen der fehlenden Dokumentationsmöglichkeiten ausschied.

Anbindung über Schlauch oder Kabel hätte Werker behindert

„Ein Nachteil bei allen drei Varianten war außerdem die Anbindung an Schlauch oder Kabel“, sagt Prozessplaner Klöffel. Denn der Werker müsse bei der Montage um das recht große Gerät herumlaufen, wobei ein Schlauch oder eine Strippe sehr hinderlich sei.

„Unsere Werker waren manuelle Drehmomentschlüssel gewohnt, und der Produktionsschlüssel hat die gleiche einfache Handhabung. Ein wichtiges Argument für uns war, dass er von ihnen gut angenommen wurde“, begründet Klöffel. Das neue Werkzeug markiert in Kemnath den Einstieg ins elektronisch dokumentierte Verschrauben. „Einsätze des Produktionsschlüssels auch an anderen Arbeitsplätzen sind durchaus möglich“, prognostiziert Klöffel.

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