Adaptives Gegenspindelmodul steigert Rekonfigurierbarkeit

Eine bessere Rekonfigurierbarkeit von Werkzeugmaschinen im gesamten Produktlebenszyklus ist das Forschungsthema des von der DFG geförderten Transfer-Projekts (TFB 59). Innerhalb des Forschungsprojekts wurden dazu neue Lösungen für rekonfigurierbare Maschinen- und Steuerungskomponenten in Zusammenarbeit mit Index, dem Institut für Werkzeugmaschinen (IfW) und dem Institut für Steuerungstechnik (ISW) der Universität Stuttgart erarbeitet. Als konkreten Anwendungsfall hat das IfW ein Gegenspindelmodul entwickelt, das eine Spindelnachrüstung oder einen Spindelwechsel beim Anwender bei deutlich reduzierter Austauschzeit möglich macht.

Die stetige Zunahme an Produktvarianten bei kürzeren Produktlebenszyklen sowie der effiziente Umgang mit den vorhandenen Kapazitäten und Produktionseinheiten sind die treibenden Kräfte für mehr Flexibilisierung und Automatisierung. Rekonfigurierung von Werkzeugmaschinen und adaptive Produktionssysteme mit schneller Anpassung an neue Produktionsaufgaben erfordern deshalb neue Wege im Aufbau und in der Auslegung von Werkzeugmaschinen.

Moderne Bearbeitungssysteme führender Maschinenhersteller sind häufig modular aufgebaut, das heißt, die einzelnen Module sind unternehmensweit standardisiert, sodass sich je nach Kundenwunsch mittels eines Baukastensystems unterschiedliche Maschinenkonfigurationen bilden lassen. Diese Konfigurierungsmöglichkeiten beschränken sich allerdings auf den Zeitpunkt der Bestellung oder der Montage einer Werkzeugmaschine. So muss beispielsweise das fakultativ zu erwerbende Gegenspindelmodul zur Hauptspindel im erwärmten Bearbeitungszustand exakt kollinear ausgerichtet sein.

Dies erfordert außer einem nicht unerheblichen Verkabelungsaufwand bei der Montage der Drehmaschine ein aufwändiges mechanisches Procedere mit Mess- und Einrichte-, Anpass- und Einstellprozessen sowie Schab- und Abbohrvorgängen. Dieser die Genauigkeit bestimmende Produktionsschritt ist nur von wenigen erfahrenen Mitarbeitern im Werk und bei freiem Zugang zu den Maschinenmodulen möglich und erfordert einen hohen Zeit- und Kostenaufwand. Eine einmal gewählte Konfiguration ist also nur mit erheblichem Aufwand zu ändern und rechnet sich daher in den seltensten Fällen.

Ausrichtung in vier Freiheitsgraden ist möglich

Es wurde deshalb eine konstruktive Lösung für ein Spindelmodul gesucht, die es ermöglicht, die Achse der Gegenspindel im eingebauten Zustand durch geeignete Maßnahmen gegenüber der Hauptspindel exakt kollinear auszurichten. Die Ausrichtung soll in vier Freiheitsgraden möglich sein, in der X- und Y-Richtung mit einer Genauigkeit von 1 µm sowie in den dazugehörigen Neigungsrichtungen φy(z) und φx(z) mit einer Genauigkeit von 2 µm/m. Das neu zu entwickelnde Modul beziehungsweise die neu zu entwickelnden Teilkomponenten sollen eine hohe Steifigkeit in axialer und radialer Richtung besitzen sowie kostengünstig im Aufbau, in der Fertigung und der Inbetriebnahme sein. Mit diesen Anforderungen wurden diverse Konzepte entwickelt, die im Folgenden näher beschrieben sind.

Bei der Analyse der Eingriffsmöglichkeiten zur Positionseinstellung wurden unterschiedliche Konzepte angedacht. Als erstes Kriterium wurde der Ort des Eingriffs untersucht. Dabei kommen verschiedene Möglichkeiten in Betracht: zwischen Z-Schlitten und Gehäuse, in Reihe zur Wälzlagerung sowie eine verstellbare Lagerung als Substitution anstelle der jetzigen Wälzlagerung. Als zweites Kriterium wurden unterschiedliche physikalische Prinzipien untersucht. Außer dem rein mechanischen Prinzip können Verstellmöglichkeiten nach dem piezoelektrischen Prinzip, aber auch hydraulische oder aero-/hydrostatische Prinziplösungen angedacht werden. Als drittes Kriterium werden Möglichkeiten der Ausgestaltung der konstruktiven Lösungen näher betrachtet.

Dabei sollten neben einfachen Verstell- und Anpasselementen kraftverstärkende Elemente wie Schrauben, Hebel, Keile, Exzenter, federgestützte Konstruktionen und andere bewährte Verstellkonzepte in die Lösungsfindung mit einbezogen werden. Fünf ausgewählte Prinzipien zur Spindeleinstellung, die einer Bewertung unterzogen wurden, werden im Folgenden kurz vorgestellt.

Mit dem Konzept einer hydrostatischen Lagerung besteht die Möglichkeit, bei unterschiedlich beaufschlagten Ölnuten die Spindel in ihrer Lage ausrichten zu können. Die hydrostatische Lagerung benötigt nur einen geringen Bauraum und könnte daher anstelle der jetzigen Lagerung in einem vergleichbaren Spindelgehäuse implementiert werden. Die Lagerung selbst erfordert eine völlige Neuauslegung oder -konstruktion und ist im Aufbau und im Betrieb verhältnismäßig aufwändig.

Vorgespannte Piezo-Aktoren wirken auf Druckelemente´

Sechs oder acht sehr kompakte Verstellelemente, im Spindelgehäuse integriert, ermöglichen bei einem hydraulischen Konzept eine relativ große Variation der Spindelorientierung. Bei Verwendung eines Tubussystems, bei dem die jetzige Spindel in ein zusätzliches Gehäuse montiert ist, ändert sich bei unterschiedlicher Orientierung zudem der Abstand zwischen Rotor und Stator nicht. Die notwendige Sensorik könnte in die Verstellelemente integriert werden.

Bei einem Konzept mit einstellbaren Anpassleisten werden Kolben und Wegsensoren zur Einstellung und Bestimmung der Position und Neigung verwendet. Die Gegenspindel wird mit Hilfe der Kolben genau auf das erforderliche Einstellmaß positioniert. Mit den Wegsensoren werden die zugehörigen Werte ermittelt, um die einstellbaren Anpassleisten durch genau eingeschliffene Abstimmplatten für den Betrieb der Drehmaschine zu ersetzen.

Das Exzenterkonzept basiert auf zwei ringförmigen Verstelleinheiten, die zwischen der eigentlichen Spindeleinheit und einem umliegenden Modulgehäuse angeordnet sind. Jede Verstelleinheit weist dabei jeweils zwei ineinander liegende exzentrische Ringe auf, die in ihrer Winkellage verstellbar sind und folglich durch die Ausrichtung der Exzentrizitäten eine Verstellung der Spindelachse in der X- und Y-Richtung ermöglichen.

Exzentrischer Außenring der Verstelleinheit ist geteilt

Die Außenkontur des exzentrischen und aus montagetechnischen Gründen geteilten Außenrings einer Verstelleinheit rotiert dabei um den Mittelpunkt der Bohrung im Außengehäuse. Die Innenkontur desselben Ringes ist jedoch um die Exzentrizität ea verschoben und nimmt den zweiten exzentrischen Ring (Innenring) auf. Die Innenkontur des Innenrings ist gegenüber dessen Außenkontur wiederum um die Exzentrizität ei verschoben und umschließt gleichzeitig die Spindeleinheit. Somit kann die Achslage der innen liegenden Spindelachse durch die rotatorische Ausrichtung der beiden Exzenterringe im Bereich der Summe der Exzentrizitäten ea und ei eingestellt werden.

Das Spindelmodul ist einfach aufgebaut

Weil an den zwei vorhandenen Doppelexzenter-Einheiten jedoch unabhängig voneinander unterschiedliche Ausrichtungsparameter eingestellt werden können, ist außer der Feinjustierung der Spindellage ebenso die Ausrichtung der Winkellage der innen liegenden Spindel in den beschriebenen geometrischen Grenzen möglich. Das ausgearbeitete Spindelmodul mit den integrierten Exzenter-Verstelleinheiten zeichnet sich vor allem durch einen einfachen Aufbau, ein präzises Lagekorrekturverhalten und gleichzeitig eine hohe Steifigkeit durch die üppigen Abstützungsflächen auf Spindel- und Gehäuseseite aus. Das Prinzip zur Einstellung der Spindellage mittels Doppelexzentern entstand im Rahmen des Transferprojekts und wurde zur Patentanmeldung eingereicht.

Bereits während der Konstruktion und Entwicklung des innovativen Gegenspindelmoduls ist man am IfW der Frage nachgegangen, wie Handhabung und Anwendbarkeit des neuen Moduls für den Einsatz in der Industrie so einfach und sicher wie möglich gestaltet werden können. Dazu wurden zusätzlich zum Gegenspindelmodul ein geeignetes Messverfahren sowie ein Messdatenauswertungsprogramm entwickelt. Ziel des Messverfahrens ist in erster Linie, Aussagen über die aktuelle Pose (Position und Orientierung) der Gegenspindel in Relation zur Hauptspindel zu gewinnen. Daraus ermittelt anschließend das Auswertungsprogramm die Kompensationsparameter der jeweiligen Exzentereinheit, die zur Lage- und Orientierungskorrektur der Gegenspindel führen.

Genauigkeit der Messflächen beeinflusst Genauigkeit des gesamten Verfahrens

Bei dem Verfahren wird an der Haupt- oder Gegenspindel ein thermisch stabiler und biegesteifer Messdorn fixiert, der am abgelegenen Ende einen Abstandssensor mit radialer Ausrichtung führt. Dieser taucht während des Messvorgangs in die gegenüberliegende Spindel ein und nimmt während eines 360°-Messbogens die Abstandswerte zur Spindelinnenkontur an ausgesuchten Messorten auf. Um das Verfahren so empfindlich wie möglich für die auftretenden Positions- und Ausrichtungsabweichungen zu gestalten und damit die höchstmögliche Genauigkeit zu erreichen, werden die Messorte über die gesamte zur Verfügung stehende Spindelwellenlänge verteilt.

Die Genauigkeit der Messflächen, über die der Abstandssensor zur Abtastung geführt wird, hat einen bedeutenden Einfluss auf die Genauigkeit des gesamten Verfahrens, sodass diese im letzten Fertigungsschritt einem Schleifvorgang unterzogen werden. Dabei werden die Rundlaufgenauigkeit beziehungsweise die maximal zulässige Abweichung von der idealen Zylinderform an jeder Messstelle sowie die Einhaltung der relativen Lage der beiden Messflächen zueinander sichergestellt.

Die messtechnische Untersuchung und Verifikation des entwickelten Gegenspindelmoduls sowie des Kompensationsverfahrens wird derzeit an einem Versuchsstand am IfW durchgeführt.

Analyseprogramm vereinfacht Berechnungen

Mit dem Analyseprogramm Exzento wurde am IfW ein anwenderfreundliches Software-Tool entwickelt, in dem sichere Methoden und Berechnungen zur Kompensation zusammengefasst sind und dem Anwender unter einer kompakten Bedienoberfläche zur Verfügung stehen. Als Eingabedaten zur Berechnung der Kompensationsparameter dienen dabei die jeweiligen Abstandswerte mit der zugehörigen Winkellage, die während des Messvorgangs ermittelt wurden.

Bei der Anwendung werden zunächst Geometrie- Parameter sowie die aktuellen Einstellungen des vorderen und hinteren Exzenters aufgenommen. Anschließend wählt der Anwender über ein Menü die Messdatensätze aus, die während der Messvorgänge am vorderen und hinteren Exzenter ermittelt wurden. Aus den Eingabeparametern und den Messdatensätzen berechnet Exzento die Lageabweichungen und Kompensationsparameter und gibt diese auf dem Anzeigefeld sichtbar für den Anwender aus. Mit Hilfe der ermittelten Kompensationsparameter kann anschließend die Lagekorrektur der Gegenspindel vom Maschinenpersonal vorgenommen werden, indem die Exzentereinheiten auf die ermittelten Parameter eingestellt werden.

Prof. Dr.-Ing. Uwe Heisel ist Leiter des Instituts für Werkzeugmaschinen der Universität Stuttgart (IfW); Dipl.-Ing. Walther Maier und Dipl.-Ing. Norman Tonn sind wissenschaftliche Mitarbeiter am Institut; Géza Koscsák und Ernst-Ulrich Schmitz sind Mitarbeiter der Index-Werke GmbH & Co. KG in Esslingen.

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