Virtuelle Welten erobern Kultur und Medizin

Durch den Einsatz der Technologien der Virtuellen und Erweiterten Realität (VR/AR) entstehen neue Lebens- und Arbeitswelten: Bereits heute lassen sich mit VR etwa in der Automobilherstellung ganze Produktionsabläufe im vorhinein testen – vom Crash-Test bis zur Demontage. Dadurch verkürzt sich die Zeit von der Idee bis zur Markteinführung, das sog. „time-to-market“ eines Produktes und wird damit zum wichtigen Wettbewerbsfaktor für die Unternehmen. Das immense Potenzial der VR/AR-Technologien und die große Bandbreite möglicher Anwendungen ist noch lange nicht erschöpft. So kann in nicht allzu ferner Zukunft der Chirurg während der Operation wichtige Patientendaten visualisiert erhalten oder der Tourist kann per Zeitreise in die Welt der Antike eintauchen, ohne dass er umständlich den Reiseführer wälzen muss. Denn intuitive Interaktionsmechanismen wie Sprache und Gestik erlauben künftig einen effizienten Umgang mit Daten und Prozessen. Und die Augmented Reality bietet den „doppelten Durchblick“, denn über eine Datenbrille oder ein Display können zusätzliche Informationen eingeblendet werden, welche die reale Umgebung teilweise überlagern.

Um die Entwicklung der neuen Simulationstechnologien zu fördern, initiierte das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) den „Ideenwettbewerb zur Virtuellen und Erweiterten Realität“. Seit April 2001 fördert das BMBF 15 prämierte Projekte des Wettbewerbs, die auf drei Jahre angelegt sind. Damit will das BMBF einen Anstoß geben, neue Anwendungsfelder zu erschließen und den Kompetenzvorsprung des Standorts Deutschland zu erreichen. Die Forscher und Forscherinnen aus dem Fraunhofer-Institut für Graphische Datenverarbeitung IGD und des Zentrums für Graphische Datenverarbeitung (ZGDV) sind hierbei mit drei der 15 ausgezeichneten Projekte vertreten. Nach der Hälfte ihrer Laufzeit stellen die Verbundprojekte zum VR/AR Themenfeld jetzt ihre Inhalte und Ziele sowie erste Ergebnisse und Erfahrungen im Rahmen der 2. Internationalen Statustagung „Virtuelle und Erweiterte Realität“ vor. Am 05. – 06. November 2002 präsentieren in Leipzig die interdisziplinären Teams, in denen Unternehmen, Hochschulen und außeruniversitäre Forschungseinrichtungen vertreten sind, ihre zukunftsträchtigen Projekte.

In längst vergangene Zeiten eintauchen und damit historisches Wissen auf neue Art und Weise erleben, das realisieren Forscherinnen und Forscher im Projekt GEIST. Am Beispiel des geschichtsträchtigen Schlosses Heidelberg demonstriert das Projektteam, wie künftig dem Tourist – ausgerüstet mit einem tragbaren Augmented-Reality-System – fesselnde Erzählungen und Informationen über Stadtgeschichte sowie Bauwerke, Personen und Ereignisse spannend illustriert werden. Mit Hilfe des videobasierten mobilen Tracking-Systems von GEIST lässt sich die Position und Blickrichtung des Betrachters einer Szene präzise ermitteln. „Das ist eine Voraussetzung, um die Ruinen oder neue Gebäude mit grafischen Rekonstruktionen zerstörter Bauwerke zu überlagern und damit z. B. historische Architektur anschaulich zu vermitteln“ erklärt Uwe Jasnoch, Leiter der Abteilung Graphische Informationssysteme am Fraunhofer IGD. Innerhalb der intelligenten Spielsteuerung von GEIST stellen virtuelle Charaktere einen interaktiven Dialog mit dem Betrachter her, so dass der Betreffende persönlich in die Handlung mit eingebunden und zum Protagonisten der Geschichte wird. Dieses „interactive Storytelling“ vermittelt die Zusammenhänge zwischen Ereignissen und handelnden Personen durch spielerisches Lernen. Verwirklicht wird der neuartige Edutainment-Ansatz im Projekt GEIST von Wissenschaftlern aus dem Darmstädter ZGDV.

Detaillierte Informationen zu GEIST finden Sie unter der URL:
http://www.tourgeist.de

Den Arzt in der Operationsvorbereitung und -ausführung zum Wohl des Patienten sinnvoll zu unterstützen, dieses Ziel verfolgen die Partner im Verbundprojekt MEDARPA. So kann der Operateur künftig während des Eingriffs auf dreidimensional visualisierte Patientendaten wie Ultraschall, Computertomografie oder Röntgenaufnahmen zugreifen. Die operationsrelevanten Daten werden mit Hilfe eines halbtransparenten, schwenkbaren Displays, dem AR-Fenster, welches über der Eingriffsstelle positioniert wird, in das Sichtfeld des Arztes eingeblendet. „Dem Operateur ermöglicht der Blick durch das AR-Fenster, in das Innere des Patienten zu blicken und seine dort ebenfalls sichtbaren chirurgischen Instrumente präziser zu setzen“, beschreibt Michael Schnaider, Leiter der Abteilung „Visual Computing“ am ZGDV, einen Vorteil der neuen Technologie. Neben der Entwicklung des AR-Fensters stellt insbesondere die genaue Positionsbestimmung, das so genannte Tracking, sowie die exakte Registrierung der Bilddaten mit dem Patienten eine Herausforderung an die Entwickler dar. Um Differenzen zwischen Realität und den Computer-erzeugten Bildern zu minimieren, müssen ständig die Blickrichtung des Arztes, die Körperposition des Patienten, des AR-Fensters und der genutzten Instrumente bestimmt und in Echtzeit neu berechnet werden. Die Systeme in MEDARPA sollen künftig auch auf natürliche Interaktionstechniken wie z.B. Sprache reagieren, damit sich der Chirurg uneingeschränkt auf das Operationsfeld konzentrieren kann.

Weitere Informationen zum Projekt MEDARPA finden Sie unter der Web-Adresse:
http://www.medarpa.de

Damit eine große Anzahl von Anwendern in Beruf und Freizeit VR/AR Technologien sinnvoll nutzen können, arbeiten die Partner im Projekt OpenSG PLUS daran das innovative System OpenSG (Open Source Scenegraph) zu implementieren und effektiv zu erweitern. OpenSG ist eine frei erhältliche Programmbibliothek, die Echtzeit-Renderingaufgaben für AR- und VR-Anwendungen unterstützt. Nach dem Open Source-Prinzip sind die Routinen im Quellcode von OpenSG wie beim Vorzeigeprojekt LINUX weltweit frei verfügbar. Somit kann jeder die Software einsetzen und in seine Produkte integrieren. Im Rahmen von OpenSG PLUS wird u. a. das hochaktuelle, sogenannte Clustering unterstützt, das die Verwendung von mehreren Standard PC-Rechern zur gemeinsamen Darstellung komplexer dreidimensionaler Welten ermöglicht. Der Vorteil hierbei ist, dass mit einem einzelnen Programm, die kostengünstige Leistungsfähigkeit aktueller Entwicklungen im PC-Markt genutzt werden kann – z. B. zur Darstellung von Mehrseitenprojektionen wie Powerwalls und CAVES. Eine kostspielige Graphik-Workstation ist dazu nicht mehr nötig. Im Projektkonsortium von OpenSG PLUS sind, neben dem ZGDV und dem Fraunhofer IGD wichtige deutsche Forschungsinstitutionen auf dem Sektor 3D-Computergrafik vertreten.

Detallierte Informationen zu OpenSG Plus erhalten Sie unter der URL:
http://www.opensg.org/OpenSGPLUS

Die VR/AR Statustagung wird veranstaltet vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) und dem Projektträger des BMBF für Informationstechnik beim Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt e.V. (DLR).
Das wissenschaftliche Programm der Tagung umfasst auch die Präsentation des BMBF-Leitprojektes ARVIKA. Das Augmented-Reality-Komplettsystem ARVIKA (www.arvika.de) unterstützt beispielsweise einen Servicetechniker, der eine Maschine in Betrieb nehmen will, indem ihm über eine Datenbrille situationsgerechte Informationen – etwa Montagehinweise – eingeblendet werden. Das Entwicklerteam vom Fraunhofer IGD (www.igd.fhg.de/igd-a4/) zeigt in Leipzig u. a. Lösungen für ein flexibleres Tracking und präsentiert neue Möglichkeiten, wie Informationen via individuelle Ausgabegeräte, sogenannte Head Mounted Displays (HMD) in das Sichtfeld des Anwenders projiziert werden können.

Die Veranstaltung markiert für die 15 Projektbeteiligten die Halbzeit einer intensiven mehrjährigen Zusammenarbeit. Die interdisziplinären Teams, in denen Unternehmen, Hochschulen und außeruniversitäre Forschungseinrichtungen vertreten sind, entwickeln prototypische Anwendungen, um so den Einsatz von VR- und AR-Technologien in vielen Bereichen voran zu treiben. Experten prognostizieren, AR und VR werde nicht nur Entwicklung, Produktion, Montage und Wartung revolutionieren, sondern auch in komplexen Arbeitsbereichen wie der Medizin, in Aus- und Weiterbildung, Medien und im kulturellen Sektor zukünftig eine bedeutende Rolle spielen.

Informationen zur Tagung erhalten Sie unter der URL: http://www.dlr.de/IT/IV/VR-AR/

Kurzprofil INI-GraphicsNet:
Das internationale Netzwerk der Graphischen Datenverarbeitung (INI-GraphicsNet) besteht aus dem Fraunhofer-Institut für Graphische Datenverarbeitung IGD, dem Zentrum für Graphische Datenverarbeitung (ZGDV) e.V., beide in Darmstadt und Rostock, und dem Fachgebiet Graphisch-Interaktive Systeme (GRIS) der Technischen Universität Darmstadt. Weitere Institutionen des Netzwerkes sind das Fraunhofer-Anwendungszentrum für Computergraphik in Chemie und Pharmazie (AGC) in Frankfurt, das Fraunhofer Center for Research in Computer Graphics (CRCG) in Providence, Rhode Island (USA), das Centre for Advanced Media Technology (CAMTech) in Singapur, das Centro de Computaç“o Gráfica (CCG) in Guimar“es (Portugal), das Centre for Visual Interaction and Communication Technologies (VICOMTech) in San Sebastian (Spanien), das Institute for New Media Technology (NEMETech) in Seoul (Süd-Korea) und das Center for Advanced Computer Graphics Technologies (GRAPHITech) in Trento (Italien).

Innerhalb des Netzverbundes sind an den neun Standorten über 300 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sowie rund 560 wissenschaftliche Hilfskräfte beschäftigt. Bei einem Haushalt von über 41 Millionen Euro bildet das INI-GraphicsNet weltweit den größten Forschungsverbund auf dem Gebiet der Graphischen Datenverarbeitung.

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Bernad Lukacin idw

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